Der Metzger war’s! – Warum unser Kopf uns Dinge schmecken lässt, die gar nicht besser sind
Wie wir uns selbst austricksen – und warum das gar nicht schlimm ist
Du glaubst, du triffst bewusste Entscheidungen?
Du meinst, du erkennst Qualität, wenn du sie siehst – oder schmeckst? Irrtum.
Aber dennoch herzlichen Glückwunsch. Denn du gehörst zu uns allen.
Denn: Wir alle lassen uns täuschen. Täglich. Vom Preis, von der Verpackung, vom Etikett – und manchmal sogar von einem Datum.
Nicht, weil wir dumm sind. Sondern weil wir Menschen sind. Und Menschen haben ein Gehirn. Und das arbeitet nicht wie eine Faktenmaschine – sondern eher wie ein hochsensibler Meinungsverstärker.
Der Metzger schlägt den Discounter – auch wenn’s dieselbe Wurst ist
Prof. Dr. Helmut Quack (ja, der heißt wirklich so – und das allein hätte schon eine Studie verdient) von der Hochschule Düsseldorf hat mit seinem Team in 76 Experimenten untersucht, wie leicht wir zu beeinflussen sind, wenn’s um Geschmack, Qualität oder Wahrnehmung geht.
Eines dieser Experimente war besonders köstlich – im wahrsten Sinne:
Zwei Wurstsorten wurden getestet.
Einmal im Blindversuch: Niemand wusste, woher die Wurst kam.
Einmal offen: Mit dem Wissen, dass die eine Wurst vom Metzger und die andere vom Discounter stammte.
Das Ergebnis?
Im Blindtest: Gleich gut.
Im offenen Test: Der Metzger siegt haushoch.
Warum?
Weil wir nicht mit dem Mund schmecken, sondern mit dem Kopf.
Die Macht des Mindesthaltbarkeitsdatums
In einem anderen Versuch ging’s um Naturjoghurt. Zwei völlig identische Produkte – nur: Bei einem stand, es sei „abgelaufen“. (War es natürlich nicht.)
Und was passierte?
- Einige Proband:innen fanden ihn weniger lecker.
- Manche kosteten nur zögerlich.
- Eine Person wurde sogar übel.
Was war schuld?
Nicht der Joghurt. Sondern die Erwartung.
In der Psychologie nennt man das den Nocebo-Effekt – das Gegenteil vom Placebo:
Nicht: Ich glaube, es hilft – also hilft es.
Sondern: Ich glaube, es ist schlecht – also wird’s mir schlecht.
Zwischen objektiv und gefühlt liegen oft Welten
Ob Gütesiegel, Preis, Verpackung, Farbe oder Markenname – unser Gehirn verarbeitet Informationen nicht neutral.
Es macht sich ein Bild. Und dann schmeckt, fühlt oder denkt es entsprechend.
Oft völlig unabhängig vom realen Produkt.
In seinem neuen Buch „Der Kopf manipuliert die Sinne“ fasst Prof. Quack genau diese Phänomene zusammen – mit Beispielen aus der Praxis und Strategien, wie man sich weniger manipulieren lässt.
Spoiler: Ganz entkommen werden wir dem nie. Aber: Bewusstsein schützt vor Blindheit.
Was lernen wir daraus?
- Wahrnehmung ist keine Wahrheit.
Dein Gehirn macht Vorschläge – keine Urteile. - Unser Geschmack ist beeinflussbar.
Und das ist keine Schwäche – sondern ein faszinierendes Zusammenspiel aus Erfahrung, Erwartung und Emotion. - Wir sehen nicht, was ist – sondern was wir glauben, was ist.
Und manchmal reicht ein „abgelaufen“-Schild, um das leckerste Produkt in einen Magenkrampf zu verwandeln.
Was nehmen wir mit?
Du bist kein Opfer deiner Sinne – aber auch nicht ihr Chef.
Dein Gehirn meint es gut mit dir.
Aber manchmal interpretiert es zu viel.
Oder wie ich’s sagen würde:
**Nicht immer, wenn dir etwas besser schmeckt, ist es wirklich besser. Manchmal schmeckt dir einfach nur das, woran du glaubst.**
Und das ist auch okay.
Solange du beim nächsten Metzgerbesuch nicht sagst:
„Ich hätte gern 100 Gramm Erwartung, bitte. Fein aufgeschnitten.“
Hier schreibt Jonas Weber vom Minerva-Vision-Team. Mit einer Mischung aus fundierter Forschung und einer Portion Humor vermittelt er komplexe Themen verständlich und unterhaltsam.Wenn er nicht gerade über die neuesten Erkenntnisse aus der Gehirnforschung schreibt, findet man ihn bei einem guten Espresso, auf der Suche nach dem perfekten Wortspiel oder beim Diskutieren über die großen Fragen des Lebens – zum Beispiel, warum man sich an peinliche Momente von vor zehn Jahren noch glasklar erinnert, aber nicht daran, wo man den Autoschlüssel hingelegt hat.