Psychologie

Ich habe Angst vor dem Altern.“

Erzähl mir dein Leben:

„Erzähl mir dein Leben“ ist der Ort, an dem Menschen ihre ganz persönliche Geschichte teilen. Ob große Herausforderungen, kleine Freuden, unerwartete Wendungen oder mutige Entscheidungen – hier findet jede Lebensgeschichte ihren Raum. Durch das Erzählen entdecken wir uns selbst und können auch anderen helfen.

Alt werden ist in unserer Gesellschaft verpönt.

Wir halten uns jugendlich – warum eigentlich? Ein Gespräch mit Anna, 42 Jahre alt, die offen über ihre Ängste spricht, älter zu werden. 


Anna, vielen Dank, dass du bereit bist, über dieses Thema zu sprechen. Wie ist es für dich, älter zu werden?

Anna:
Es ist ehrlich gesagt eine ständige Auseinandersetzung. Ich hätte nie gedacht, dass mich das Thema Altwerden so sehr beschäftigen würde, aber je näher ich den 40ern kam, desto präsenter wurde die Angst. Die ersten Fältchen waren da und auf einmal war ich nicht mehr ganz ich. Es fühlt sich an wie ein „Verlust“. Es ist nicht nur der körperliche Aspekt – Falten, graue Haare, der Körper, der nicht mehr so mitmacht wie früher – es ist auch das Gefühl, dass die Zeit mir etwas wegnimmt. Meine Jugend, meine Möglichkeiten. Mein Leben rinnt mir durch die Finger. Früher habe ich das gar nicht so realisiert. Man lebt in den 20ern, Anfang 30 und denkt kaum daran, dass sich das jemals ändern könnte. Aber jetzt, mit 42, merke ich, dass die Zeit wirklich vergeht – schneller, als ich es erwartet hätte.

Was genau macht dir am Älterwerden am meisten Angst?

Anna:
Ich glaube, es ist diese Kombination aus körperlichen und emotionalen Veränderungen. Die Vorstellung, dass mein Körper irgendwann nicht mehr so funktioniert wie früher, beunruhigt mich sehr. Ich merke jetzt schon, dass ich länger brauche, um mich von Verletzungen zu erholen, oder dass ich schneller erschöpft bin. Früher konnte ich stundenlang tanzen, ohne darüber nachzudenken – heute spüre ich meinen Rücken nach einer Nacht in unbequemen Schuhen.

Dann ist da natürlich das Thema Schönheit. Ich weiß, dass Aussehen nicht alles ist, aber wir leben in einer Gesellschaft, die Jugend regelrecht glorifiziert. Es gibt überall Werbung, Filme, soziale Medien, die uns ständig zeigen, wie „perfekte“ junge Menschen aussehen. Oder Jennifer Aniston – mit über 50 sieht sie besser aus als ich. Und dann schaut man in den Spiegel und sieht, dass man nicht mehr in diese Idealvorstellung passt. Das nagt an einem. Ich merke, dass ich immer öfter nach Anti-Aging-Produkten greife und mich dabei ertappe, zu denken: „Was, wenn das nicht mehr genug ist?“ Aber es ist nicht nur die Angst vor dem körperlichen Verfall. Es ist auch die Sorge, nicht mehr relevant zu sein, dass ich eines Tages aufwache und das Gefühl habe, dass meine besten Jahre hinter mir liegen. Dass die Möglichkeiten, die das Leben bietet, irgendwann einfach weniger werden. Was, wenn ich nicht alles erlebe, was ich erleben möchte? Manchmal denke ich, ich hetze nur so durch die Welt und komme nie an. 

Hast du das Gefühl, dass der gesellschaftliche Druck, jung zu bleiben, größer wird?

Anna:
Absolut. Man kann ihm kaum entkommen. Überall wird einem suggeriert, dass Jungsein gleichbedeutend mit Erfolg, Attraktivität und Lebensfreude ist. Besonders als Frau spüre ich diesen Druck. Es ist, als ob man in der Öffentlichkeit nur so lange wirklich „sichtbar“ ist, wie man jung und frisch aussieht. Die Medien zeigen ständig junge, makellose Gesichter – und die wenigen älteren Frauen, die wir sehen, entsprechen oft unrealistischen Schönheitsstandards.

Ich glaube, das verstärkt diese innere Unruhe. Denn man fängt an, sich zu vergleichen. Man fragt sich, warum man nicht so aussieht wie jemand in einem Hochglanzmagazin oder auf Instagram. Ich weiß natürlich, dass vieles davon gefiltert und bearbeitet ist, aber das Gefühl bleibt trotzdem, dass man irgendwie nicht mehr „dazugehört“, wenn man älter wird.

Wie gehst du mit diesen Ängsten um? Gibt es Strategien, die dir helfen, das Älterwerden zu akzeptieren?

Anna:
Eine gute Frage. Ehrlich gesagt ist es eine Qual. Aber was soll ich tun? Gegen das Alter ist ja nunmal kein Kraut gewachsen. Ich habe mir eine Liste gemacht mit Dingen, die ich erlebt habe und noch erleben möchte. Das hat den Druck etwas genommen. Was mir dann auch hilft, ist, mich daran zu erinnern, was das Älterwerden mir bisher gegeben hat. Mit den Jahren habe ich mehr Selbstvertrauen gewonnen, ich bin weniger abhängig von der Meinung anderer und habe das Gefühl, mich selbst besser zu kennen. Das ist etwas, das ich als junge Frau nicht hatte. 

Außerdem versuche ich, meinen Körper nicht als Feind zu betrachten, sondern als etwas, das mich durch das Leben trägt – auch wenn er sich verändert. Ich habe angefangen, mich mehr auf meine Gesundheit zu konzentrieren, nicht um „jung zu bleiben“, sondern um mich gut zu fühlen. Sport, gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf – all das hilft mir, eine bessere Verbindung zu meinem Körper zu haben. Und ich bin ein Bio-Hacker, also ein Freund von Nahrungsergänzungen, Vitaminen, Mineralien und tue alles, um so lange wie möglich in Bestform zu bleiben. 

Aber natürlich gibt es auch Tage, an denen die Ängste überwiegen. Denn in Wahrheit habe ich natürlich Angst vor dem Tod. Wir alle leben nicht ewig, aber in seiner Jugend denkt man nicht daran. An solchen Tagen erlaube ich mir, traurig oder frustriert zu sein. Es bringt nichts, diese Gefühle zu unterdrücken. Ich glaube, der Schlüssel liegt darin, einen Weg zu finden, das Älterwerden zu akzeptieren, ohne ständig dagegen anzukämpfen und seinen Frieden damit zu machen, dass das Leben nicht ewig währt. 


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Gibt es bestimmte Momente oder Situationen, in denen du das Älterwerden besonders stark spürst?

Anna:
Ja, besonders bei Familienfeiern oder Treffen mit alten Freunden. Es ist interessant, wie solche Anlässe oft zu einem Moment der Reflexion werden. Man sieht, wie die Kinder von Freunden heranwachsen, oder hört Geschichten von Menschen, die bereits in Rente gehen – und plötzlich realisiert man, dass man selbst in dieser Phase des Lebens ist, in der die Zeit spürbar vergeht.

Auch wenn ich auf alte Fotos schaue oder an Erlebnisse aus meiner Jugend denke, spüre ich diesen Unterschied. Es fühlt sich fast surreal an, dass ich die Person auf den Bildern bin. Es ist, als ob das Leben so schnell an mir vorbeigezogen ist, und ich versuche, hinterherzukommen.

Wie siehst du deine Zukunft? Was wünschst du dir für die kommenden Jahre?

Anna:
Ich will, dass mein Leben Bedeutung hat. Also, dass ich meinen Lebenssinn finde und auslebe und ich habe gelernt, dass ich dazu auf mich hören muss. Ich kann nicht einfach eine Vision von anderen leben, sondern ich muss meinen eigenen Weg finden. Und dann, wenn ich älter bin, möchte ich zufrieden zurückschauen und sagen: „Ich habe alles gelebt, was in mir war!“ Und das habe ich bisher einfach zuwenig gemacht. Ich habe immer alles gemacht, was andere von mir erwarten. Und deshalb konzentriere ich mich zur Zeit darauf, was ich in meinem Leben noch erleben möchte, anstatt mich nur damit zu beschäftigen, was ich möglicherweise verpasse.

Außerdem möchte ich mehr Zeit in Beziehungen investieren – zu Freunden, zu meiner Familie, aber auch zu mir selbst. Es geht nicht nur darum, was ich in meiner Jugend gemacht habe oder wie ich früher ausgesehen habe. Es geht darum, wie ich mein Leben jetzt lebe, und was ich aus den Jahren mache, die noch vor mir liegen.

Ich glaube, dass ich es vielleicht, ganz vielleicht, schaffe, dass ich irgendwann, die Falten und grauen Haare nicht mehr als Bedrohung zu sehen, sondern als Zeichen dafür, dass ich gelebt habe.

Anna, vielen Dank für deine Offenheit und dass du so ehrlich über deine Ängste gesprochen hast.

Anna:
Gern. Ich denke, es ist wichtig, dass wir über solche Themen sprechen. Wir alle werden älter, und das sollte nichts sein, wovor wir uns verstecken müssen.hen, und ich hoffe, dass andere, die in einer ähnlichen Situation sind, daraus vielleicht etwas Trost oder Unterstützung ziehen können.


Der Kommentar von Nina, unserem Selbsthilfe-Coach:

“Annas Geschichte zeigt, dass der Druck, jung zu bleiben, und die Angst vor dem Älterwerden tief verwurzelt sind, besonders in einer Gesellschaft, die Jugend idealisiert. Anna ist nicht alleine mit ihren Sorgen. Dabei ist es natürlich Unsinn: was ist an einem grauen Haar bitte beängstigend? Es ist ein graues Haar und das springt uns  nicht plötzlich an, beißt uns ins Gesicht um uns zu töten. Was ich damit  meine ist: ein graues Haar ist keine akute Bedrohung für unser Leben. Aber es ist ein Zeichen für Vergänglichkeit und mahnt uns an den Kreislauf des Lebens. 

Doch genau das ist es, was vielen Menschen Angst macht: Das graue Haar steht symbolisch für das Fortschreiten der Zeit, für Veränderungen, die wir nicht aufhalten können. Es erinnert uns daran, dass wir älter werden, dass unser Körper sich verändert, und letztlich, dass wir sterblich sind. Es ist also nichts anderes, als die Angst vor dem Sterben, die hier getriggert werden. Diese Gedanken können überwältigend sein. Denn eines ist klar: wir wissen nicht, was nach dem Tod auf uns zukommt. Klar, viele liefern jetzt hohle Phrasen und sagen dann Dinge wie: „Was wäre, wenn wir lernen könnten, die grauen Haare zu feiern, anstatt sie zu fürchten?“ Oder „Was bedeutet Altern wirklich? Es bedeutet Lebenserfahrung, Weisheit, Erinnerungen, all die Dinge, die uns zu der Person machen, die wir heute sind. Der Druck, jung bleiben zu müssen, ist letztlich eine Illusion – eine, die uns die Freude am Hier und Jetzt raubt.“ Das sind so typische Yoga-Phrasen, die aber nicht wirklich helfen. Denn eines ist sicher: wir wissen nicht, was nach dem Tod passiert. Und nun kann der eine Mensch mit dieser Ungewissheit ganz gut leben, andere hingegen tun sich damit schwer. Der eine Mensch hat gelernt, zu vertrauen, der andere eben nicht. Das ist nunmal so. Es ist der Kontrollverlust, die Angst vor dem Ungewissen, die sie umtreibt, oft verbunden mit der Sorge, sich ins Nichts aufzulösen. Ich habe Menschen während des Sterbeprozesses begleitet, und die haben exakt diese Ängste. Meiner Erfahrung nach sterben die Menschen übrigens erst dann, wenn sie ihren Frieden geschlossen haben und bereit für den Übergang sind. Und dann ist das eine friedliche und schöne Stimmung. Nach dem Tod betreten wir Neuland. Übrigens haben wir das auch bei unserer Geburt getan. Der Raum in der Fruchtblase wurde zu eng und wir mussten uns auf den Weg in das Unbekannte machen. Vorher haben wir im Wasser gelebt, danach haben wir Luft geatmet. Was kann uns besser trösten als das? Liebe Anna, wie war deine Geburt? Wurde sie vielleicht künstlich eingeleitet? Warst du ein Kaiserschnitt-Kind? Denen fehlt es oft an innerer Gewissheit, dass am Ende des Weges Neuland wartet, das entdeckt werden will. Ansonsten finde ich, machst du es großartig. Ich habe in meiner Arbeit oft erlebt, dass Menschen, wenn sie sich wirklich mit ihrer Sterblichkeit konfrontieren, plötzlich innehalten und tiefe Fragen stellen: Was bleibt von mir? Was bedeutet es wirklich, loszulassen? Diese Fragen lassen sich nicht mit oberflächlichen Antworten wegwischen. Es braucht Zeit, Raum und manchmal auch die Bereitschaft, sich dieser Angst wirklich zu stellen – ohne sie sofort überdecken zu wollen. Dieses Leben wurde dir geschenkt, wie jedem von uns. Es ist zum Leben da und es ist gut und richtig, dass du dich fragst, wie du es leben möchtest. Du bist noch jung genug, um alles zu verwirklichen, was in dir ist. Viele Menschen stellen sich die Frage erst am Ende ihres Lebens und dann ist es zu spät, um die Beziehung zu den Kindern zu reparieren oder Freundschaften zu beleben. In dem Moment, wo du ganz zufrieden mit dir bist, werden dir deine Falten und deine grauen Haare auf einmal egal sein. Und dazu bist du auf einem sehr guten Weg. Wenn man sich seinen Ängsten stellt, kann der Prozess des Älterwerdens zu einer Reise werden, die zur Erfüllung und zur tiefen Seelenruhe führt.”

Deine Geschichte ist es wert, erzählt zu werden. Egal, ob du selbst schreibst oder liest – „Erzähl mir dein Leben“ verbindet uns alle durch das, was uns am meisten ausmacht: unsere Erfahrungen. Du möchtest deine Geschichte erzählen? Dann schreib uns eine Mail an: redaktion@minerva-vision.de.

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