Mindful Moments

Meine Hitzewallungen: Warum redet da keiner drüber?

Meine erste Hitzewallung bekam ich in der Kirche. Bei der Taufe meines Patenkindes. Ich saß in der dritten Reihe, die Orgel spielte, der Pfarrer sprach von Segen und Gottes Liebe, und plötzlich war da diese Hitze. Aus dem Nichts. Als hätte jemand einen Föhn in meinen Nacken gehalten.

Ich wusste nicht, was mit mir los war. Es lief. Einfach so. Der Schweiß sammelte sich im Nacken, tropfte den Rücken hinunter, durchnässte meinen Kragen. Ich versuchte, ruhig zu bleiben, nicht aufzufallen, nicht zu zappeln. Aber innerlich? Innerlich war Panik.

Danach führte meine Freundin mit mir “das Gespräch”. Sie nahm mich beiseite, schaute mich an mit diesem wissenden Blick und sagte: “Willkommen im Club. Ab jetzt trägst du immer ein Handtuch in der Handtasche.”

Ein Handtuch. In der Handtasche. Wie ein Survival-Kit für den Alltag.

Sie zeigte mir ihre Kollektion: kleine Tücher, die den Nackenschweiß aufnehmen. Unauffällig, praktisch, waschbar. “Du wirst deine besten Freunde”, sagte sie. Und sie hatte recht.

Willkommen im Club der 85 Prozent

So viele sind wir. 85 Prozent aller Frauen bekommen Hitzewallungen in den Wechseljahren. Drei bis 20 Mal am Tag können sie uns überfallen. Manchmal dauern sie nur Minuten, manchmal eine ganze Stunde.

Und trotzdem hatte mir niemand vorher davon erzählt. Nicht meine Mutter. Nicht meine Ärzte. Nicht die Frauenzeitschriften, die ich jahrelang gelesen hatte. Als wäre es ein Geheimnis, über das man nicht spricht.

Aber wenn 85 Prozent von uns das durchmachen, ist es kein Geheimnis. Es ist Realität.


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Was passiert da eigentlich?

Die Wissenschaft sagt: Dein Östrogenspiegel sinkt. Das führt zu einer vermehrten Ausschüttung des Stresshormons Adrenalin und einer Fehlsteuerung der Thermoregulation im Gehirn. Auf Deutsch: Dein Körper denkt, er sei zu heiß, obwohl er es gar nicht ist. Der Hypothalamus im Gehirn ist irritiert und löst die Kühlreaktion aus: Schwitzen. Viel Schwitzen.

Die Hitze beginnt meist im Brustbereich und breitet sich wellenartig über Hals und Gesicht bis in die Oberarme aus. Innerhalb von Sekunden bist du schweißgebadet. Dein Herz rast. Deine Haut wird rot. Und dann, genauso plötzlich, ist es vorbei. Du fröstelst. Zu heiß, zu kalt, zu heiß, zu kalt. Dein Körper weiß nicht mehr, was richtig ist.

Die Nächte sind die Hölle

Tagsüber kann ich improvisieren. Ich trage den Zwiebellook. Habe mein Tuch dabei. Öffne Fenster. Fächle mir Luft zu. Und ich trage nur noch weiß oder schwarz, damit man die Schwitzeflecken nicht sieht. Ist halt jetzt so. Aber nachts?

Nachts wache ich auf, schweißgebadet. Das Nachthemd klebt an mir. Das Bettzeug ist nass. Ich stehe auf, ziehe mich um, manchmal wechsle ich sogar die Bettwäsche. Um drei Uhr morgens. Um vier. Und dann liege ich wach. Kann nicht wieder einschlafen. Die Gedanken kreisen. Die Erschöpfung kommt. Am nächsten Tag bin ich wie gerädert und eigentlich vollkommen erschöpft,

Wie lange noch?

Das habe ich meine Ärztin gefragt. “Wie lange muss ich das aushalten?” Sie sagte: “Im Durchschnitt etwa fünf Jahre.” Fünf Jahre! Das klang wie eine Ewigkeit. Inzwischen habe ich meine Strategien entwickelt.

Ich trage Schichten. Baumwolle, keine Synthetik. Ich verzichte abends auf Wein – auch wenn es schwerfällt. Kein Kaffee nach 15 Uhr. Keine scharfen Gewürze zum Abendessen. Das alles kann Hitzewallungen triggern.

Ich treibe Sport, weil Sport nachweislich gegen Hitzewallungen hilft. Ausdauersport stabilisiert den Blutdruck, stärkt Herz und Kreislauf. Der Temperaturregler im Gehirn wird besser im Gleichgewicht gehalten.

Ich habe pflanzliche Mittel ausprobiert. Traubensilberkerze, Salbei, Rotklee. Die Apothekerin meinte, die Inhaltsstoffe sollen regulierend in den Hormonhaushalt eingreifen. Ob es hilft? Bei mir nicht wirklich. Aber jeder Körper ist anders.

Und ich habe mit meiner Ärztin über Hormonpräparate gesprochen. Die sind derzeit die wirksamsten Mittel gegen Hitzewallungen. Aber sie können auch Nebenwirkungen haben. Ich überlege noch.

Das Tabu

Weißt du, was das Schlimmste ist? Nicht die Hitze. Es ist die Scham. Die Scham, wenn es im Meeting passiert und du spürst, wie alle schauen. Die Scham, wenn du dich umziehen musst, weil dein Oberteil durchgeschwitzt ist. Die Scham, weil du denkst, jeder sieht, dass du “in dem Alter” bist.

Aber warum eigentlich? Warum schämen wir uns für etwas, das 85 Prozent von uns durchmachen?

Weil wir jahrzehntelang gelernt haben, dass Frauen immer frisch und makellos sein müssen. Weil Schwitzen nicht weiblich ist. Weil die Wechseljahre in unserer Gesellschaft wie ein Geheimnis behandelt werden. Das ist Unsinn. Wenn 85 Prozent von uns das erleben, dann ist es keine Ausnahme. Dann ist es die Regel.

Das Gespräch mit meiner Freundin

Meine Freundin, die mich damals in der Kirche gerettet hat, ist inzwischen durch mit den Wechseljahren. “Irgendwann ist es vorbei”, sagt sie. “Versprochen.” Sie erzählt mir, dass etwa zwei Drittel aller Frauen unter Wechselbeschwerden leiden, die ihre Lebensqualität beeinträchtigen. Aber die meisten schweigen. Funktionieren weiter. Tun so, als wäre alles in Ordnung. “Frauen werden ab einem gewissen Alter unsichtbar”, sagt sie. “Und auch ihre Bedürfnisse werden nicht wahrgenommen. Aber das muss sich ändern.” Sie hat recht.

Warum ich jetzt darüber schreibe

Weil ich nicht mehr schweigen will. Weil ich möchte, dass andere Frauen wissen: Du bist nicht allein. Wenn du nachts schweißgebadet aufwachst, bist du nicht allein. Wenn du im Meeting rot wirst und denkst, alle schauen, bist du nicht allein. Wenn du erschöpft bist und nicht weißt, wie du das noch Jahre durchstehen sollst, bist du nicht allein. 85 Prozent von uns kennen das. Und die meisten haben es etwa fünf Jahre lang durchgemacht und sind auf der anderen Seite wieder rausgekommen.

Es geht vorbei. Aber bis dahin darfst du darüber reden. Darfst dir Hilfe holen. Darfst auch mal jammern.

Was ich anderen Frauen sagen möchte

Ich habe angefangen, mit anderen Frauen darüber zu sprechen. Mit Kolleginnen. Mit Freundinnen. Mit meiner Tochter. Wir sind die unsichtbare Mehrheit. Aber je mehr wir sprechen, desto sichtbarer werden wir. Heute hatte ich drei Hitzewallungen. Eine am Morgen beim Kaffee. Eine mittags im Supermarkt. Eine abends beim Fernsehen. Ich habe mein Tuch dabeigehabt. Habe mir Luft zugefächelt. Habe das Fenster geöffnet. Und dann war es vorbei. Die Hitze kommt. Die Hitze geht. Und irgendwann, so sagen sie alle, ist sie für immer weg. Ich warte darauf. Aber bis dahin? Bis dahin trage ich mein Handtuch in der Handtasche. Und spreche darüber. Laut und deutlich. Denn das Schweigen über Hitzewallungen? Das ist vorbei und das ist auch gut so. Es ist nichts, wofür man sich schämen sollte! Es ist Natur.

Traudi Winzer

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