Mist. Mist, Mist, Mist, Mist – MIST …
Mein Leben mit MS:
Hallo und herzlich willkommen bei MS-Voices! Ich bin Irene, und hier dreht sich alles um das Leben mit Multipler Sklerose (MS). Als ich vor einigen Jahren die Diagnose erhielt, hat sich mein Alltag auf den Kopf gestellt – und ich war plötzlich mit unzähligen Fragen, Ängsten und Herausforderungen konfrontiert. In diesem Blog möchte ich meine persönlichen Erfahrungen mit euch teilen und Menschen eine Stimme geben, die unter MS leiden. Wie ist das wirklich, mit MS zu leben? Wie verändert es den Alltag, die Beziehungen und die Zukunftsplanung? Hier gibt es ehrliche Einblicke, praktische Tipps und die ein oder andere Anekdote aus meinem Leben – direkt aus dem Herzen einer Betroffenen.
Eigentlich wollte ich ja „Scheiße“ schreiben. Aber Papa hat gesagt, dass man das nicht sagt oder schreibt. Und das erst recht nicht in der Öffentlichkeit. Okay. Papa, du hast gewonnen! Dann sage und schreibe ich eben MERDE! Das ist die feine und elegante, französische Version des gleichen
Wortes. Zufrieden? schnaub…
Warum ich so aufgebracht bin?
Ich kann mich gerade nicht entscheiden, ob ich eine Panikattacke bekommen soll, oder das heulende Elend. Das Schlimme dabei ist, dass ich eine Entscheidung getroffen habe, die dumm ist; die definitiv falsch ist. Aber niemand hat gesagt, dass ich perfekt bin. Will ich auch gar nicht sein. „Perfekt sein“ gehört für mich in die Kategorie Hochglanzmagazine. ICH bin ICH, und da lasse ich mir auch von niemandem reinreden. Um ehrlich zu sein: Der einzige, auf den ich hören würde, wäre mein Jens. Aber da mir sein Rat nicht gefallen würde, habe ich ihm bisher nichts erzählt. Das kann ich immer noch machen – wenn es mir wieder besser geht. Oder wenn es gar nicht mehr anders geht.
Heute Nacht bin ich wach geworden, weil irgendwas komisch war mit meinem Bein.
Ich hatte die Decke weg gestrampelt und dachte erst an Kälte, weil mein Bein im Freien lag. Aber es war irgendwie anders. Ich konnte mein Bein zwar irgendwie verlagern, aber ich war nicht in der Lage meinen Fuß zu bewegen! Er war regelrecht taub und ich konnte den Fuß weder strecken noch anziehen. Ich habe mich in Panik aufgesetzt und ihn befühlt. Aber ich habe nicht gefühlt, dass ich ihn befühlt habe! Ich habe nur gesehen, dass meine Hände an meinem Fuß und Bein waren. In dem Moment jagte erst ein „pelziges“ Gefühl von den Zehen angefangen bis hoch in meinen Oberschenkel. Gefolgt von dem Gefühl, als würden Tausende von Ameisen über Fuß und Bein krabbeln; dann ein brennender Schmerz. Und da war es mir schlagartig klar: Die MS zeigt ihre hässliche Fratze. Ich hatte sofort die
Bilder vor Augen, als ich 2016, von einer Sekunde auf die andere, im Rollstuhl saß – weil ich weder stehen noch gehen konnte.
Ich habe gemerkt, dass Panik in mir aufgestiegen ist, und ich wollte ins Bad.
Aber als erstes bin ich gegen die Fensterbank geknallt, weil das rechte Bein nicht mehr spürbar war. Mir sind die Tränen in die Augen geschossen und ich dachte nur: Nein, nein, nein, bitte nicht! Ich habe mich gefangen und wollte die restlichen fünf Meter im Schlafzimmer zurücklegen. Bei jedem Schritt ist mein Knie nach
hinten durchgeschlagen und ich habe immer wieder das Gleichgewicht verloren. Bin jedes Mal gegen den Schrank gekippt. Als ich dann im Flur war und die restlichen fünf Meter ins Bad zurück gelegt habe, habe ich meinen Fuß wieder gespürt. Pelzig und irgendwie taub, aber immerhin wieder ein
Gefühl. Im Bad habe ich mich dann hingesetzt und gesehen, dass mein Fuß in der Bobfahrerstellung war: er hat nach links und nach unten gezeigt. Das ist KEINESFALLS die natürliche Stellung eines Fußes!
Ich bin dann circa 15 Minuten sitzen geblieben und, nach dem ersten Schock, unfallfrei wieder ins
Schlafzimmer gekommen. Habe mich nochmal hingelegt; es war erst 02.23 Uhr. Und da ratterten die Gedanken.
Für mich Albtraum-Kopfkino der schlimmsten Art.
Ich konnte zwar wieder „spüren“ und „laufen“. Aber ich wusste (und weiß!) genau, dass ich eigentlich ins Krankenhaus gehöre. Fünf Tage Kortison-Stoßtherapie à 1000 mg. Wieder gefühlt Hunderte von Spritzen und Nadeln in meinem Körper. Wieder die Diskussionen, warum bei mir die sogenannten Butterflys zum Einsatz kommen sollen und keine Braunülen.
Zur Erklärung: der Unterschied zwischen Butterflys und Braunülen
Butterflys sind hauptsächlich für Blutentnahmen und kurzfristige Medikamentengaben geeignet. Sie sind ideal für Menschen mit feinen Venen, Kinder und ältere Menschen. Sie werden in der Regel nach jeder Anwendung entfernt und sind nicht für Dauerinfusionen geeignet (Anmerkung: eine knapp zweistündige intravenöse Kortisongabe ist keine Dauerinfusion!). Sie ermöglichen eine schmerzarme Punktion durch einen speziellen Präzisionsschliff.
Braunülen sind für längerfristige intravenöse Therapien konzipiert und können mehrere Tage in der Vene bleiben. Sie ermöglichen wiederholte Medikamentengaben ohne erneute Punktion.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Butterflys eher für kurzfristige Anwendungen wie Blutentnahmen geeignet sind, während Braunülen für längerfristige intravenöse Therapien verwendet werden.
Und genau diese schwierigen Venenverhältnisse liegen bei mir vor.
Durch die jahrelangen Infusionen mit dem MS-Medikament Tysabri (wird alle vier Wochen per Infusion verabreicht) sind meine Venen vernarbt und das Legen der Braunülen ist oft sehr schmerzhaft für mich. Da es aber im Krankenhausalltag einfacher für das Pflegepersonal ist (die dürfen dann die Infusionen einfach anhängen; Butterflys dürfen nur durch einen Arzt oder speziell dafür ausgebildetem Personal gelegt
werden), „bestehen“ die natürlich oft darauf, Branülen zu legen. Wenn sie dann liegen, dann tun sie mir oft weh. Und da das Pflegepersonal sich oft weigert, ziehe ich sie mir nach den einzelnen Infusionen selbst raus. Darauf folgt immer wieder großes Geschrei beim Personal. Mir egal. MEIN Körper, MEINE Regeln. Die könnten ja auch durchaus mal auf mich hören. ICH kenne meinen Körper doch am besten und WEISS, was in dieser Hinsicht funktioniert und was nicht. Naja, und dann werde ich wieder von Pontius nach Pilatus innerhalb des Krankenhauses geschickt. Zig Blutabnahmen, um Werte zu checken, die mein Neurologe sowieso schon standardmäßig checkt. Die gleichen Untersuchungen, die mein Neurologe ebenfalls bei mir vornimmt. Zwei Stunden Infusion pro Tag und dann „Hängen im Schacht“ – also nichts mehr. Zimmernachbarinnen, die mir ihre Geschichten aufzwängen und in ein Gespräch verwickeln wollen, die das Zimmer elendig
aufheizen und dann auch noch in der Wärme und dem Mief schlafen wollen, weil sie bei geschlossenem Fenster schlafen. Nachmittäglicher Besuch, von mehreren Personen meist, die für mich eine üble Geräuschkulisse darstellen, obwohl Ruhe so wichtig ist für mich.
Ganz ehrlich? Vielleicht bin ich ja jetzt überempfindlich.
Aber ICH WILL DAS NICHT MEHR! Nichts von dem.
Auch wenn ich weiß, dass es nicht richtig ist, ausgerechnet jetzt auf die Kortison-Stoßtherapie zu verzichten. Mein Gehirn ist aktiv und richtet Schaden an meinen Nervenbahnen an. Trotzdem. Ich werde es dieses Mal „aussitzen“.
Wie geht es mir im Moment? Ich sitze hier, habe die Beine hochgelegt und schreibe. Die Empfindungsstörungen im rechten Bein halten an. Zusätzlich macht mir mein linkes Bein Sorgen. Es fühlt sich nicht zuverlässig an und ich habe immer wieder Muskelkrämpfe (Spastiken) im linken Oberschenkel. Ich habe Schmerzen. Es geht mir nicht gut. Ich möchte eigentlich nur noch heulen.
Übermorgen ist mein Urlaub vorbei und ich muss wieder funktionieren. Bin mit dem Bus unterwegs.
Wartezeiten im Stehen. Wird das alles wieder funktionieren?
Was bringt dich an deine Grenzen?alte Wasser zu springen Was ist mit euch? Gibt es Entscheidungen, die noch vor euch liegen und euch vielleicht Angst machen? Springt, damit ihr fliegen könnt!
Sie hat das Buch geschrieben, das sie selbst gebraucht hätte. Als Irene die Diagnose MS bekam, zog ihr das den Boden unter den Füßen weg – und zwar wortwörtlich. Ihr Weg zeigt im Rückblick, dass auch das Klinikpersonal oft nur unzureichend ausgebildet ist. Physiotherapie in warmem Wasser? Wohltuend, aber bei einer Entzündung im Gehirn nicht sehr förderlich. Ehrlich schreibt sie, welche Medikamente und Therapien ihr geholfen haben und welche nicht. Was einem Menschen mit MS zusteht, wo man sich Unterstützung holt und wie man eine gute Klinik erkennt. “Spring, damit du fliegen kannst” ist Irenes Beitrag für alle, die unter MS leiden. Mit dem Podcast MS-Voices gibt sie Betroffenen eine Stimme und kämpft um Sichtbarkeit und Relevanz der Erkrankung.