Freizeit

Wer Probleme mit Hunden hat

“Ein Lehrer zu sein ist kein Beruf. Es ist ein Lebensstil. Es beeinflusst das ganze Leben.” – Jill Biden

Inhalt:

  1. Die Macht der Stimme: Ein Beispiel
  2. Die Lektion: Ruhe und Kommunikation
  3. Erfahrungen aus der Praxis
  4. Typ 1: Menschen mit Angst vor Kontrollverlust
  5. Die Folgen von übermäßiger Kontrolle
  6. Die Gründe hinter dem Kontrollzwang
  7. Typ 2: Menschen mit einem großen Freiheitsbedürfnis
  8. Die Konsequenzen antiautoritärer Erziehung
  9. Die Angst hinter der antiautoritären Erziehung
  10. Entscheiden ist anstrengend

Die Macht der Stimme: Ein Beispiel

„Sitz!“, donnerte Anton seinem Rottweiler entgegen. „Die Wucht der Stimme hätte mich beinahe von den Füßen gefegt“, sagt Radana Kuny, „und ich fragte mich, wie das wohl für Athos’ empfindliche Ohren war.“ Als Hund verfügt er über ein deutlich besseres Gehör als wir Menschen. Athos wirkte überfordert. „Sehen Sie, Frau Kuny – der hört einfach nicht! SITZ!!!“ Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass Anton noch lauter schreien könnte. Aber tatsächlich, es ging. Je wütender Anton wurde, desto mehr Adrenalin lag knisternd in der Luft. Athos, dieses riesige Kraftpaket, bestehend aus Bergen an Muskeln, schien in sich zusammenzuschrumpfen. Die Wut seines Herrchens verhinderte, dass der Rüde auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte.

Die Lektion: Ruhe und Kommunikation

Natürlich ging ich dazwischen. Ich ertrage es nicht, wenn in meiner Gegenwart so furchtbar mit Hunden umgegangen wird. Ich erlaubte mir den „Spaß“, Anton auf Tschechisch anzusprechen. Auf sein irritiertes Gesicht reagierte ich, indem ich meine Worte lauter wiederholte. Als er mich fragte, was ich denn von ihm will, wurde ich noch lauter. Ich brüllte ihn regelrecht auf Tschechisch an. Das musste einfach sein. In meinen Augen brauchte Anton diese Lektion. Ich wollte ihm vermitteln, wie es Athos geht und wie es sich anfühlt, wenn einem die Worte regelrecht um die Ohren fliegen. Dann legte ich meinen Zeigefinger an meine Lippen und machte nur das leise Geräusch „Psssss…“ Und oh Wunder, plötzlich verstand mich Anton. Er wurde ruhig. Genauso geht es unseren Hunden. Warum sollten sie uns verstehen, wenn wir brüllen? Ich kann Ihnen garantieren, dass ein Gebrüll genau das Gegenteil bewirkt. Es zeigt ihnen nur, dass wir uns überhaupt nicht im Griff haben. Leise Töne und die Körpersprache sind wesentlich effektiver, um miteinander erfolgreich zu kommunizieren.

Erfahrungen aus der Praxis

Mittlerweile habe ich im Laufe von Jahrzehnten mit weit über 1000 Hundehaltern und ihren Vierbeinern zusammengearbeitet. In dieser Zeit habe ich viel über Hunde und Menschen gelernt. Natürlich gibt es viele Hundehalter, die eine gesunde Einstellung zu Hunden und deren Erziehung haben. Diese brauchen nur wenig Unterstützung, es läuft alles recht harmonisch und fast wie von selbst. Mir ist aber auch aufgefallen, dass es tendenziell zwei Menschentypen gibt, die Probleme mit sich bringen.

Typ 1: Menschen mit Angst vor Kontrollverlust

Der erste Typ versachlicht den Hund. Er hat zu funktionieren und ist im Idealfall ein perfekter Befehlsempfänger, der immer und ständig nur das macht, was sein Mensch von ihm erwartet. Diese Einstellung sehe ich vorwiegend bei den sogenannten „Gebrauchshunden“. In meinen Ohren ist das ein furchtbares Wort, das deutlich anzeigt, für was der Vierbeiner angeschafft wurde. Hier ist oft wenig Raum für ein liebevolles Miteinander. Ein Streicheln, eine innige Beziehung? Werden oft als Schwäche des Menschen wahrgenommen. Der Hund hat fehlerfrei seinen Job zu erledigen und mehr nicht. Wie ein Diener oder ein Sklave, der keine Rechte hat.

Glücklicherweise sind solche extremen Hundehalter und Trainer in der Minderheit, trotzdem gibt es sie immer noch. Leider. Das, was ich gesehen und erlebt habe, ergreift mein Herz. Wissen Sie, dass es Leute gibt, deren Hunde sich nur auf Kommando lösen dürfen? Wie gut, dass ein Hund selbständig atmen muss, sonst würden sie ihm das auch noch verbieten.

Die Folgen von übermäßiger Kontrolle

Diese extreme Form der Autorität kann keinen glücklichen Hund mit gesundem sozialen Verhalten hervorbringen. Solche Hunde stehen unter Dauerstrom, entwickeln chronischen Stress, der körperlich und mental krank macht. Einige resignieren. Sie geben sich auf. Sie zeigen Anzeichen einer Depression oder schwere Verhaltensauffälligkeiten. Je nach Typus des Hundes führen diese bis zu Selbstverletzungen. Manche lecken pausenlos ihre Pfoten oder beißen ihre Rute blutig. Sie sind wie Menschen, die sich ihre Fingernägel bis aufs Blut herunterbeißen.

Viele Hunde halten den inneren Druck nicht lange aus und explodieren eines Tages – sie zeigen dann eine offene ungehemmte Aggression. Gegen Artgenossen und/oder Menschen. Beide Varianten dieser Aggression sind furchtbar, bei der ersten zerstört der Hund sich selbst, bei der zweiten ist er eine potenzielle Gefahr für andere. Ein Mensch, der es nötig hat, sich ständig als Chef aufzuspielen, ist keine echte Führungspersönlichkeit. Seine Energie ist das Gegenteil davon. Sie gleicht eher der eines Tyrannen. So jemanden respektiert man nicht, sondern fürchtet ihn. Respekt wird durch ein tiefes Vertrauen erzeugt, das wir uns erst erarbeiten müssen. Angst wächst durch Druck und Härte. Menschen, die die Einstellung haben, dass Hunde zu gehorchen haben und deshalb ständig über Autorität unter Kontrolle gehalten werden müssen, werden keine Kunden von mir. Sie leben in einer anderen Hundewelt als ich. Wir können niemals miteinander erfolgreich arbeiten. Ich kann jemandem nur mit seinem Hund helfen, wenn er anfängt, diesen als das wahrzunehmen, was er ist. Ein fühlendes, lebendes Wesen, das keinen Kommandeur benötigt, sondern einen sicheren Hafen in Form eines souveränen Leaders.

Bei mir müssen nur Gegenstände, zum Beispiel mein Auto, funktionieren. Lebewesen sollen sich dagegen wohlfühlen. Um das zu erreichen, bin ich in der Bringpflicht!

Die Gründe hinter dem Kontrollzwang

Ich habe mich schon immer gefragt, was hinter einem harten Umgang mit dem Hund steht. Ich denke, es ist oft die bewusste oder unbewusste Angst, dass der Vierbeiner zu stark und unkontrollierbar wird. Was, wenn er sich über den Menschen erhebt und dadurch gefährlich wird? Je mehr Kontrolle wir ausüben, umso größer ist diese Furcht. Angst ist das Gegenteil von Liebe und Vertrauen. Ich frage Sie, aus welchem Grund sollten sich Hunde über uns erheben? Was hätten sie davon, in einer menschlichen Welt zu herrschen? Zumal der Verantwortungsvolle am meisten Arbeit hat und für A bis Z zuständig ist. Ganz ehrlich, ich habe bis jetzt noch keinen einzigen Hund kennengelernt, der für einen Menschen Verantwortung übernehmen möchte. Im Gegenteil, alle Hunde, mit denen ich zusammengearbeitet habe, waren sichtlich erleichtert, wenn wir ihnen diese Bürde abgenommen haben.

Typ 2: Menschen mit einem großen Freiheitsbedürfnis

Das andere Extrem ist die antiautoritäre Einstellung. Personen, die jegliche Autorität ablehnen und den Wert der Freiheit zentral finden, bevorzugen diese Erziehungsform. Hier wird der Vierbeiner vollständig gleichwertig behandelt und ungesund vermenschlicht. Das ist zu viel des Guten. Was meine ich damit? Grundsätzlich ist es gut, sich in einen Hund einzufühlen. Es ist erwiesen, dass sie uns ähneln, ähnlich fühlen und agieren. Genau wie wir leben Hunde in einem Familienverband, brauchen körperliche und mentale Nähe, die es ihnen ermöglicht, eine soziale Kompetenz zu entwickeln. Sie sind in der Lage, echte tiefe Gefühle zu empfinden, können miteinander streiten oder hitzig diskutieren, eifersüchtig sein, sich gegenseitig beschützen und sie sind willig, anderen zu helfen. Selbst das Erbgut eines Hundes ergibt eine 25% Übereinstimmung mit dem Erbgut des Menschen. Vielleicht finden wir ihn hier: Den Grund, weshalb wir uns stark zu ihnen hingezogen fühlen. Zum Glück ist diese Sehnsucht nach Nähe nicht einseitig. Hunde reagieren gar hypersozial und das seit der Steinzeit. Immer enger haben sie sich an uns angeschlossen, weil sie erkannt haben, dass das Leben in menschlicher Umgebung sicherer und schöner ist. Wie kleine Kinder hängen sie an unserem Rockzipfel. Sie brauchen uns und orientieren sich an uns. Wie intensiv dieses Verhalten ausgeprägt ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Von der Hunderasse beispielsweise. Und ob sie von Geburt an auf Menschen geprägt wurden.

Die Konsequenzen antiautoritärer Erziehung

Je unabhängiger der Hund in seiner Natur ist, je geringer der frühe Kontakt zur Menschenwelt ausfiel, umso schwächer fällt das Verlangen nach sozialer Nähe aus. Ein Hund, der ohne Menschenkontakt aufwuchs, wird sich niemals so sehr in menschlicher Gesellschaft fallen lassen können, wie ein bewusst gezüchteter Gesellschaftshund, mit wenig ausgeprägten eigenständigen Eigenschaften und dem ausgeprägten Willen zu gefallen. Und doch bleibt er ein Hund und ist kein Mensch. Er braucht von uns artspezifische Führung, um sich frei und sicher zu fühlen. Antiautoritäre Erziehung verweigert dies und lässt ihn alleine in einer großen, weiten Entscheidungswelt.

Die Angst hinter der antiautoritären Erziehung

Es mag euch überraschen, dass auch diese Erziehungsform auf Angst aufbaut. Der Mensch befürchtet, dass ihn sein Vierbeiner nicht mehr liebt, wenn er ihm Grenzen aufzeigt. Die Vorstellung, dass ein Hund sich frei fühlen muss, um glücklich zu sein, steht hier im Vordergrund. Stillschweigend erwartet der Mensch aber einen „Deal“. Der lautet: Ich schenke dir Freiheit, dafür machst du freiwillig, was ich will. Das überfordert jeden Menschen und erst recht jeden Hund. Es sind nämlich widersprüchliche Signale, die der Vierbeiner empfängt. Erst wird er ermutigt, schnell und frei über das Feld zu rennen. Kreuzt er dabei eine Hasenspur und macht sich selbständig, wird auch der liberalste Mensch Zeichen von Unwohlsein zeigen. Das verwirrt. Und Verwirrung macht unsicher. Leider ist vielen nicht bewusst, dass Freiheit für einen Hund beängstigend sein kann. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass bei dieser Form der Erziehung auch Trägheit und Gleichgültigkeit eine Rolle spielen.

Entscheiden ist anstrengend

Es ist für uns manchmal leichter, den Hund alles selbst entscheiden zu lassen, als aktiv in die Führung zu gehen und bewusst Verantwortung zu übernehmen. 

Das ist schlimm, denn auch in einer antiautoritären Beziehung kann der Hund massive Verhaltensauffälligkeiten entwickeln. Durch die mangelnde Führung erlernt er kein gesundes Selbstvertrauen und fühlt sich oft gestresst. Seinen Menschen sieht er nicht als den „Fels in der Brandung“, der ihm Sicherheit vermittelt. Im Gegenteil, oft empfindet er ihn als schwach und entwickelt Verantwortungsgefühle, was für beide immer katastrophal ist. 

Ich habe viele Fälle erlebt, in denen sich der Hund in einer solchen Beziehung vom Menschen distanziert. Durch sein Verhalten signalisiert er ihm, dass er ihn eindeutig nicht für voll nimmt. Ein deutliches Zeichen? Kaum ist draußen die Leine weg, startet er durch und ist nur noch eine Silhouette am Horizont. Diese Form der Beziehung ähnelt dem einer losen WG, im Sinne von „keiner ist verantwortlich“ und „jeder macht was er will, wie er es will und wann er es will“. 

Fazit: Angst wächst durch Druck und Härte. Menschen, die die Einstellung haben, dass Hunde zu gehorchen haben und deshalb ständig über Autorität unter Kontrolle gehalten müssen,  leben in einer anderen Hundewelt als ich. Genau wie wir leben Hunde in einem Familienverband, brauchen körperliche und mentale Nähe, die es ihnen ermöglicht, eine soziale Kompetenz zu entwickeln. 

Follow me – Wie man modern erzieht und jeden Hund für sich gewinnt.

von Radana Kuny 

Minerva Verlag, Mönchengladbach

Format 17 x 24 cm

ISBN 978-3-910503-02-1

156 Seiten mit Bildern, Klappenumschlag.

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