
Der alte Plattenspieler
Wenn ich an meine Oma denke, dann denke ich an Musik. An diesen alten, krächzenden Plattenspieler mit dem Deckel aus Kunststoff, der immer ein bisschen nach Holz aussah, es aber nie gewesen ist. An die Nadeln, die manchmal sprangen. An das leise Knistern, bevor die Musik begann. Und an die Abende, an denen wir zusammen saßen, während draußen schon längst die Dunkelheit ihre Jacke über die Welt gelegt hatte.
Radio lief auch manchmal. Meistens, wenn wir beim Kochen waren oder beim Wäsche zusammenlegen. Aber die Musik, die wirklich zählte, kam von den Platten. Von den alten Liedern mit deutschen Texten, bei denen ich immer dachte, dass sie alle ein bisschen traurig waren. Oder ein bisschen sehnsüchtig. Oder beides.
Und immer, wenn ein Lied anfing, das sie kannte – und sie kannte sie alle –, begann sie zu erzählen. Vom Tanzsaal, vom Samstagskleid mit den gepufften Ärmeln, von dem Bäckerjungen mit den schönen Händen, der aber leider stotterte. „Da war ich modern“, sagte sie dann und schob die Keksdose näher. „Die anderen haben immer gesagt: Wenn du wissen willst, was in Mode kommt, dann schau dir Maria an.“ Sie sagte das mit einer Mischung aus Stolz und spöttischer Milde, so als würde sie sich selbst nicht ganz glauben. Oder nicht mehr ganz erkennen.
Ich wusste nie genau, was „modern“ in den Fünfzigern bedeutete. Ich stellte mir Stirnbänder vor und Petticoats. Rosa Lippenstift, der ein bisschen auf den Zähnen klebt. Und Frauen, die sich nie fragten, ob sie genug waren, weil sie sowieso gerade einen Kuchen im Ofen und einen Tanzpartner in Aussicht hatten.
Der Plattenspieler ist irgendwann kaputtgegangen. Ich habe ihn trotzdem behalten. Er steht jetzt auf einem Bücherregal und sieht ein bisschen aus wie ein Relikt aus einer anderen Welt. Ist er ja auch.
Hier schreibt Claudia vom Minerva-Vision-Team.
Als echtes Omakind hat sie früh gelernt: Gute Antworten brauchen kein Coaching, manchmal reicht ein Platz am Küchentisch. Heute schreibt sie über das, was uns wirklich guttut: gute Fragen, einfache Antworten – und das Glück, wenn jemand einfach da ist.
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