„Mein Mann hat plötzlich eine Midlife-Crisis…
Erzähl mir dein Leben:
„Erzähl mir dein Leben“ ist der Ort, an dem Menschen ihre ganz persönliche Geschichte teilen. Ob große Herausforderungen, kleine Freuden, unerwartete Wendungen oder mutige Entscheidungen – hier findet jede Lebensgeschichte ihren Raum. Durch das Erzählen entdecken wir uns selbst und können auch anderen helfen.
…. und ich erkenne ihn nicht wieder“
Sabine, 45 Jahre alt, ist seit mehr als 20 Jahren mit ihrem Mann Jens verheiratet. Vor einigen Monaten begann Jens, sich drastisch zu verändern.
Sabine, vielen Dank, dass du bereit bist, über diese schwierige Situation zu sprechen. Wann hast du zum ersten Mal gemerkt, dass sich etwas an deinem Mann verändert?
Sabine:
Es war nicht von heute auf morgen, aber über die letzten Monate hat sich das Verhalten meines Mannes stark verändert. Es fing an mit kleineren Dingen – er war unzufriedener, hat sich öfter über seine Arbeit beschwert, obwohl er früher nie ein Problem damit hatte. Dann fing er an, mehr auf sein Äußeres zu achten, was ich zuerst als positiv empfand. Aber es wurde irgendwann merkwürdig: Er kaufte sich teure Kleidung, die überhaupt nicht zu ihm passte, und sprach ständig davon, wieder in Form kommen zu müssen. Das wäre alles nicht so schlimm gewesen, wenn es dabei geblieben wäre. Aber dann kamen größere Veränderungen.
Plötzlich wollte Jens Dinge tun, die er früher nie gemacht hätte. Er sprach davon, dass er sich auf der Arbeit unterfordert fühle und überlegte, seinen Job zu kündigen, um „endlich etwas Sinnvolles“ zu tun. Er sprach sogar davon, alleine zu verreisen – am liebsten mit dem Motorrad quer durch Europa. Und er ließ sich tätowieren. Das passte überhaupt nicht zu dem Mann, den ich kannte, und ich begann mir Sorgen zu machen.
Wie hast du auf diese Veränderungen reagiert?
Sabine:
Am Anfang habe ich versucht, ihn zu unterstützen. Ich dachte, es sei vielleicht nur eine Phase, in der er sich etwas neu orientieren wollte. Wir sind beide in einem Alter, in dem man beginnt, über das Leben nachzudenken – darüber, was man erreicht hat und was man vielleicht verpasst hat. Ich dachte, es wäre normal, dass er sich Fragen stellt. Aber es wurde immer extremer.
Jens zog sich immer mehr von mir zurück. Früher haben wir über alles gesprochen, aber jetzt schien er in einer ganz eigenen Welt zu leben. Es war, als ob ich nicht mehr wirklich zu ihm durchdringen konnte. Er wirkte distanziert, war oft in Gedanken versunken und begann, Dinge zu tun, die ich nicht verstand – wie nächtelang im Internet nach Sportwagen zu suchen, die er sich nicht leisten kann, oder stundenlang Videos über Selbstverwirklichung und „neue Lebenswege“ zu schauen. Ich habe ihn angesprochen und gefragt, ob er über etwas reden möchte, aber er blockte oft ab oder tat so, als wäre alles in Ordnung.
Gab es einen bestimmten Moment, in dem dir klar wurde, dass dein Mann in einer Midlife-Crisis steckt?
Sabine:
Ja, ich glaube, es wurde mir wirklich bewusst, als er anfing, von radikalen Veränderungen zu sprechen – Dinge wie einen Jobwechsel oder die Idee, eine Auszeit zu nehmen und ins Ausland zu gehen, um „sich selbst zu finden“. Er wollte plötzlich alles in Frage stellen, was wir uns über die Jahre aufgebaut hatten. Unsere Ehe, unser Haus, unsere Lebensweise. Er sprach davon, dass er „mehr vom Leben wolle“ und dass er das Gefühl habe, nicht das Beste aus seinen besten Jahren gemacht zu haben.
Dann kam der Moment, als er mir sagte, er wolle „unbedingt etwas Neues erleben“ und sich überlegte, einen Sportwagen zu kaufen. Das passte überhaupt nicht zu ihm. Er war immer der Vernünftige, der Sparsame, derjenige, der sich über unnötige Ausgaben Gedanken machte. Jetzt wollte er plötzlich so viel Geld für etwas ausgeben, was für uns beide nie eine Priorität war.
Das war der Punkt, an dem ich wirklich Angst bekam. Es war nicht mehr nur ein Mann, der sich ein paar Fragen stellte – es war, als ob er versuchte, sein Leben komplett auf den Kopf zu stellen.
Wie wirkt sich das auf eure Ehe aus? Wie geht es dir dabei?
Sabine:
Es ist unglaublich belastend. Ich erkenne meinen Mann nicht wieder, und das ist erschreckend. Wir waren immer ein eingespieltes Team, haben Entscheidungen gemeinsam getroffen, uns gegenseitig unterstützt. Aber jetzt habe ich das Gefühl, dass ich ihm nicht mehr genüge, dass unser gemeinsames Leben ihm nicht mehr reicht. Das tut weh.
Wir streiten auch viel mehr als früher. Früher hatten wir natürlich auch Auseinandersetzungen, aber sie waren nie so intensiv oder so emotional aufgeladen. Jetzt ist es, als ob Jens ständig auf der Suche nach etwas ist, das er nicht finden kann – und ich weiß nicht, wie ich ihm dabei helfen soll. Manchmal habe ich das Gefühl, dass er mir die Schuld für seine Unzufriedenheit gibt, auch wenn er es nicht direkt sagt.
Es gibt Tage, an denen ich mich frage, ob unsere Ehe das überstehen wird. Ich habe Angst, ihn zu verlieren – nicht nur emotional, sondern auch in der Realität. Es gibt Momente, in denen er von „neuen Anfängen“ spricht, und ich frage mich, ob er vielleicht darüber nachdenkt, unsere Ehe zu beenden, um diese „Freiheit“ zu finden, nach der er sucht.
Hast du versucht, mit ihm über deine Ängste und Sorgen zu sprechen?
Sabine:
Ja, mehrmals. Aber es ist schwierig. Jedes Mal, wenn ich versuche, das Gespräch zu führen, blockt er ab oder sagt, ich solle mir keine Sorgen machen. Manchmal wird er sogar wütend und sagt, ich würde ihn nicht verstehen. Ich habe ihm erklärt, dass ich Angst habe, ihn zu verlieren, aber er scheint nicht wirklich zuzuhören. Er ist so in seinen eigenen Gedanken und Gefühlen gefangen, dass er kaum merkt, was das Ganze mit mir macht.
Ich habe ihm auch vorgeschlagen, dass wir vielleicht gemeinsam eine Therapie machen könnten, um besser miteinander zu reden und herauszufinden, was wirklich los ist. Aber er lehnt das ab. Er sagt, er brauche keine Hilfe, er müsse nur „seinen eigenen Weg finden“. Es ist frustrierend, weil ich das Gefühl habe, dass ich ihm nicht helfen kann, selbst wenn ich es will.
Wie gehst du persönlich mit dieser Situation um? Findest du Unterstützung bei Freunden oder Familie?
Sabine:
Ich habe hohen Blutdruck bekommen. Mein Hausarzt hat mich gefragt, was bei mir denn los wäre und dann brach es aus mir heraus. Er hat mir zugehört und mir das Gefühl gegeben, dass ich nicht damit nicht alleine bin. Er hat das wohl schon bei einigen Patienten erlebt und mir geraten, Geduld zu haben. Er meinte, dass diese Phase oft vorübergeht.
Was wünschst du dir für die Zukunft? Denkst du, dass es eine Lösung für eure Situation gibt?
Sabine:
Ich hoffe, dass wir das gemeinsam durchstehen können. Ich liebe Jens, und ich möchte, dass unsere Ehe weiter Bestand hat. Aber ich weiß auch, dass es so nicht weitergehen kann. Es wird wichtig sein, dass wir irgendwann ein offenes Gespräch führen, in dem er mir wirklich zuhört und ich ihm erklären kann, wie sehr mich das Ganze belastet. Es schlägt mir ja jetzt schon auf die Gesundheit.
Ich wünschte mir, dass er versteht, dass es okay ist, Fragen zu stellen und sich über sein Leben Gedanken zu machen – aber dass er mich nicht aus seinem Leben ausschließen kann, während er das tut. Ich will ihm nicht im Weg stehen, aber ich möchte, dass wir diese Reise gemeinsam machen, anstatt dass er sich alleine auf den Weg macht.
Ich denke, es wird Zeit und Geduld brauchen, aber ich hoffe, dass Jens eines Tages erkennt, dass er nicht alles in seinem Leben ändern muss, um Erfüllung zu finden. Manchmal sind die Antworten, die man sucht, näher, als man denkt.
Sabine, vielen Dank, dass du so offen über deine Gefühle und diese schwierige Phase in deiner Ehe gesprochen hast.
Sabine:
Danke dir. Es tut gut, darüber zu sprechen, und ich hoffe, dass andere, die Ähnliches erleben, daraus vielleicht Kraft schöpfen können.
Der Kommentar von Nina, unserem Selbsthilfe-Coach:
Eine Midlife-Crisis kann tiefgreifende Veränderungen in einer Beziehung auslösen
In der Mitte des Lebens kommen viele Menschen an einen Punkt, an dem sie ihre bisherige Existenz in Frage stellen. Sie spüren, dass die Zeit voranschreitet, und plötzlich taucht die Angst auf, etwas verpasst zu haben – als wäre das Leben an ihnen vorbeigerauscht, ohne dass sie es wirklich in vollen Zügen gelebt haben. Es ist wie ein innerer Weckruf, der ihnen sagt: „Jetzt oder nie.“ Fragen wie: „Habe ich auch wirklich alles gelebt, was mir wichtig ist?“ haben die Wucht, die Richtung des Lebens zu ändern.
Für dich, Sabine, fühlt sich das sicher wie ein unerwartetes Erdbeben an. Plötzlich ist da diese Unsicherheit, die dein bisheriges, stabiles Leben erschüttert. Dein Mann stellt Fragen, die auch deine Welt infrage stellen. Du fragst dich vielleicht, ob du ihm nicht genug bist, ob das gemeinsame Leben ihn nicht erfüllt. Doch es ist wichtig zu verstehen, dass diese Suche nach Antworten oft mehr mit der inneren Unruhe deines Mannes zu tun hat als mit dir oder eurer Beziehung. Das Verlangen nach Abenteuer, nach neuen Erfahrungen, nach dem „Mehr“ ist ein Zeichen für eine innere Krise – eine Phase der Reflexion, die manche als Midlife-Crisis bezeichnen.
Die Wahrheit ist, Sabine, dass du in dieser Situation nur begrenzt Einfluss nehmen kannst. Du kannst ihn nicht zwingen, zufrieden zu sein, und du kannst ihm auch nicht die Antworten auf seine inneren Fragen liefern. Das ist ein Prozess, den er selbst durchlaufen muss. Aber was du tun kannst, ist, präsent zu bleiben. Ihm das Gefühl geben, dass du ihn verstehst, dass du an seiner Seite bist – ohne ihn zu drängen oder zu verurteilen. Deine Geduld und emotionale Stabilität können ihm helfen, sich sicher zu fühlen, während er seine eigenen Unsicherheiten durchlebt.
Vielleicht wird er feststellen, dass die Antworten auf seine Fragen nicht im Äußeren liegen – nicht im Sportwagen, nicht in materiellen Dingen oder flüchtigen Abenteuern. Denn oft geht es in solchen Momenten nicht um das, was man tatsächlich erlebt hat oder noch erleben will, sondern um das Gefühl, das man im eigenen Inneren vermisst. Das Bedürfnis nach Abenteuer könnte in Wirklichkeit das Bedürfnis nach Lebendigkeit sein, nach dem Gefühl, im eigenen Leben noch eine aktive Rolle zu spielen, anstatt sich passiv treiben zu lassen.
Es ist auch möglich, dass dein Mann Veränderungen braucht, um sich wieder mit sich selbst zu verbinden. Vielleicht reicht es ihm, neue Hobbys zu entdecken, oder er braucht etwas Zeit für sich, um seine Gedanken zu sortieren. Doch eines ist sicher: Ein Konsumobjekt wie ein Sportwagen mag für den Moment Begeisterung entfachen, aber es wird das tiefere, existenzielle Loch nicht füllen können. Diese Leere kann nur gestillt werden, wenn er sich mit seinen innersten Wünschen und Bedürfnissen auseinandersetzt – und die wahre Erfüllung finden wir in der Regel nicht außerhalb von uns, sondern in uns selbst.
Dein Arzt hat nicht ganz Unrecht, wenn er dir rät, abzuwarten. Manchmal lösen sich Krisen tatsächlich von selbst, sobald die betroffene Person erkannt hat, dass der Wunsch nach Veränderung aus einer inneren Unruhe entspringt, die sich nicht durch äußere Mittel stillen lässt. Dein Mann könnte erkennen, dass das Leben, das ihr euch gemeinsam aufgebaut habt, genau das ist, was ihm Sicherheit und Erfüllung gibt – auch wenn es nicht immer spannend und neu erscheint.
Letztlich geht es bei diesen Lebenskrisen nicht um den Sportwagen oder den Wunsch, etwas völlig anderes zu tun. Es geht darum, sich wieder lebendig zu fühlen, wieder bewusst zu erleben, was man hat. Und du kannst deinen Mann dabei unterstützen, indem du ihm den Raum gibst, den er braucht, ohne ihn dabei aus den Augen zu verlieren. Und denke doch auch einmal an den wichtigsten Menschen in deinem Leben: an dich. Was täte dir gut? Was brauchst du gerade, was nur du dir geben kannst? Sorge gut für dich, weil dein Partner es gerade nicht tun kann.
Deine Geschichte ist es wert, erzählt zu werden. Egal, ob du selbst schreibst oder liest – „Erzähl mir dein Leben“ verbindet uns alle durch das, was uns am meisten ausmacht: unsere Erfahrungen. Du möchtest deine Geschichte erzählen? Dann schreib uns eine Mail an: redaktion@minerva-vision.de.