Psychologie

Typisch Junge, typisch Mädchen: Warum Jungs keine Elsa sein dürfen (oder doch?)

Der Sohn einer Kollegin wollte in diesem Jahr an Karneval unbedingt als Elsa gehen. Blaues Kleid, Glitzer, Zopf – das volle Programm. Und was war die Reaktion? Große Augen, Stirnrunzeln, ein nervöses Kichern. „Ist das dein Ernst?“, fragte eine Mutter lachend. „Der wird doch ausgelacht!“ „Hoffentlich ist das nur eine Phase!“Warum eigentlich? Ein Mädchen im Feuerwehrmann-Sam-Kostüm würde vermutlich niemanden stören. Aber ein Junge im Prinzessinnenkleid? Panik. Das zeigt: Wir haben ganz genaue Vorstellungen davon, was Jungs und was Mädchen dürfen – und vor allem, in welche Richtung die Grenzen verlaufen.

Kleine Helden, große Klischees

Eigentlich ist Elsa ja eine ziemlich coole Figur. Sie hat Superkräfte, sie baut Eispaläste, sie rettet ihre Schwester. Sie ist mutig, unabhängig und zieht ihr eigenes Ding durch. Perfektes Vorbild für einen Jungen, oder? Falsch. Weil Elsa gleichzeitig ein langes Kleid trägt und wunderschöne Haare hat, fällt sie automatisch in die Kategorie „nicht für Jungs geeignet“. Und damit sind wir mitten in einer der hartnäckigsten Gender-Fallen unserer Zeit: Es ist okay, wenn Mädchen „männliche“ Dinge tun – aber wehe, ein Junge wagt sich in die „weibliche“ Ecke. Denn seien wir ehrlich: Wenn eine Tochter mit Batman-Umhang über den Spielplatz rennt, ist das cool. „Die wird sich später durchsetzen!“ Aber wenn ein Sohn als Elsa geht, dann… ja, was dann eigentlich?

Die unsichtbare Hierarchie

Hier ist der eigentliche Kern des Problems: Mädchen dürfen heute stark sein. Aber Jungs dürfen immer noch nicht schwach sein.

Ein Mädchen, das in eine „männliche“ Rolle schlüpft, wird oft bewundert. „Wow, die ist mutig, die setzt sich durch!“ Aber ein Junge, der etwas „Weibliches“ wählt? Der wird belächelt. Oder schlimmer: Man sorgt sich um ihn. Denn Weiblichkeit wird in unserer Gesellschaft immer noch als etwas Minderwertiges betrachtet.

Das zeigt sich nicht nur an Karneval. Es zieht sich durch unser ganzes Leben:

  • Männer in Pflegeberufen? Muss ja irgendeinen Haken haben.
  • Väter, die Elternzeit nehmen? Süß – aber wann arbeiten sie wieder „richtig“?
  • Männer, die offen über ihre Gefühle sprechen? Gern, aber nicht zu viel.

Und dann wundern wir uns, warum sich Männer später so schwertun, Schwäche zu zeigen, über Probleme zu sprechen oder überhaupt mal zu sagen: „Ich weiß nicht weiter.“


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Woher kommt dieser Unsinn eigentlich?

Historisch gesehen ist das ja nichts Neues. Seit Jahrhunderten gibt es klare Rollen: Der Mann schützt, die Frau sorgt. Der Mann ist aktiv, die Frau passiv. Und die wenigen Frauen, die in der Geschichte als Kriegerinnen oder Herrscherinnen bekannt wurden, mussten sich oft erst einmal als „stark wie ein Mann“ beweisen, bevor man sie ernst nahm. Aber heute, in einer Welt, in der Frauen Pilotinnen werden, Männer in Elternzeit gehen und eine Kanzlerin das Land geführt hat – warum sind wir immer noch so nervös, wenn ein Junge ein Prinzessinnenkleid trägt?

Rosa für Mädchen, Blau für Jungs – alles andere bringt den Markt durcheinander

Natürlich steckt da auch eine ganze Menge Wirtschaft dahinter. Die Spielzeugindustrie hat früh erkannt, dass man viel mehr verkaufen kann, wenn man den Markt einfach in zwei Teile spaltet:

  • Rosa Puppenhäuser auf der einen Seite.
  • Blaue Actionhelden auf der anderen.

Und wehe, ein Kind greift zur „falschen“ Seite. Es könnte ja… glücklich sein?

Warum das alles nicht nur Karneval betrifft

Wenn ein Junge immer wieder hört, dass er „kein Mädchen sein soll“, lernt er nicht nur, dass bestimmte Dinge „nicht für ihn“ sind. Er lernt auch, dass es schlecht ist, sich „wie ein Mädchen“ zu verhalten.

Und das führt langfristig zu echten Problemen:

  • Jungen trauen sich weniger, ihre Gefühle zu zeigen, weil sie früh gelernt haben, dass „weich sein“ nicht erwünscht ist.
  • Männer in Pflege- oder Sozialberufen sind unterrepräsentiert, weil solche Berufe als „weiblich“ gelten.
  • Viele Männer haben Schwierigkeiten, sich in emotionalen Beziehungen wirklich zu öffnen.
  • Und möglicherweise glauben sie ja auch, als Jungs seien sie von Natur aus “besser” als die Mädchen. Eine fixe Idee, unter der die Mutter von so manch pubertierendem Jungen später sehr leiden wird.

Was nun?

Also, was tun, wenn der eigene Sohn als Elsa gehen will oder die Tochter lieber mit Autos spielt? Hier kommen die 5 besten Tipps:

  1. Einfach machen lassen. Es ist nur ein Kostüm. Es ist nur ein Spielzeug. Niemand plant hier gerade eine gesellschaftliche Revolution – die Kinder wollen einfach nur Spaß haben.
  2. Klare Haltung zeigen. Wenn Eltern ihr Kind dabei unterstützen, es selbst zu sein, zeigen sie ihm, dass es genau richtig ist – so, wie es ist.
  3. Vorbilder bieten. Geschichten erzählen, die Vielfalt zeigen. Bücher, Filme und Serien mit starken weiblichen und einfühlsamen männlichen Charakteren anschauen.
  4. Nicht alles kommentieren. Manchmal hilft es, einfach gar nichts zu sagen. Wenn ein Junge mit Puppen spielt oder ein Mädchen auf Bäume klettert – warum müssen wir das überhaupt thematisieren?
  5. Selbst Vorbild sein. Warum sollte Papa nicht backen oder Mama den Reifen wechseln? Kinder sehen, was wir tun – nicht, was wir sagen.

Mehr Elsa-Mut für alle!

Die Geschichte vom Elsa-Jungen zeigt: Wir haben noch einen langen Weg vor uns, wenn es um echte Freiheit in der Erziehung geht. Aber wir können heute anfangen, Dinge zu ändern – indem wir Kindern erlauben, das zu sein, was sie sein wollen. Ob Baggerfahrer, Fee oder beides zugleich. Denn am Ende ist es doch nur ein Karnevalskostüm – oder?

Der Minerva-Kommentar von Nina, unserem Lifestyle-Coach: Ein Junge als Prinzessin?

Kinder kommen nicht mit vorgefertigten Vorstellungen davon auf die Welt, was „männlich“ oder „weiblich“ ist. Sie entdecken ihre Interessen, sie spielen, sie probieren aus. Sie folgen ihrer Neugier – bis wir ihnen sagen, dass etwas „nicht für sie“ ist. Doch wessen Unsicherheit spricht da? Die des Kindes – oder unsere eigene?

Wenn ein Mädchen als Piratin geht, lächeln wir stolz und sagen: „Eine echte Kämpferin!“ Wenn ein Junge als Elsa geht, kommt die Frage: „Aber warum will er denn so etwas?“ Und genau hier beginnt die wirkliche Herausforderung in der Erziehung: Sind wir bereit, die Freiheit, die wir für Mädchen fordern, auch unseren Söhnen zuzugestehen?

Ein Junge, der sich für Elsa entscheidet, entscheidet sich nicht gegen seine Identität. Er entscheidet sich für einen Charakter, den er bewundert. Für Fantasie. Für Spaß. Es ist ein Spiel, nicht ein Statement. Und wenn wir ihn dabei ausbremsen, wenn wir ihn vor Ablehnung schützen wollen, dann schützen wir ihn nicht wirklich – wir begrenzen ihn. Wir geben ihm nicht den Mut, den er braucht, um sich selbst zu finden, sondern lehren ihn, sich anzupassen.

Aber Erziehung ist keine Anpassung, sondern Beziehung. Unser Job ist es nicht, Kinder in Rollen zu zwängen, sondern sie zu begleiten. Ihnen zu zeigen, dass sie liebenswert sind – genau so, wie sie sind. Nicht, weil sie unseren Erwartungen entsprechen, sondern weil sie ihre eigenen entdecken. Wenn wir wirklich Gleichberechtigung wollen, dann geht es nicht darum, Mädchen stark zu machen – sondern auch darum, Jungen sanft sein zu lassen. Und wenn ein Junge als Elsa geht, dann vielleicht, weil er etwas längst verstanden hat, woran wir uns noch abarbeiten: Dass echte Stärke nichts mit Geschlecht zu tun hat.

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