
Warum wir nicht zu jedem nett sind – und das okay ist
Wie dein Gehirn dein Mitgefühl und Großzügigkeit steuert – und was das mit einem seltenen Gendefekt in Südafrika zu tun hat
Stell dir vor, du hast 10 Euro.
Jetzt sollst du entscheiden, wie viel davon du einem guten Freund gibst. Leicht, oder? Vielleicht 5. Oder 7, weil du ein gutes Herz hast.
Jetzt die gleiche Frage – aber die andere Person ist ein Fremder.
Immer noch 7? Oder doch eher 1 Euro? Oder „Nichts, danke – ich bin nicht UNICEF“?
Tja. Willkommen im echten Leben.
Zwischen Altruismus und Eigennutz – steuert dein Hirn mit?
Die Wissenschaft hat sich genau das angeschaut. Ein internationales Forschungsteam hat in Südafrika mit einer ganz besonderen Gruppe gearbeitet: Menschen mit dem Urbach-Wiethe-Syndrom. Das ist extrem selten – und führt dazu, dass ein ganz bestimmter Teil des Gehirns nicht richtig funktioniert: die basolaterale Amygdala.
Klingt kompliziert – ist aber spannend. Denn diese kleine Region ist so etwas wie der soziale Regler in deinem Kopf. Sie hilft dir, abzuwägen: Wer ist mir nah? Wem helfe ich mehr? Wem eher nicht?
Die Entdeckung?
Menschen mit beschädigter Amygdala waren zu engen Freunden genauso großzügig wie gesunde Menschen – aber zu Fremden? Eiskalt. Keine Kalibrierung. Kein feines Abwägen.
Nur: „Was bringt mir das?“
Und das ist der Clou: Prosoziales Verhalten braucht nicht nur Mitgefühl – sondern auch ein bisschen Hirnmathematik.
Wenn die Amygdala ausfällt, fehlt uns das Feintuning. Dann gibt es nur noch: Freund = ja. Fremder = nein.
Und was sagt uns das?
Dass unsere soziale Ader nicht bei allen gleich anschlägt – und das ist völlig normal.
Wir sind keine Maschinen. Wir reagieren auf Nähe, Vertrauen, Beziehung. Und ja, auch ein bisschen auf Sympathie.
Und das hat nichts mit Egoismus zu tun, sondern mit einem sehr alten Überlebensprinzip.
Das heißt nicht, dass wir nicht helfen sollen. Im Gegenteil.
Aber es heißt: Du darfst dich menschlich fühlen – selbst wenn du nicht jedem alles gibst.
Also, wenn du das nächste Mal jemandem hilfst, ohne dafür etwas zu erwarten – freu dich.
Und wenn du’s mal nicht tust, dann freu dich auch.
Denn selbst dein Mitgefühl hat ein Zuhause – und das ist in deinem Kopf.
Oder wie ich immer sage:
Das Herz fühlt – aber das Hirn entscheidet, wann.
Hier schreibt Jonas Weber vom Minerva-Vision-Team. Mit einer Mischung aus fundierter Forschung und einer Portion Humor vermittelt er komplexe Themen verständlich und unterhaltsam.Wenn er nicht gerade über die neuesten Erkenntnisse aus der Gehirnforschung schreibt, findet man ihn bei einem guten Espresso, auf der Suche nach dem perfekten Wortspiel oder beim Diskutieren über die großen Fragen des Lebens – zum Beispiel, warum man sich an peinliche Momente von vor zehn Jahren noch glasklar erinnert, aber nicht daran, wo man den Autoschlüssel hingelegt hat.