Freizeit

Seine Hunde retten Menschenleben

Mit dem Einsatz seiner Suchhundestaffel im Ahrtal wurde Manfred Burdich praktisch über Nacht bekannt. Er ist Gründer der Arbeitsgemeinschaft Mantrailing und Ausbildungsbeauftragter für Personensuchhunde, Hundetrainer, aktiver Therapiebegleithund- und Rettungshundeführer sowie jahrelanges Mitglied des Expertenteams der Fachmagazine „HundeWelt“ und „HundeWelt Sport“. 

Wie kamen Sie auf die Idee, Ihren Hund zum Rettungshund auszubilden?

„Das Ganze entstand tatsächlich relativ zufällig. Ich hatte damals einen Hund, auch aus zweiter Hand, und der war ein Ball-Junkie, er hat also wirklich ein Suchtverhalten gezeigt. Ich wollte, dass er sich zur Abwechslung auch mit mir beschäftigt, anstatt Tag und Nacht einem Ball hinterherzujagen. Und so habe ich nach einer alternativen Beschäftigung gesucht, etwas, wobei der Hund runterfährt und sich konzentrieren muss. In erster Linie also weg von diesem extremen Bewegungsreiz. So sind wir dann auf die Sucharbeit gekommen. Sucharbeit ist eigentlich das Natürlichste für den Hund und somit das Naheliegendste.

Wir haben dann ganz klein angefangen, indem wir einfach an verschiedenen Orten diverse Gegenstände versteckt haben, die der Hund dann gesucht hat. Auf Dauer wurde uns das aber etwas langweilig und wir sind auf’s Mantrailing gestoßen. Zu dieser Zeit wurde es bereits in der Schweiz praktiziert, in Deutschland hingegen war es nahezu unbekannt. Das Mantrailing stand in seinen Anfangsschuhen und so hat jeder für sich experimentiert und sich ausgetauscht. Ich habe mir dann Literatur aus den Vereinigten Staaten besorgt und mich ins Thema eingelesen. Dass der Hund nicht einen Gegenstand, sondern die Spur eines Menschen verfolgt, fanden wir total spannend und reizvoll. Auch Freunde schlossen sich uns nach und nach an und so wurden wir immer mehr, haben unseren Radius erweitert, neue Locations kennengelernt und daraus ist letztendlich unsere Rettungshundestaffel entstanden. Irgendwann, als sich herumgesprochen hat, dass wir Personensuche mit Hunden betreiben, kamen die Behörden auf uns zu. Das war unsere Motivation, uns zu professionalisieren. Wir haben sie beispielsweise bei der Suche nach abgängigen Menschen aus dem Altenheim unterstützt. Und so sind aus zwei befreundeten Paaren, die in ihrer Freizeit mit den Hunden mantrailen, ein Verein „Arbeitsgemeinschaft Mantrailing – Rettungshundestaffel & Therapiehundezentrum“ mit rund 250 Mitgliedern entstanden.“ Manchmal sind ungeplante Dinge doch die schönsten.

Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Einsatz?

„Natürlich, den ersten Einsatz vergisst man nicht. Der ist immer besonders, das habe ich auch im Buch beschrieben. Dieser Einsatz berührt mich tatsächlich bis heute noch und ich erzähle es auch ganz gerne immer, wenn wir Seminare halten. Dazu muss man sich erstmal Folgendes vorstellen: Wir leben hier total ländlich, jeder kennt jeden. Und es gab ein Mädchen, so im Grundschulalter, die jeden Tag nach der Schule ihre Oma besuchte. Nun hatte die Oma eines warmen Nachmittags einen Spaziergang machen wollen, der Wald lag quasi fast vor ihrer Tür. Von diesem Spaziergang kehrte sie aber nie wieder zurück. Und so stand das Mädchen vor verschlossenen Türen. Die Aufregung war groß und die Feuerwehr rückte sofort aus. Alles wurde abgesucht. Die Polizei war da, mit einer Hundertschaft, der Hubschrauber suchte nach der älteren Dame – vergeblich. Die Angehörigen haben uns daraufhin gefragt, ob wir nicht mit unseren Hunden suchen könnten. Dazu muss man sagen, dass wir damals noch keine Rettungshundestaffel waren, dennoch waren wir im Umkreis für unsere Suchhundearbeit bekannt. Die Polizei stimmte zu und wir durften die Spur aufnehmen. Also liefen wir die Gegend ab, es war inzwischen Nacht. Mein damaliger Hund hat mir dann tatsächlich eine Spur angezeigt – an einer Stelle zog er dann den Berg herunter. Da es aber so dunkel war, konnten wir erst am nächsten Tag weitersuchen. Wir waren uns sicher, da unten musste irgendwas sein. Und so wurde eine Rettungshundestaffel mit einem Flächensuchhund aus einem Nachbarlandkreis in Thüringen hinuntergeschickt. Dieser fand die ältere Dame dann tot in einer Kuhle auf, und zwar so, dass der Hubschrauber mit der Wärmebildkamera sie nicht hat entdecken können. Heute würde man sagen, das Suchergebnis war richtungsweisend, also erfolgreich, weil wir im Prinzip dadurch den Hinweis gegeben haben, da unten in dieser Senke, da könnte sie sein. Auf der anderen Seite ärgert man sich natürlich, dass man nicht noch die letzten 100 Meter gelaufen ist. Das ist so ein typischer Konflikt, mit dem man dann zu tun hat. Aber für unseren ersten Einsatz waren wir per Definition erfolgreich. Und auch dieses Zusammenspiel zwischen Mantrailer und Flächensuchhund, was wir immer befürworten, hat wirklich gut funktioniert.
Das Bewegendste war aber, dass die Enkelin der Verstorbenen durch diese Aktion sehr geprägt wurde. Sie litt sehr darunter, dass sie sich nicht von ihrer Oma verabschieden konnte. Da es sehr heiß war und sie auch schon mehrere Tage in der Hitze lag, hatte die Verwesung bereits deutliche Spuren hinterlassen. Daraufhin haben uns die Eltern gefragt, ob wir das Mädchen mal zum Suchhundetraining einladen würden, und das haben wir natürlich gemacht! Das war für dieses Mädchen, so haben uns dann die Eltern berichtet, wirklich eine sehr schöne Geschichte, weil sie dann über den Hund, also tatsächlich über meinen Hund, der ja richtungsweisend war, einen Weg gefunden hat, sich von ihrer Oma zu verabschieden.“

Suchen kann theoretisch ja jeder Hund, oder? Was aber zeichnet einen guten Spürhund aus?

„Ja, suchen kann jeder Hund. Egal ob Mops oder Schäferhund. Natürlich gibt es wesentliche Unterschiede hierbei. Ein Punkt ist die Anatomie. Wenn man so einen kurzschnauzigen Hund hat, also ich nehme jetzt mal den Mops oder die französische Bulldogge als Beispiel, dann kann dieser „nur“ just for fun suchen. Solche Hunde werden aufgrund ihrer Kurznäsigkeit relativ schnell erschöpft sein. Das heißt, sie scheiden für den Rettungshundebereich vollkommen aus. Für diese Hunde gibt es aber tolle Möglichkeiten, ihrem Geruchssinn nachzugehen. Für die etwas professionellere Variante eignen sich mittelgroße Hunde, vor allem natürlich Jagdhunde, da Trailing im Prinzip nichts anderes ist, als Jagen. Ich sage dem Hund halt, anstatt dem Reh suchst du die menschliche Spur, die abgängig ist. Deswegen eignen sich tendenziell mittelgroße Hunde mit längerer Schnauze besser für die professionelle Suchhundearbeit. Laut meiner Erfahrung klappt es mit Retrievern, Jagdhunden, aber auch Mischlingshunden am besten. Auch Hunde aus dem Tierschutz können sich hierbei super anstellen. Prinzipiell spielt die Rasse eigentlich nur eine untergeordnete Rolle. Wichtig ist natürlich, dass der Hund einen gewissen Jagd- und Beutetrieb hat. Das macht zumindest die Ausbildung etwas leichter. Wenn die Hunde verfressen sind, kann das auch helfen, weil ich den Hund dann leichter motivieren kann, der vermissten Person zu folgen. Er sollte also ein bisschen Beutetrieb haben und gerne ein bisschen verfressen oder zumindest verspielt sein. Für den Fun-Bereich eignet sich eigentlich jeder Hund, der Spaß am Suchen hat. Der Hund muss immer wollen, nie müssen. Das ist ganz wichtig bei uns. Wenn ich einen Hund habe, der Spaß hat, der körperlich dazu in der Lage ist, der die Suchleidenschaft, die Suchintensität mitbringt, dann wird der auch ein guter Rettungshund sein. Letztendlich muss man sich immer das Mensch-Hund-Team anschauen. Brennen beide dafür? Es gibt immer zweierlei Hundetypen: die einen, die sehr hochtriebig sind, denen das total viel Spaß macht, das sind die, die relativ schnell lernen, die später aber auch manchmal zur Oberflächlichkeit neigen. Und dann gibt’s die Hunde, die man am Anfang etwas mehr motivieren muss, die vielleicht ein bisschen länger brauchen, um eine Spur zu verfolgen, die aber vielleicht sehr akribisch und spurtreu sind. Von daher ist alles möglich und ich würde nie einen Hund von vornherein ausschließen.“

Beim Mantrailing gibt der Mensch quasi die Führung an den Hund ab. Was kann das mit dem Hund und auch der Mensch-Hund-Beziehung machen?

„Sie wird definitiv intensiver. Und es ist wirklich spannend für beide Seiten, weil es ein Paradigmenwechsel ist. Und an diesen muss sich der Hund als auch der Mensch gewöhnen. Im Alltag gibt normalerweise der Mensch die Richtung vor und erwartet, dass der Hund folgt. Beim Trailen ist es genau umgekehrt – da gibt der Mensch die Führung an den Hund ab. Man muss seinem Hund vertrauen und daran glauben, dass er auf der richtigen Spur ist und dass er die richtigen Entscheidungen trifft. Er bestimmt das Tempo, er bestimmt die Richtung, er bestimmt die Abzweigungen und er übernimmt die Führung.

Wie wirkt sich diese Arbeit auf ängstliche, unsicherere Hunde aus?

„Wenn man Hunde mit wenig Selbstvertrauen hat, die vielleicht auch schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht haben, die eher ängstlich und zurückhaltend sind, kann das den Effekt haben, dass man sie durch die gemeinsame Sucharbeit auch wieder im Selbstvertrauen so weit stärken kann, dass die eben nicht mehr als Angsthund durchs Leben gehen. Im Idealfall gewinnen sie an Selbstbewusstsein und bauen neues Vertrauen gegenüber dem Menschen auf. Wir arbeiten ja auch mit Tierschutzhunden, häufig mit sogenannten „Problemhunden“, und da sehen wir diese Entwicklung ganz gut. Sie haben oftmals ein Problem mit Männern und wir setzen dann tatsächlich beim Trailen auch bewusst Männer oder Menschen mit Hut ein. Und am Anfang läuft es immer so, dass sich der Mensch erstmal spielerisch mit dem Hund beschäftigt und sich ihm langsam annähert. Und wenn die Hunde dann deren Spur verfolgen, dann merken sie schnell, dass dieser Mensch gar keine Bedrohung darstellt. Zudem gibt es immer eine Belohnung, wenn der Hund diese Person gefunden hat. Und so verknüpft der Hund das vorher „Unheimliche“ mit etwas Positivem. So kann man tatsächlich sehr unsichere und ängstliche Hunde aus der Reserve locken und sie neue Lebensqualität gewinnen lassen. Ich habe selbst einen Hund im Alter von vier Jahren aus Rumänien adoptiert und habe erlebt, wie er durch die Arbeit gewachsen ist. Wir hatten ziemlich viel Arbeit miteinander. Aber genau diese Herausforderungen machen für mich aber auch den Reiz an Tierschutzhunden aus.

Und wie wirkt es auf stürmischere, aggressive Hunde?

„Aggression gegenüber Artgenossen ist für unsere Arbeit nicht unbedingt ein Ausschlusskriterium. Da haben wir auch einige Fälle. Bei denen finde ich es schön, zu beobachten, wie sie beim Trailen dann so in ihrer Geruchswelt sind. Auch unverträgliche Hunde können ihre Spur konsequent verfolgen, ohne sich dabei von ihren verfeindeten Artgenossen ablenken zu lassen – selbst wenn sich mal die Spuren kreuzen. Aggressionen gegenüber Menschen ist ein bisschen schwieriger. Wir haben schon mal Hunde mit Maulkorb geführt, das ist unter gewissen Umständen möglich, eignet sich für den Rettungshundebereich aber eher nicht. In der Freizeit wäre die Sucharbeit aber grundsätzlich eine tolle Chance für zu Aggression neigende Hunde.“

Auf welchen Moment hätten Sie vielleicht lieber verzichtet? Und wie geht man mit solchen Erlebnissen um?

„Verzichten möchte ich auf keinen. Aber ich kenne natürlich auch Fälle, in denen andere Kollegen die Suchhundearbeit aufgegeben haben, weil sie mit gewissen Erlebnissen nicht umgehen konnten. Mir fällt direkt eine Geschichte von einer Kollegin ein, die damals mit ihrem Hund eine Wasserleiche gefunden hat. Sie war den Anblick einer Wasserleiche nicht gewöhnt und dieser war so schlimm für sie, dass sie aufgehört hat. Von daher muss man ein bisschen darauf vorbereitet sein und man braucht im Zweifel auch schon mal psychische Unterstützung, um das Erlebte zu verarbeiten. Das haben wir auch bei diesem Einsatz im Ahrtal ja erlebt. Die Arbeit kann auch belastend sein, weil nicht jeder Fund mit einem Lebendfund endet. Und damit muss man umgehen können. Wir in unserem Verein versuchen, entsprechend Unterstützungsleistungen zu bieten. In unserer Ausbildung wird man darauf auch vorbereitet.“

Zu guter Letzt – was wünschen Sie sich für die Zukunft des Mantrailings?

„Ich würde mir wünschen, dass alle, die sich professionell mit Mantrailing befassen, ihr Wissen zusammenlegen. Ich finde es immer schön, wenn man ein Wissenspool erstellt, Trainingsmethoden austauscht oder darüber diskutieren kann, wer am besten welches Problem löst. Manchmal kommt man beispielsweise als Mantrailer mit einem Vermisstenproblem nicht weiter und dann braucht man vielleicht eher einen Flächensuchhund – oder andersherum! Also dieses Netzwerken, das würde ich mir verstärkt wünschen! Mehr Zusammenarbeit und weniger Missgunst in der Szene.“

Zum Weiterlesen:

Das einzige Buch, das man über Mantrailing lesen muss

Manfred Burdich

Minerva Verlag, Mönchengladbach

Format 17 x 24 cm

ISBN 978-3-910503-14-4

100 Seiten mit Bildern.

Ist mein Hund geeignet? Der Tipp vom Profi: „Um die Suchleidenschaft des eigenen Hundes zu testen, kann man einfach mal irgendwo ein bisschen Futter oder ein Spielzeug verstecken und dann schauen, ob der Hund sucht oder ob er gleich aufgibt. Einfach mal spielerisch anfangen und beobachten und dann sieht man schon, wie triebig er dabei ist und wie intensiv er sucht.“

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