
Ich, du, wir: MS in (m)einer Beziehung
Mein Leben mit MS:
Hallo und herzlich willkommen bei MS-Voices! Ich bin Irene, und hier dreht sich alles um das Leben mit Multipler Sklerose (MS). Als ich vor einigen Jahren die Diagnose erhielt, hat sich mein Alltag auf den Kopf gestellt – und ich war plötzlich mit unzähligen Fragen, Ängsten und Herausforderungen konfrontiert. In diesem Blog möchte ich meine persönlichen Erfahrungen mit euch teilen und Menschen eine Stimme geben, die unter MS leiden. Wie ist das wirklich, mit MS zu leben? Wie verändert es den Alltag, die Beziehungen und die Zukunftsplanung? Hier gibt es ehrliche Einblicke, praktische Tipps und die ein oder andere Anekdote aus meinem Leben – direkt aus dem Herzen einer Betroffenen.
Über Nähe, Rücksicht und unerschütterlichen Zusammenhalt
Wenn man die Diagnose Multiple Sklerose bekommt, denkt man zuerst an sich selbst. An den eigenen Körper, an den eigenen Alltag, an die eigenen Ängste. Doch schnell wird klar: Diese Krankheit betrifft nicht nur mich. Sie verändert uns – als Paar, als Einheit, als Lebensgemeinschaft, als Team.
Seit sechs Jahren bin ich mit Jens zusammen. Sechs Jahre Liebe, Verbundenheit und auch: sechs Jahre voller Herausforderungen. Er ist mein Fels in der Brandung, mein Rückhalt, mein Zuhause in Menschengestalt. Und ich glaube, wir beide hätten damals nicht gedacht, wie viel wir gemeinsam würden aushalten und überstehen müssen. Doch das Leben fragte nicht um Erlaubnis. Es kam einfach. Die MS auf meiner Seite, die Schatten seiner Vergangenheit auf seiner. Und trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – sind …
Nähe in schwierigen Zeiten
MS verändert vieles, das weiß jede und jeder, der selbst betroffen ist oder jemanden liebt, der betroffen ist. Was aber nicht verschwunden ist – zum Glück – ist meine Sexualität. Ich spüre da keinen Verlust. Im Gegenteil: Gerade das Bedürfnis nach Nähe ist für Jens und mich etwas Kostbares. Nicht nur körperlich, sondern vor allem emotional. Wenn die Welt da draußen mal wieder kalt, chaotisch oder überfordernd ist, dann reicht oft ein Blick, eine Berührung, ein Satz: „Ich bin hier.“
Aber Liebe bedeutet eben nicht nur Nähe, sondern auch Rücksicht. Jens ist Einsatzveteran – er leidet unter einer schweren Form von PTBS. Und genauso wie er meine Grenzen respektiert, achte ich auf seine. Manchmal sind es Worte, Geräusche, Situationen, die ihn triggern können. Und manchmal bin ich es, die sich zurückziehen muss, weil mein Nervensystem überfordert ist. Doch in dieser feinen Abstimmung, in diesem gegenseitigen Ernstnehmen, liegt eine ganz tiefe Form von Vertrauen.
Wir haben zusammen gelacht – und geweint
Man sagt, Liebe sei ein schönes Gefühl. Ich finde, Liebe ist auch eine Entscheidung. Eine Entscheidung, einander zuzuhören, einander zu halten, auch wenn das Leben nicht rosarot ist. Und das war es bei uns wahrlich nicht immer. Die MS hat mir Zeiten gebracht, in denen ich mich selbst nicht wiedererkannte. Jens hatte Phasen, in denen er sich in sich selbst zurückzog, um seine Dämonen zu bändigen. Doch was uns nie verlassen hat, ist unser Humor. Wir lachen. Viel. Und ehrlich.
Es gibt Momente, in denen wir uns mit einem einzigen Wort in Tränen aus Heiterkeit versetzen können. Manchmal reicht auch ein Blick. Ein Insider. Eine Erinnerung. Und in anderen Momenten – da müssen wir nicht lachen. Da reicht eine Hand, die schweigend nach der anderen greift.
„Niemand wird zurückgelassen“
Das ist ein Satz, den Jens mir beigebracht hat. Es ist ein Soldatenspruch. Und mittlerweile ist es auch mein Motto geworden. Denn genau das beschreibt unser Wir: Wir lassen uns nicht zurück. Nicht, wenn einer stolpert. Nicht, wenn einer müde wird. Nicht, wenn einer aufgeben will. Dann kommt der andere, stützt, hebt, bleibt – einfach da.
Ich weiß, dass Beziehungen unter der Last einer chronischen Erkrankung oft ins Wanken geraten. Ich kenne Geschichten von verlassenen Partner:innen, von Einsamkeit zu zweit. Und ich kann euch sagen: Ich bin unendlich dankbar, dass es bei uns anders ist. Nicht, weil wir perfekt sind – um Gottes willen, das sind wir nicht. Aber weil wir ehrlich sind. Verletzlich. Und verbunden.
MS als Beziehungstest? Vielleicht.
Ja, es ist nicht immer leicht. Es gibt Tage, an denen ich mir wünsche, einfach mal “normal” zu sein. Ohne Erschöpfung. Ohne Schmerzen. Ohne das ständige Planen und Abwägen. Und es gibt Tage, an denen Jens kämpfen muss – mit Erinnerungen, die nie ganz verschwinden, mit einem Nervensystem, das Alarm schlägt, wo längst Frieden sein sollte.
Aber dazwischen gibt es so viel Schönes. Unsere Gespräche auf dem Sofa. Die Momente, in denen wir im Auto sitzen und plötzlich beide dasselbe Lied anstimmen. Unsere kleinen Rituale. Die Sicherheit, nicht allein zu sein – selbst wenn es mal finster wird.
Und irgendwann – irgendwann fliegen wir vielleicht wirklich nach Australien. Ein Traum von mir seit Jugendtagen. Und jetzt ist dieser Traum greifbarer geworden, weil Jens’ Tochter dort lebt. Vielleicht besuchen wir sie gemeinsam. Vielleicht stehe ich irgendwann wirklich dort, wo das Outback beginnt, und sage: „Siehst du, Jens – sogar dieser Traum wurde wahr. Mit dir.“
MS verändert – Liebe auch
MS verändert vieles. Aber Liebe verändert auch. Sie wächst. Sie reift. Sie hält aus, was wir allein nicht könnten. Ich weiß nicht, was noch auf uns zukommt. Aber ich weiß, dass wir es gemeinsam tragen werden. Und dass wir uns – egal, was passiert – nie, nie zurücklassen.
Denn wir sind mehr als Ich und Du.
Wir sind Wir.
Die Musketiere.
Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, diesen Beitrag zu lesen! Ich hoffe, dass meine Erfahrungen dir ein Stück Klarheit oder Ermutigung schenken konnten. Als ich die Diagnose MS bekam, fühlte ich mich oft allein und überfordert. Genau deshalb habe ich ein Buch geschrieben, das ich selbst damals so dringend gebraucht hätte. „Spring, damit du fliegen kannst.: Ein Selbsthilfe-Ratgeber für MS-Erkrankte und ihre Angehörigen.“ Es ist bei Minerva-Vision erschienen. Wenn du Interesse hast, schau es dir gerne an – vielleicht ist es genau das, was auch dir weiterhelfen kann. Oder hör dir meinen Podcast „MS-Voices“ an. Bis zum nächsten Mal!
Du hast auch MS und möchtest mit mir in meinem Podcast darüber sprechen? Dann schreib mir eine Mail an: redaktion@minerva-vision.de.