Wenn die Wut kommt: Als ich ein Loch in unsere Tür getreten habe
Ich habe letzte Woche ein Loch in unsere Schlafzimmertür getreten.
Nicht geschubst. Nicht aus Versehen. Getreten. Mit voller Wucht. Mit meinem rechten Fuß. Die Tür hat ein Loch, und ich habe einen blauen Zeh. Mein Mann stand daneben und hat mich angeschaut, als hätte er mich noch nie gesehen. Vielleicht hatte er das auch nicht. Nicht diese Version von mir.
Wir sind seit 25 Jahren zusammen. Wir streiten uns. Normal. Wer zusammenlebt, streitet sich. Über die Spülmaschine. Über Geld. Über die Frage, ob man die Butter zurück in den Kühlschrank stellen muss oder ob sie auch auf dem Tisch überlebt. Aber das hier? Das ist anders.
Die Wut kommt wie ein Wirbelsturm
Früher, wenn wir uns gestritten haben, war ich sauer. Genervt. Manchmal wütend. Aber dann war es vorbei. Ich habe Luft geholt, er hat sich entschuldigt, ich habe mich entschuldigt, fertig. Jetzt ist da diese neue Kraft. Sie kommt aus dem Magen. Steigt hoch. Langsam erst, dann schneller. Vom Magen in die Brust, in den Hals, in den Kopf. Lodernde, heiße Wut. Und wenn sie oben ist, im Kopf, dann sehe ich rot. Dann brülle ich. Dann sage ich Dinge, die ich nicht zurücknehmen kann. Mein Mann geht dann. Verlässt den Raum. Früher habe ich ihn gelassen. Aber letztens? Letztens bin ich hinterhergerannt. Habe geschrien. Und dann habe ich gegen die Tür getreten.
Das Loch ist etwa so groß wie mein Fußabdruck.
Was ist los mit mir?
Nach der Tür-Sache habe ich zu einer Freundin gesagt: “Ich glaube, ich werde verrückt.” Sie hat gelacht. Nicht gemein. Sondern wissend. “Du wirst nicht verrückt”, sagte sie. “Du bist in den Wechseljahren.” Wechseljahre. Das Wort klang so nach alten Frauen mit Hitzewallungen. Nicht nach mir. Ich bin 48. Ich trage Jeans und Sneaker. Ich höre dieselbe Musik wie meine Tochter. Ich fühle mich nicht alt. Aber die Wut? Die ist neu.
Die Hormone spielen verrückt
Ich habe mich schlaugemacht. Und herausgefunden: Meine Freundin hatte recht. In den Wechseljahren verändert sich der Hormonhaushalt. Über etwa zehn Jahre hinweg hören die Eierstöcke auf, Östrogen und Progesteron zu produzieren. Das kann sehr schnell gehen, manchmal sogar über Nacht.
Und dann gewinnt Testosteron die Oberhand. Das sogenannte “männliche” Hormon. Das war immer da, aber bisher im Hintergrund. Testosteron macht vieles. Es gibt Antrieb. Entschlussfähigkeit. Tatkraft. Aber es kann auch Aggressionen auslösen. Oder verstärken. Wie bei mir.
Nachts ist es am schlimmsten
Nachts liege ich wach. Wache auf gegen drei, vier Uhr. Manchmal schweißgebadet, manchmal einfach nur wach. Und dann kreisen die Gedanken. Die Wut kommt wieder hoch. Der Streit von gestern. Das Loch in der Tür. Die Dinge, die ich gesagt habe. Ich kann nicht wieder einschlafen. Liege da. Starre an die Decke. Zähle die Stunden bis zum Wecker. Ein Teufelskreis.
Mein Mann versteht es nicht
“Was ist los mit dir?”, fragt er. “Du bist so anders.” Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Dass meine Hormone verrücktspielen? Dass ich selbst nicht verstehe, warum ich plötzlich so wütend bin? Dass ich das Loch in der Tür selbst nicht erklären kann?
Er ist vorsichtig geworden. Das macht alles noch schlimmer. Weil ich merke, dass er Angst vor mir hat. Vor meinen Ausbrüchen. Vor der Frau, die ich geworden bin. Ich habe Angst vor mir selbst und ich schäme mich.
Meine Ärztin war super
Irgendwann habe ich einen Termin bei meiner Gynäkologin gemacht. Habe ihr von der Wut erzählt. Von der Tür. Sie hat mich nicht angeschaut, als wäre ich verrückt. Sie hat genickt. Gesagt: “Das kenne ich. Da hat sie aber auch wirklich was gestört!” Ich schaute sie fragend an. “Naja, die Wut kommt ja nicht grundlos”, sagt sie. “Wahrscheinlich waren sie die ganze Zeit über sehr entgegenkommend. Und womöglich wollen sie das nun nicht mehr sein. Manchmal muss eine Frau ihre Grenzen setzen!” Päng. Da saß ich nun. Warum war ich nochmal so wütend geworden? Ich fand, mein Mann so müde aus. Er sagte: “Das bildest du dir nur ein”. Und zack – war die Tür kaputt. “Naja”, sagte die Ärztin. “Er hat ihnen ja auch ihre Wahrnehmung abgesprochen. Logisch, dass das wütend macht. Das ist ja auch eine Grenze. Sie sehen, was sie sehen und sie fühlen, was sie fühlen. Das sollten sie sich nicht von anderen wegnehmen lassen!” So hatte ich das noch nicht gesehen.
Sie hat einen Bluttest gemacht. Hormonstatus. Und sie hat mit mir über Möglichkeiten gesprochen. Sport könne helfen. Ausdauersport stabilisiert nicht nur den Blutdruck, sondern auch die Stimmung. Yoga kann unterstützend wirken. Pflanzliche Hormone. Oder bioidentische Hormone, wenn die Symptome zu stark sind. Aber erst mal: Hormone checken lassen. Und die Wut nicht wegdrücken, sondern lieber fragen: warum bist du da?
Was ich jetzt anders mache
Ich gehe joggen. Wenn ich renne, kann ich schreien. Wenn ich schwitze, fühlt sich die Anspannung ein bisschen weniger an. Wenn ich merke, dass ich wütend werde, isoliere ich mich. Und ich habe mit meinem Mann gesprochen. Richtig gesprochen. Nicht gebrüllt. Gesagt: “Manchmal werde ich zu wütend, dann gehe ich. Lass mich dann einfach in Ruhe, lass mir die Chance, mich selbst wieder zu beruhigen!” Er hat genickt. Und es klappt gut so.
Was ich anderen Frauen sagen möchte
Wenn du plötzlich wütender bist als früher: Du bist nicht verrückt. Du hast deine Grenzen einfach nicht weit genug gesteckt. Es ist Zeit, deinen Boden wieder zu erobern. Ich habe gemerkt, dass meine Wut Recht hat. Ich werde wütend, wenn man mich nicht ernst nimmt. Wenn man über meinen Kopf weg Entscheidungen trifft. Wenn etwas geschieht, was ich nicht gut finde. Meine Wut ist mein Wächter – sie zeigt mir, wenn jemand zu weit geht. Seitdem ich es so sehe, wird sie kleiner. Ich fange an, mich selbst zu verstehen und das tut mir gut. Ich bin heute anders. Es ist, als würde ich jetzt erst checken, wie Leben funktioniert. All dieser soziale Kram. Es ist so, als würde ich plötzlich durch eine andere Brille schauen. Ich sehe Dinge, die ich vorher übersehen habe. Ich spüre, was mir wirklich wichtig ist. Und was nicht.
Die Wut ist nicht nur destruktiv. Sie zeigt mir auch: Hier stimmt etwas nicht. Hier muss sich etwas ändern.
Das Leben danach
Die Wut kommt immer noch. Aber seltener. Und ich habe gelernt, sie zu erkennen, bevor sie mich übermannt. Wenn ich merke, dass sie hochsteigt – vom Magen in die Brust – dann gehe ich raus. Laufe eine Runde. Atme. Mein Mann hat gelernt, die Zeichen zu deuten. Und ich habe gelernt, zu sagen: “Ich brauche jetzt fünf Minuten.” Die Tür hat immer noch ein Loch. Aber ich habe keine neuen Türen eingetreten.
Das zähle ich als Erfolg.
Heute bin ich eine, die vielleicht keine Türen mehr eintritt. Aber eine, die endlich weiß, was sie will.
Birgit Schneider




