Psychologie

Wechseljahre im Job: Stark bleiben, wenn’s heiß wird

Hitzewallungen im Meeting? Wir müssen reden!

Es fing damit an, dass ich nächtelang wachlag und mich hin und herwarf, weil der Schlaf einfach nicht kommen wollte. Tagsüber war ich auf einmal nicht mehr in der Lage, geduldig zu warten. In der Einkaufsschlange trat ich von einem Fuß auf den anderen, schnaufte, verdrehte die Augen und erkannte mich selbst nicht mehr. Und dann auch noch die Hitzewallung, genau in dem Moment, in dem ich im Meeting eine Präsentation halten sollte.

Klingt nach einer Zumutung? Ist es auch. Aber für viele Frauen ist das Alltag. Mitten im Job, mitten im Leben.

In Deutschland sind 11 Millionen Frauen zwischen 40 und 59 Jahren, rund 80 Prozent von ihnen arbeiten. Die Wechseljahre betreffen also nicht nur das Private, sondern auch unseren Arbeitsplatz und damit unser Selbstwertgefühl, unsere Leistungsfähigkeit und unser Miteinander.

Neue Zahlen zeigen: Wir dürfen nicht länger schweigen

Die neue Studie „Menopause@work“ der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin) und der BARMER Krankenkasse macht das Thema endlich sichtbar. Die wichtigsten Erkenntnisse:

  • 74 Prozent der Frauen haben in den Wechseljahren Konzentrationsprobleme.
  • 50 Prozent fühlen sich ungeduldiger oder gereizter.
  • Jede fünfte Frau über 55 denkt über einen vorzeitigen Ruhestand nach.

Das Tragische daran: Viele leiden still, aus Angst, nicht mehr ernst genommen zu werden oder beruflich ins Abseits zu geraten. Ich meine, Wechseljahres-Beschwerden, das klingt irgendwie nach Ausrede und irgendwie auch nach eienr Privatangelegenheit. Dabei brauchen wir gerade in dieser Phase Verständnis und vor allem Unterstützung. Die Wechseljahre setzen ungeahnte Urkräfte in uns frei. Beim einen wirken sie lähmend, bei anderen aktivierend. Meine Schwägerin hat so schlimme Hitzewallungen, dass sie aggressiv wird. Sie hat letztens wegen eines Ehestreits um eine Nichtigkeit ein Loch in eine Zimmertür getreten. Vor lauter Frust. Jetzt hört man ihr zu, so ein Hulk-Auftritt ist schon beeindruckend. Aber was, wenn dich die Wut im Meeting packt?

Wissen, reden, handeln: Drei Schritte zu einem besseren Miteinander

Die Studie zeigt ganz klar: Wir müssen den Arbeitsplatz für Frauen in den Wechseljahren verändern. Und zwar mit diesen drei Schritten:

1. Aufklären

Wenn wir verstehen, was in den Wechseljahren passiert, fällt es uns leichter, mit uns selbst und anderen geduldig zu sein. Unternehmen sollten nicht nur die betroffenen Frauen informieren, sondern auch Kollegen und Führungskräfte. Denn: Wer Bescheid weiß, kann helfen, statt mit Unverständnis oder abfälligen Bemerkungen zu reagieren.

2. Reden

Fast 70 Prozent der Frauen wünschen sich, dass das Thema Wechseljahre kein Tabu mehr ist. Stell dir vor: Offene Gespräche, kleine Workshops oder Infoveranstaltungen, wie viel leichter wäre es, sich zu öffnen! Reden befreit. Und Reden verbindet.

3. Handeln

Flexible Arbeitszeiten, Rückzugsräume, Gesundheitsangebote, eine Klimaanlage, all das kann helfen. Besonders wichtig: eine empathische Haltung der Führungskräfte.

Frauen wünschen sich vor allem Schulungen für Chefs und Chefinnen (76 %), 3ine unterstützende Atmosphäre (73 %), flexible Arbeitszeiten (73 %) und Gesundheitsangebote, z. B. Yoga, Coaching oder Ernährungsberatung (65 %).


Weitere Themen:

Warum das nicht nur nett, sondern auch clever ist

Allein durch die Beschwerden der Wechseljahre entstehen laut Studie jährlich 9,4 Milliarden Euro an Kosten und 40 Millionen Fehltage. In Zeiten von Fachkräftemangel können Unternehmen es sich nicht leisten, die Erfahrung, das Wissen und die Loyalität dieser Frauen zu verlieren. Frauen in den Wechseljahren sind oft mitten in ihrer Schaffenskraft — mit viel Lebenserfahrung, Humor und einer unerschütterlichen Klarheit. Warum sollten wir auf sie verzichten?

Europa macht es vor

In Großbritannien gibt es bereits „menopause-friendly workplaces“. Frankreich diskutiert gesetzliche Lösungen. Und auch in Deutschland nimmt das Thema Fahrt auf. Aber: Wirklich wichtig ist, was in unseren Teams passiert. An unseren Schreibtischen. In unseren Köpfen. Ich persönlich fände ein klimatisiertes Büro schon recht angenehm. Und wenn ich mit einem Handtuch im Nacken dasitze und die nächste Hitzewallung aushalte, dann wäre es schön, wenn ich das nicht erklären müsste, sondern die anderen wissen: “Aaaah, Hitzewallung, wir lassen sie mal einen Moment in Ruhe!”.

Die Frauen, die Mut machen

Die Handlungsempfehlungen „Menopause@work“ wurden von Prof. Dr. Andrea Rumler und Miriam Stein verfasst.

Prof. Dr. Andrea Rumler

Andrea Rumler ist Professorin für allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Marketing an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Sie studierte Betriebswirtschaftslehre in München, Köln und New York, promovierte an der Universität Köln und war unter anderem als Geschäftsführerin in New York tätig. Als Projektleiterin der MenoSupport-Studie (2023) verantwortete sie die erste deutschlandweite Untersuchung zum Erleben der Wechseljahre am Arbeitsplatz und veröffentlichte anschließend gemeinsam mit Till Strohsal eine volkswirtschaftliche Abschätzung der Folgekosten unbehandelter Wechseljahresbeschwerden.
(Ergebnisse der MenoSupport-Studie sind online abrufbar unter https://blog.hwr-berlin.de/menosupport/ergebnisse/)

Miriam Stein

Miriam Stein ist freie Journalistin, Buchautorin und Keynote-Speakerin. Sie wuchs in Osnabrück auf und studierte in New York. Zehn Jahre lang war sie Kulturchefin der deutschen Ausgabe des internationalen Modemagazins „Harper’s Bazaar“. Ihr Buch „Die gereizte Frau“ über die Wechseljahre wurde 2022 ein SPIEGEL-Bestseller. Als Aktivistin und Lobbyistin hat sie maßgeblich dazu beigetragen, dass das Thema Wechseljahre in Deutschland auch politisch wahrgenommen wird. In ihren Vorträgen spricht sie regelmäßig über die gesellschaftspolitischen Auswirkungen der Menopause und engagiert sich für eine offene Diskussion in Unternehmen und Institutionen.

Gemeinsam sind wir stärker

Die Wechseljahre gehören zum Leben — so wie die ersten grauen Haare oder das erste Lachen über unsere eigene Ungeduld. Sie zeigen uns: Wir sind in Bewegung, wir entwickeln uns, wir dürfen wachsen. Was wir brauchen? Mehr Wissen. Mehr Empathie. Mehr Offenheit. Denn nur wenn wir uns gegenseitig unterstützen, können wir das Leben und auch den Job mit Freude, Kraft und Selbstbewusstsein gestalten.


Mehr Infos & der komplette Leitfaden

Hier kannst du „Menopause@work“ herunterladen und vielleicht sogar deinem Chef oder deiner Chefin weiterleiten:
Zur Publikation


Wir dürfen wir selbst sein

Mit Hitzewallung, mit unruhigen Nächten, mit Power und Weichheit. Denn wir sind Frauen — und wir sind stark.

Foto: Miriam Stein (links) und Prof. Dr. Andrea Rumler (HWR Berlin) geben gemeinsam mit der BARMER Krankenkasse den Leitfaden „Menopause@work“ heraus – eine praxisnahe Orientierungshilfe für Unternehmen im Umgang mit Wechseljahresbeschwerden am Arbeitsplatz. | Quelle: Uwe Neumann | Copyright: HWR Berlin


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