Offline allein – online auch nicht verbunden?
Was eine Studie über Internetkonsum und Einsamkeit bei Jugendlichen verrät – und was wir als Gesellschaft daraus machen sollten
Jugendliche.
Sie sind laut und leise. Stark und verletzlich. Wach und müde. Oft alles gleichzeitig.
Sie sind auf dem Weg, sich selbst zu finden – und verlieren sich manchmal, bevor sie ankommen.
Und mitten in dieser Phase, in der der eigene Körper sowieso schon fremd genug wirkt, kommt noch etwas dazu, das viele Eltern beunruhigt:
Ein Leben, das sich zunehmend auf Bildschirme verlagert.
„Ich hab Freunde. Auf Discord.“
Stell dir vor, dein Kind sitzt stundenlang allein im dunklen Zimmer. Es spricht kaum. Die Kopfhörer sind drin, das Gesicht vom bläulichen Licht des Displays beleuchtet.
Du fragst, wie’s ihm geht.
Antwort: „Lass mich!“
Du fragst, was es gerade macht.
Antwort: „Ich bin doch online.“
Viele Eltern kennen dieses Gefühl der Hilflosigkeit.
Und viele Jugendliche das Gefühl: „Die verstehen mich eh nicht.“
Eine Studie aus Mainz schaut jetzt genauer hin
Ein Forschungsteam der Universitätsmedizin Mainz unter Leitung von Prof. Dr. Manfred Beutel hat über 2400 Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren befragt – zu ihrem Internetverhalten, ihrer emotionalen Gesundheit und ihren sozialen Beziehungen.
Und die Ergebnisse sind deutlich – und besorgniserregend:
- Jugendliche, die mehr als sechs Stunden täglich online sind, haben deutlich größere Schwierigkeiten, Bindungen zu Gleichaltrigen aufzubauen.
- Besonders betroffen sind diejenigen, die viel Zeit mit Onlinespielen oder auf Sexportalen verbringen.
- Diese Jugendlichen vertrauen weniger, kommunizieren seltener und fühlen sich stärker entfremdet – nicht nur von anderen, sondern oft auch von sich selbst.
Warum gerade diese Online-Inhalte?
„Sozial unsichere oder gehemmte Jugendliche wenden sich eher Online-Aktivitäten zu, bei denen sie nicht kommunizieren müssen“, sagt Professor Beutel.
Das klingt zunächst paradox – denn das Internet ist doch Kommunikation, oder?
Aber: Ein Spiel, in dem ich anonym bin, gibt mir Kontrolle.
Ein Porno verlangt keine echte Begegnung.
Ein Algorithmus fragt nicht, wie’s mir wirklich geht.
Es sind scheinbar sichere Räume – aber sie führen oft dazu, dass junge Menschen echte Begegnungen als riskant empfinden.
Und genau das ist gefährlich.
Sucht, Einsamkeit, Rückzug
3,4 % der Jugendlichen in der Studie zeigen ein suchtartiges Nutzungsverhalten:
- Keine Kontrolle mehr über ihre Onlinezeiten
- Verlust realer Interessen
- Persönliche, familiäre und schulische Konsequenzen
Weitere 13,8 % sind exzessiv online – also auf dem Weg dorthin.
Was das mit ihnen macht?
Sie verlieren die Fähigkeit, Nähe zuzulassen.
Sie verlieren die Sprache für das, was sie bewegt.
Und sie verlieren sich – obwohl sie nie allein sind im Netz.
Was wir daraus lernen können
Das Internet ist kein Feind. Es ist ein Werkzeug.
Ob es verbindet oder isoliert, hängt davon ab, wie wir es nutzen – und was wir im echten Leben daneben anbieten.
Deshalb sagt Professor Beutel ganz klar:
„Eltern und Lehrer haben die Aufgabe, Jugendliche in der Entwicklung ihrer Mediennutzung zu begleiten – und gleichzeitig ihren sozialen Umgang zu fördern.“
Das bedeutet:
- Nicht nur Bildschirmzeit kontrollieren, sondern Zeit gemeinsam gestalten.
- Nicht nur warnen, sondern verstehen.
- Nicht nur reden, sondern zuhören.
Was Jugendliche wirklich brauchen
Sie brauchen keine App, die ihnen sagt, wie sie sich fühlen sollen.
Sie brauchen echte Resonanz. Jemanden, der bleibt, auch wenn’s schwierig wird.
Sie brauchen Räume, in denen Schweigen okay ist – und Fragen willkommen sind.
Sie brauchen Sätze wie:
- „Ich bin da. Auch wenn du gerade nichts sagen willst.“
- „Du musst nicht perfekt sein.“
- „Du bist genug – auch offline.“
Und wenn du selbst betroffen bist?
Vielleicht liest du das als Mutter, als Vater, als Pädagogin, als Jugendlicher.
Und vielleicht fragst du dich: Was kann ich tun?
Die Antwort ist schlicht – und doch so kraftvoll:
Bleib im Kontakt. Ehrlich, offen, zugewandt.
Frage nicht nur: „Wie war die Schule?“
Sondern auch mal:
„Wie fühlst du dich, wenn du allein bist?“
„Was stresst dich?“
„Was brauchst du wirklich?“
Denn oft steckt unter dem stundenlangen Zocken oder Scrollen nur ein einziger Wunsch:
Gesehen werden.
Also?
Wir leben in einer Welt, in der Jugendliche jederzeit mit tausenden Menschen online verbunden sein können – und sich doch tiefer einsam fühlen als je zuvor. Es ist unsere Aufgabe, Brücken zu bauen: zwischen digital und real, zwischen Kindern und Eltern, zwischen Rückzug und Beziehung.
Oder wie ich’s sagen würde:
WLAN ist gut. Aber am wichtigsten ist ein Mensch, der dich wirklich verbindet – mit dir selbst.
Hier schreibt Jonas Weber vom Minerva-Vision-Team. Mit einer Mischung aus fundierter Forschung und einer Portion Humor vermittelt er komplexe Themen verständlich und unterhaltsam.Wenn er nicht gerade über die neuesten Erkenntnisse aus der Gehirnforschung schreibt, findet man ihn bei einem guten Espresso, auf der Suche nach dem perfekten Wortspiel oder beim Diskutieren über die großen Fragen des Lebens – zum Beispiel, warum man sich an peinliche Momente von vor zehn Jahren noch glasklar erinnert, aber nicht daran, wo man den Autoschlüssel hingelegt hat.