Psychologie

„Die Tochter meines Freundes lehnt mich ab“

Erzähl mir dein Leben:

„Erzähl mir dein Leben“ ist der Ort, an dem Menschen ihre ganz persönliche Geschichte teilen. Ob große Herausforderungen, kleine Freuden, unerwartete Wendungen oder mutige Entscheidungen – hier findet jede Lebensgeschichte ihren Raum. Durch das Erzählen entdecken wir uns selbst und können auch anderen helfen.

Patchworkfamilien sind eine Herausforderung.

Sarah, 34 Jahre alt, ist seit einem Jahr in einer Beziehung mit ihrem Freund Markus. Während ihre Partnerschaft harmonisch verläuft, hat sie Schwierigkeiten mit Markus’ zehnjähriger Tochter Mia, die sie ablehnt.


Sarah, danke, dass du bereit bist, über dieses schwierige Thema zu sprechen. Wie hast du das erste Treffen mit der Tochter deines Freundes erlebt?

Sarah:
Danke, dass ich darüber sprechen darf. Das erste Treffen war ehrlich gesagt ernüchternd. Ich hatte mir gewünscht, dass es locker und vielleicht sogar ein bisschen schön wird – dass wir uns kennenlernen, vielleicht ein bisschen Zeit miteinander verbringen. Aber als ich Mia das erste Mal begegnete, spürte ich sofort eine Mauer zwischen uns. Sie war sehr distanziert, hat kaum mit mir gesprochen und mich die meiste Zeit ignoriert. Es war, als wäre ich für sie gar nicht da.

Ich wusste, dass es nicht leicht werden würde, weil ich ja praktisch als „neue Frau“ in das Leben ihres Vaters kam, aber das war schon härter, als ich es erwartet hatte.

Wie hast du dich nach diesem ersten Treffen gefühlt?

Sarah:
Ich fühlte mich verunsichert und irgendwie auch traurig. Ich wusste, dass ich nicht einfach erwarten konnte, dass sie mich sofort akzeptiert, aber trotzdem hat es mich getroffen. Man fragt sich dann: „Warum lehnt sie mich so ab? Habe ich etwas falsch gemacht?“ Es war schwer, mich nicht persönlich verletzt zu fühlen, auch wenn ich rational wusste, dass Mia wahrscheinlich einfach ihre eigenen Ängste und Sorgen hat.

Sie hat eine sehr enge Bindung zu ihrem Vater, und ich glaube, sie sah mich vielleicht als Bedrohung. Als jemand, der ihr etwas von der Aufmerksamkeit ihres Vaters nimmt oder vielleicht sogar als Ersatz für ihre Mutter. Das hat mich nachdenklich gemacht und mir gezeigt, dass ich viel Geduld brauchen würde.

Wie hast du in den Wochen danach versucht, die Beziehung zu Mia aufzubauen?

Sarah:
Am Anfang habe ich viel ausprobiert – ich habe versucht, nett zu sein, ihr kleine Aufmerksamkeiten zu schenken, sie zu Aktivitäten einzuladen, die sie mögen könnte. Aber ehrlich gesagt, das hat nicht funktioniert. Je mehr ich mich bemühte, desto mehr zog sie sich zurück. Es war fast, als ob meine Versuche, eine Verbindung herzustellen, genau das Gegenteil bewirkt hätten. Das war hart, denn ich hatte das Gefühl, dass ich nur eine Kluft zwischen uns vergrößerte.

Irgendwann merkte ich, dass ich den Druck rausnehmen musste. Ich versuchte, einfach präsent zu sein, ohne etwas zu erzwingen. Wenn sie nicht mit mir reden wollte, ließ ich es. Wenn sie sich zurückzog, akzeptierte ich das. Ich glaube, Mia musste erst sehen, dass ich nicht komme, um ihr etwas wegzunehmen, sondern dass ich einfach da bin, weil ich ihren Vater liebe.

Wie geht dein Freund Markus mit der Situation um? Unterstützt er dich in dieser schwierigen Phase?

Sarah:
Markus ist wirklich großartig, aber ich glaube, auch für ihn ist es eine sehr schwierige Situation. Er liebt mich, aber er liebt natürlich auch seine Tochter über alles. Oft steht er dazwischen und weiß nicht genau, wie er uns beiden gerecht werden soll. Manchmal versucht er, Mia zu überreden, mir eine Chance zu geben, aber das hat oft das Gegenteil bewirkt – sie fühlte sich dann noch mehr unter Druck gesetzt. Es ist ein Balanceakt für ihn, und ich sehe, wie sehr ihn das belastet.

Wir haben viel darüber gesprochen, und ich habe ihm gesagt, dass ich keinen schnellen Fortschritt erwarte. Es geht mir darum, dass Mia versteht, dass ich ihr keine Konkurrentin bin und dass ich die Beziehung zu ihr auf natürliche Weise entwickeln möchte, ohne dass sie sich gezwungen fühlt. Markus hat verstanden, dass er nicht vermitteln oder schlichten muss – es braucht einfach Zeit.

Gab es besondere Momente, in denen du das Gefühl hattest, dass sich etwas ändert, auch wenn nur in kleinen Schritten?

Sarah:
Ja, es gab kleine Momente, die mir Hoffnung gegeben haben. Einmal zum Beispiel, als wir zusammen am Tisch saßen und Markus kurz den Raum verließ, fragte Mia plötzlich nach einem Stück Brot, das vor mir lag. Es klingt wie eine Kleinigkeit, aber für mich war das ein riesiger Schritt. Es war das erste Mal, dass sie mich direkt angesprochen hat, ohne dass ihr Vater dabei war. In solchen Momenten merke ich, dass es vielleicht langsam besser wird, auch wenn es nur winzige Fortschritte sind.

Ein anderes Mal habe ich sie lachen sehen, als ich etwas Dummes gemacht habe – es war ein echter, ungefilterter Moment, in dem sie vergessen hat, dass sie mich eigentlich ignorieren wollte. Diese kleinen Augenblicke geben mir Hoffnung, dass wir irgendwann eine Verbindung aufbauen können.

Wie gehst du mit den emotionalen Belastungen um, die diese Situation für dich mit sich bringt? Fühlst du dich manchmal überfordert?

Sarah:
Ja, es gibt definitiv Tage, an denen ich mich überfordert fühle. Es ist nicht leicht, abgelehnt zu werden, besonders wenn man nichts Falsches getan hat. Manchmal fühle ich mich ausgeschlossen oder frage mich, ob ich überhaupt jemals einen Platz in ihrem Leben haben werde. Es gab sogar Momente, in denen ich mich fragte, ob unsere Beziehung das auf Dauer aushält.

Aber dann erinnere ich mich daran, warum ich das tue. Ich liebe Markus, und ich weiß, wie wichtig Mia für ihn ist. Und letztendlich geht es darum, Mia die Zeit und den Raum zu geben, die sie braucht. Ich habe auch gelernt, mich selbst nicht zu sehr unter Druck zu setzen. Ich muss nicht perfekt sein, und ich muss nicht sofort eine enge Beziehung zu ihr haben. Es ist ein Prozess, und ich versuche, geduldig zu bleiben – auch mit mir selbst.

Was würdest du anderen Menschen raten, die in einer ähnlichen Situation sind?

Sarah:
Ich würde sagen, Geduld ist das Wichtigste. Man kann keine Beziehung erzwingen, besonders nicht mit einem Kind. Es ist wichtig, die Gefühle des Kindes zu respektieren und es nicht als persönliche Ablehnung zu sehen. Oft hat es gar nichts mit einem selbst zu tun, sondern mit der Situation, in der das Kind steckt. Und natürlich sollte man immer offen mit dem Partner darüber sprechen, was man fühlt und braucht.

Es ist auch wichtig, sich selbst Raum zu geben, um mit den eigenen Emotionen umzugehen. Es ist okay, sich manchmal verletzt oder frustriert zu fühlen. Aber man sollte versuchen, den langfristigen Blick zu behalten und zu verstehen, dass solche Beziehungen Zeit brauchen – manchmal viel Zeit. Aber mit Geduld und Verständnis können kleine Schritte letztendlich zu etwas Größerem führen.

Sarah, vielen Dank, dass du so ehrlich über deine Erfahrungen gesprochen hast.

Sarah:
Danke dir. Es tut gut, darüber zu sprechen, und ich hoffe, dass andere, die in einer ähnlichen Situation sind, daraus vielleicht etwas Trost oder Unterstützung ziehen können.


Der Kommentar von Nina, unserem Selbsthilfe-Coach:

“Sarahs Geschichte zeigt, wie schwierig es sein kann, als neue Partnerin in eine bereits bestehende Eltern-Kind-Beziehung zu kommen. Aber ganz ehrlich, liebe Sarah: womit hast du denn gerechnet? Natürlich ist Mia ihrer eigenen Mutter gegenüber loyal und mit 10 Jahren noch nicht in der Lage, die ganze Geschichte mit der neuen Beziehung ihres Vaters aus einer abgeklärten Position zu betrachten. Ich finde es interessant, wie du ihr Verhalten interpretierst. Du fühlst dich abgelehnt und ausgegrenzt – ich finde hingegen, dass Mia vorsichtig und abwartend ist und dass sie versucht, sich ihres Vaters sicher zu sein. Ihr ganzes Verhalten richtet sich nicht gegen dich, liebe Sarah, sie macht das für sich. Sie braucht das Gefühl, dass ihr Vater zu ihr gehört. Auch dann, wenn sie nicht immer bei ihm wohnen kann und selbst dann, wenn eine neue Person in sein Leben tritt. Was Mia jetzt hilft  und was sie dringend braucht, ist die Gewissheit, dass ihr Vater und sie weiterhin einen exklusiven Vater-Tochter-Bereich teilen, der unantastbar ist. Ist das für sie sicher, kann sie eine Beziehung zu dir aufbauen. Vorher ist das nicht möglich. Das Beste, was du also jetzt machen kannst, ist, dass du Mia gegenüber einen symbolischen Schritt zurücktrittst und ihr diesen Bereich lässt. Sie muss wissen, dass du keine Bedrohung darstellst. Das geht, indem du bewusst Zeit zu zweit für die Beiden lässt, und indem du Mia erzählst, wie wichtig sie für deinen Vater ist und wie oft er von ihr erzählt. Zeig ihr, dass du ihre Rolle in seinem Leben akzeptierst, dann kommt der Rest von alleine. Und du? Nutz doch die Zeit, um darüber nachzudenken, wann du dich in deinem Leben ausgegrenzt gefühlt hast. Denn das scheint eine offene Wunde bei dir zu sein. Das und dein Verständnis für die emotionalen Bedürfnisse von Mia sind der Schlüssel, um die Grundlage für eine mögliche Beziehung zu legen.”

Deine Geschichte ist es wert, erzählt zu werden. Egal, ob du selbst schreibst oder liest – „Erzähl mir dein Leben“ verbindet uns alle durch das, was uns am meisten ausmacht: unsere Erfahrungen. Du möchtest deine Geschichte erzählen? Dann schreib uns eine Mail an: redaktion@minerva-vision.de.

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