Psychologie

Du bist, was du denkst.



Tübinger Forscher zeigen, wie du dein Gehirn umbaust.

Hast du schon mal darüber nachgedacht, warum du die Welt so siehst, wie du sie siehst? Und ob du das vielleicht ändern kannst? Tübinger Forscher haben herausgefunden, dass unser Gehirn wie ein Baukasten funktioniert – ähnlich wie Lego! Das heißt, wir können es Stück für Stück umbauen und so auch verändern, wie wir die Welt wahrnehmen.

„Warum verlassen mich nur alle?“, fragt Anna mutlos. In ihrem Leben gab es in letzter Zeit einige Abschiede. Sie wurde von ihrem Mann verlassen, dann starb ihre Mutter und ihre Tochter zog aus, um zu studieren. Jeden Tag nimmt sie sich vor, weniger zu grübeln und mehr auf die schönen Seiten des Lebens zu achten. Und davon gibt es einige. Sie ist Mitte 40, hat ein schönes Reihenhaus für sich alleine. Sie sieht gut aus und hat viele Freundinnen, die Zeit mir ihr verbringen wollen. Aber sie achtet nur auf die wenigen Kontakte, die sich von ihr scheinbar zurückziehen und „nichts mit ihr zu tun haben wollen“. Es ist wie eine Sucht, sich aus allen Ereignissen nur die herauszusuchen, die zu ihrem Komplex passen. Schon der kleinste Rückschlag lässt sie wieder in alte Muster zurückfallen. Was Anna nicht weiß: Ihr Gehirn ist wie ein Baukasten, ein lebendiges Puzzle, das sie selbst Stück für Stück umbauen kann. Die spannende Nachricht? Ein Forschungsteam aus Tübingen hat entdeckt, dass wir die Art und Weise, wie wir die Welt wahrnehmen, aktiv verändern können – und damit auch uns selbst. Es funktioniert im Guten, wie im Schlechten.

Wie genau funktioniert das?

Das Team um Professor Markus Siegel hat in einem Experiment die Gehirne von Versuchspersonen beim Hören von Tönen beobachtet. Dabei nutzten sie eine Methode, die Magnetenzephalographie heißt – eine Art, die Aktivität des Gehirns zu messen, ohne dass man es „öffnen“ muss. Die Forscher spielten den Teilnehmenden unterschiedlich strukturierte Töne vor und konnten sehen, wie das Gehirn darauf reagierte und sich dabei selbst programmierte. Es lernte, welche Töne ähnlich sind und begann, sie zu gruppieren. So entstand im Gehirn ein „inneres Modell“ der Klänge, das mit jeder Wiederholung verfeinert wurde.

Das Überraschende? Verschiedene Bereiche im Gehirn arbeiten eng zusammen, um diese Vorhersagen zu treffen. Und wenn eine Vorhersage nicht stimmt, passen sich die Gehirnareale an und „lernen“ dazu. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass das Gehirn mehr ist als nur eine Art Informationsspeicher – es baut ständig ein Modell der Umwelt auf, das es an die Realität anpasst“, erklärt Dr. Antonino Greco, einer der Studienautoren. Das bedeutet auch: Unser Gehirn ist flexibel und kann sich neuen Sichtweisen anpassen, wenn wir es darauf trainieren. Und damit können wir uns verändern. Und der Mensch werden, der wir sein wollen. Darin liegen Chancen, aber auch Risiken.

Was heißt das für dich?

Das zeigt uns, dass unser Gehirn wie Knete ist – verformbar und anpassungsfähig. Oder wie ein Lego-Baukasten. Anna baut übrigens gerade fleißig ihr Gehirn um. Indem sie nur darauf achtet, wer sie verlässt, trainiert sie ihr Gehirn darauf, dieses Muster überall wahrzunehmen. Irgendwann sieht sie überall nur noch Ablehnung, auch dort, wo keine ist. Sie ist auch bereits mittendrin. So habe die Nachbarin sie kürzlich nicht mehr gegrüßt und die Verkäuferin in der Bäckerei habe sie übergangen und einen anderen Kunden bedient. In Wahrheit kann die Nachbarin vielleicht gerade in Gedanken gewesen sein, und die Verkäuferin hat den Überblick verloren. Macht Anna damit weiter, könnte sie im schlimmsten Fall den Wahn entwickeln: „Alle verlassen mich“. Das ist sicher nicht förderlich für ihr Glück. In jeder Chance liegt eben auch ein Risiko. Wie geht es besser?

Sie könnte ihr Gehirn jeden Tag ein kleines bisschen umbauen, indem sie sich auf positive Gedanken und neue Perspektiven konzentriert. Klingt das nach einem Kraftakt? Überhaupt nicht. Es sind die kleinen Übungen, die den Unterschied machen. Jedes Mal, wenn du dich bewusst darauf konzentrierst, das Gute in einer Situation zu sehen oder dir selbst zu sagen, dass eine Herausforderung auch eine Chance sein kann, stärkst du diese neuen Denkwege in deinem Gehirn. Es ist ein bisschen wie Training im Fitnessstudio – je öfter du übst, desto besser wirst du darin.

Warum nicht einfach heute Abend damit anfangen?

Ich habe Anna geraten, jeden Abend nach dem „Geschenk des Tages“ zu suchen – selbst, wenn es nur eine Kleinigkeit war. Auf diese Weise schafft man eine „Positiv-Schleife“ in deinem Gehirn. Und mit jedem Tag wird es einem ein bisschen leichter fallen, den schönen Seiten des Lebens mehr Raum zu geben. So wird man Stück für Stück zum Architekten des eigenen Denkens – und ein bisschen mehr zu der Person, die man sein möchte. Bei Anna hat es einige Wochen gedauert. Vor kurzem habe ich sie auf der Straße gesehen, Arm in Arm mit einem attraktiven Mann. Es scheint gewirkt zu haben.

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