Psychologie

Heldengeschichten: Flut über Nacht

Nach dem schweren Flutunglück im Ahrtal setzen Rettungskräfte Hunde ein, um die Trümmer zu durchsuchen. Manfred Burdich leitete die Rettungshundestaffel.  

Wie war Ihr erster Eindruck? Was hat man gesehen?

So etwas ist nicht vorstellbar. Man schaut sich die Bilder natürlich im Fernseher an und sieht, wie schlimm es ist. Aber vor Ort ist es dann noch einmal schlimmer. Es ist brütend heiß, alles von Schlamm bedeckt. Der Schlamm ist oft mit Öl vermischt und der Gestank ist kaum auszuhalten. Mückenschwärme schwirren umher und es ist brüllend laut. Menschen rufen, um den Motorenlärm der Fahrzeuge zu übertönen, die die Häuser freiräumen oder Reste von Brücken beseitigen. Man kann sich das schwer vorstellen, wenn man es nicht erlebt hat. Zwar sieht man mal ein Interview mit einem Betroffenen in den Nachrichten, aber das wirkliche Ausmaß zeigt sich nicht. Es ist wie nach einem Bombenangriff. Alles ist zusammengebrochen: Die Straßen, Brücken, nichts ist befahrbar. Als wir eintreffen, ist die Chaosphase vorüber. Die Landstraßen zu den Dörfern sind frei. Aber man weiß nie, was einen erwartet, das ist eine starke psychische Belastung. 

Hatten Sie Zeit für die Vorbereitung?

Wir wurden am Montag für Mittwoch angefragt, hatten also 48 Stunden Vorlauf. In der Zeit konnten wir uns mit Material versorgen und die Verpflegung organisieren. Es ist immer eine große Freude, wenn man einen Lebenden findet. Aber das war leider nicht die Aufgabe. Wir mussten die Leichen aufspüren. So etwas ist natürlich nicht einfach und es flossen auch Tränen. 

Unsere Aufgabe war es, die Stellen zu markieren, wo eine Leiche von unseren Hunden geortet wurde. Dann trugen die Bagger das Geröll ab und die Leichen wurden geborgen. Gerade für die Leute, die die Leichen bergen und die ungeschult sind, war das natürlich eine enorme psychische Belastung. Einmal hatte ein Baggerfahrer eine Kinderleiche in seiner Schaufel. So etwas vergisst man nicht …

Unser Team arbeitet fast vollständig im Gesundheitswesen und hat Erfahrungen, auch mit Leichen. Aber auch für uns war die Nachbesprechung sehr wichtig. Wir redeten darüber, was uns bedrückt und was wir erlebt haben, um es zu verarbeiten. Wir haben auch PsychologInnen im Verein, an die man sich wenden kann, falls man den Einsatz nicht gut verkraftet hat. 

Zwischendurch im Einsatz gab es auch viele Pausen, wo wir Hundeführer mit unseren Hunden irgendwo im Schatten saßen und warteten. Da kamen dann auch manche Bewohner des Dorfes und suchten Gespräche. Gerade an die Hunde haben sie sich gewendet. Da hat man gemerkt, dass es bei den Betroffenen großen Redebedarf gibt. Der Einsatz von Therapiehunden, die wir auch bei uns im Verein ausbilden, scheint eine gute Möglichkeit zu sein, um Menschen bei ihrer Verarbeitung zu helfen. In solchen Fällen bedarf es an einer guten psychosozialen Notfallversicherung, bei der man den Hund gut als Türöffner einsetzen kann. 

Am Einsatz waren wir in einer Sportstätte untergebracht und bekamen dann immer wieder Gebiete zugeteilt, die wir mit unseren Hunden absuchen sollten. Es kam auch vor, dass jemand nachts bei uns ans Zelt geklopft hat und noch ein Team brauchte. Alles, was man da erlebt, wird erst hinterher realisiert und verarbeitet. Während der Einsätze hat man gar keine Zeit, darüber nachzudenken, was gerade alles passiert. Da funktioniert man nur und das ist auch wichtig.“

Der Schlamm war so hart, dass man ihn wässern musste, um ihn abtransportieren zu können. Wie eine feste Tonschicht. Konnten die Hunde unter solchen Bedingungen etwas wittern? 

An manchen Stellen ist man bis in die Knie eingesunken. In Häusereingängen oder im Keller war der Schlamm eher zähflüssig. Lag er in der prallen Sonne, war er hart. Aber er war immer mit Holz, Steinen oder Geröll vermischt, sodass Risse entstanden sind. Dadurch konnten die Hunde Witterung aufnehmen. Manchmal konnte man den Leichengeruch auch als Mensch riechen. Auch andere Indizien wie ein Mückenschwarm über einer Stelle können zu einer Leiche führen. Bei so einer Suche arbeiten die eigenen Sinne mit den Sinnen des Hundes zusammen. Mit einem Unterschied. Als Mensch kann man schwer unterscheiden, ob es sich um eine Leiche handelt, oder um einen Tierkadaver. Hunde können das, je nach Ausbildungsstand. Tiere und Menschen haben ein unterschiedliches Geruchsprofil. Im Training arbeiten wir mit menschlichen Gerüchen. Manche arbeiten mit Schweinefleisch, da es ähnlich riecht.

Verlief der Einsatz erfolgreich?

Ja. Wir mussten die Stellen markieren und sind dann weitergezogen. Manchmal erfährt man, ob was gefunden wurde. Die Sensationsgier war dort leider enorm. Da wurde dann direkt die Kamera draufgehalten und fotografiert.

Wir haben uns mit den anderen darauf geeinigt, keine genauen Zahlen der Todesopfer herauszugeben. Wir haben aber leider Leichen aller Altersstufen gefunden, insgesamt im unteren zweistelligen Bereich. Auch als wir da waren, haben wir mitbekommen, was da plötzlich für ein Tourismus war. Das war eigentlich schon pervers. Die Polizei musste die leerstehenden Häuser bewachen, da es auch öfters zu Diebstahl kam. Wirklich traurig …

Ich gebe Ihnen vollkommen recht. Wie lange konnten die Hunde arbeiten?

Die Hunde waren je Einsatz ca. 30 Minuten dran, insgesamt 2-3 Stunden mit vielen Pausen. Das war eine große Belastung für unsere Hunde und sie mussten oft trinken und sich mal in den Schatten legen. Wir hatten viele Wartezeiten, in denen konnten sie sich ausruhen. Eine Kollegin von mir ist mit zwei Hunden auf die Suche gegangen. War der eine erschöpft, ist sie mit dem anderen los. Das ist natürlich schon Hardcore, da sie insgesamt 4-5 Stunden unterwegs war. Hunde können normalerweise bis zu 30 Minuten konzentriert arbeiten, ehe sie eine Pause brauchen. Aber bei der Hitze, die dort herrschte, konnte man das nicht. Das wäre zu viel geworden. Das ist natürlich auch für den Hundeführer schwer. Zum einen hat man den eigenen Hund und sein Wohlbefinden im Kopf, zum anderen die Menschen in Not. Wir sind gut darauf vorbereitet. Jeden September fahren wir nach Österreich, um zu trainieren. Dort führen wir auch extreme Suchen von Früh bis Spät durch, und durch solche Trainings kriegt man ein gutes Gefühl, wann der Hund überfordert ist. Dort tastet man sich auch an sein eigenes Leistungsvermögen ran. Diese Erfahrungen sind wertvoll.

Mit wie vielen Hunden und Menschen sind Sie gefahren?

Wir waren 17 Menschen und 11 Hunde. Die Menschen ohne Hund waren Begleitpersonen, da wir eigentlich immer mit zwei Menschen pro Hund ausrücken. Wenn dann mal einer nichts zu tun hatte, half er beim Ausräumen der Häuser. Also bei uns saß eigentlich nie jemand herum, da es immer etwas zu tun gab.

Wie haben die Hunde den Einsatz verkraftet?

Für die Hunde ist das natürlich ein Spiel und sie freuen sich, wenn sie etwas gefunden haben. Der Hund hat dann einen guten Job gemacht, aber man kann sich natürlich nicht darüber freuen, da man ja einen toten Menschen gefunden hat. Da frage ich mich natürlich auch oft: Wie messe ich den Erfolg? Wenn mein Hund fünf Tote gefunden hat, war das dann ein Erfolg? Man hat dann zwar die Gewissheit für die Angehörigen, hat ihnen aber auch jegliche Hoffnung genommen. Man freut sich für den Hund, aber für die Hinterbliebenen tut es einem leid …

Wie haben die Menschen den Einsatz verkraftet?

Das ging natürlich nicht ohne Weiteres an uns vorbei. Da viele Leute unseres Teams im Gesundheitswesen arbeiten, haben sie schon Leichen in unterschiedlichen Verwesungsstadien gesehen. Man wird auch mit Bildern vorbereitet von Leichen, die eine Woche alt sind oder im Wasser lagen. Da sieht man auch, wie der Körper sich verändert. Wir arbeiten auch mit verschiedenen Gerüchen im Training mit den Hunden. Dafür arbeiten wir mit echtem menschlichem Gewebe unterschiedlicher Qualität und Kühle. Dabei lassen wir es unterschiedlich lange liegen, sodass unterschiedliche Verwesungsstadien entstehen, dann frieren wir es ein und tauen es auf, sobald wir es im Training brauchen. Dadurch waren wir relativ gut vorbereitet und zusätzlich hatten wir eine intensive und lange Nachbesprechung. Bei uns im Team fängt man sich gegenseitig auf und man hält zusammen. Trotzdem flossen viele Tränen in der Nachbesprechung. Es ging nicht emotionsfrei an uns vorbei.

Zum Weiterlesen: 

Das einzige Buch, das man über Mantrailing lesen muss

Manfred Burdich

Minerva Verlag, Mönchengladbach

Format 17 x 24 cm

ISBN 978-3-910503-14-4

100 Seiten mit Bildern.

Alleine ist man stark – gemeinsam wird man unschlagbar! Und untrennbar

Ob man mit seinem Familienhund Mantrailing als attraktive Freizeitbeschäftigung betreibt oder sich bei der Rettungshundearbeit zu Hause fühlt – der Einstieg in die Ausbildung ist für beide gleich. Und er ist jederzeit möglich, weil das Alter des Vierbeiners keine wesentliche Rolle spielt. Wie bei jedem neuen Hobby sind die Anfänge bedeutsam. Geht man hier ordentlich und sorgfältig vor, vermeidet man typische Anfängerfehler, die später mühevoll wieder heraustrainiert werden müssen. 

Das Buch von Manfred Burdich hat das Ziel, den Weg vom „Anfängerhund“ bis zum beginnenden Rettungshund praxistauglich aufzuzeigen, damit jeder die einzelnen Schritte mit dem eigenen Hund nachvollziehen kann. Es macht Lust, in die geheimnisvolle Arbeit der Personensuche einzusteigen. 

Außerdem: Hunde, die Nasenarbeit leisten, werden selbstsicherer, entspannter und zufriedener. Sie erleben eine ihrer Art entsprechende Auslastung und reagieren wie Menschen, die Erfüllung in einem Hobby oder ihrem Beruf finden. Mit diesem Buch wird jeder Halter in Theorie und Praxis fit gemacht, so dass der Einstieg in wenigen Schritten sicher gelingt. Unsere Hunde machen es uns dabei leicht. Sie überraschen mit einer Geruchssensibilität, die der unsrigen weit überlegen ist. Die wahren Weltmeister im Schnüffeln vertrauen bei der Erforschung der Umgebung mehr auf ihre Nase, als auf ihre Augen. Sie ermöglicht ihnen die gleichzeitige Wahrnehmung von Vergangenheit (Wer war hier?), Gegenwart (Was ist gerade hier?) und Zukunft (Was bahnt sich an?). Und weil sie es gut können, macht es sie glücklich. So sehr, dass Tierschutzorganisationen wie die PETA den Slogan „Hunde müssen schnüffeln dürfen – ein Grundbedürfnis für jeden Hund“ entwickelt haben. Mit anderen Worten: Herzlichen Glückwunsch! Es ist immer eine gute Entscheidung, die Nase des Hundes auszubilden. 

Fotos: Manfred Burdich

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