Psychologie

Warum immer ICH?

Mir geht alles nah. Wieso? Andere erleben doch auch manchmal Erschreckendes. Dr. Heike Weber weiß, warum. 

Inhalt:

  1. Auf den Spuren der Hochsensibilität
  2. Warum erschreckt sich der eine, der andere aber nicht?
  3. 8% der Menschen sind betroffen.
  4. Die Antwort liegt in den Genen.
  5. 1,2 Millionen Daten können nicht irren.
  6. Auch Depressionen könnten so entstehen.
  7. Es war nie meine Schuld
  8. Viele verlieren sich auf ihrem Weg

Auf den Spuren der Hochsensibilität

„Du bist halt viel zu empfindlich“, sagte meine Mutter. Mit seufzender Betonung auf „viiiiiiiiiiiiiel“. In meinen Ohren klang dieser Vorwurf so, als sei an mir etwas nicht richtig. Anders als andere, war ich offenbar mit einem Makel behaftet. Ich war falsch im Kopf, so dachte ich. Heike Weber konnte zeigen, dass in meinem Gehirn tatsächlich etwas Besonderes stattfindet, das anders ist, als bei meiner Mutter und unzähligen anderen Menschen.

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Warum erschreckt sich der eine, der andere aber nicht?

Die Seele kann verletzt werden. Das wissen wir. Die Auslöser sind unterschiedlich. Zum Beispiel, indem man etwas sieht, wie etwa einen schweren Unfall oder eine Naturkatastrophe. Kinder können sich aber sogar vor Dingen, wie Spinnen so stark erschrecken, dass dies in der Seele einen Abdruck hinterlässt. Das Tückische daran ist, dass die Symptome dieser sogenannten posttraumatischen Belastungsstörung, kurz PTBS, unmittelbar nach dem traumatischen Ereignis auftreten können oder erst Monate oder sogar Jahre später beginnen und das tägliche Leben erheblich beeinträchtigen. Hat jemand im Erwachsenenalter auf einmal unerklärliche Angst vor Spinnen oder anderen Krabbeltieren, findet man die Ursache deshalb häufig in der frühen Kindheit. 

8% der Menschen sind betroffen.

Im Lauf ihres Lebens erkranken knapp acht Prozent aller Menschen an einer PTBS, wobei Frauen häufiger betroffen sind als Männer. Es gibt jedoch gute Aussichten auf Heilung. „Je eher eine PTBS professionell psychotherapeutisch behandelt wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, den Alltag wieder normal gestalten zu können“, sagt Prof. Dr. Jürgen Deckert, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Uniklinikum Würzburg (UKW), die einen ihrer Schwerpunkte auf die Erforschung und Behandlung von PTBS gelegt hat. Aber wer erkrankt daran? Ist das reiner Zufall? Jürgen Deckert begab sich auf Spurensuche, immer mit dem Ziel, neue Behandlungsmöglichkeiten zu finden.

Die Antwort liegt in den Genen.

Das Psychiatric Genomic Konsortium, zu dem auch Mitglieder des Würzburger Zentrums für Psychische Gesundheit (ZEP) und ihre Kooperationspartner aus dem ehemaligen Jugoslawien gehören, analysierte die genetischen Merkmale von PTBS. „Veranlagungsfaktoren können die Menschen resilienter oder vulnerabler gegenüber Extremerfahrungen machen“, erläutert Jürgen Deckert. „Nicht alle entwickeln nach einem traumatischen Ereignis eine Posttraumatische Belastungsstörung.“ Mit anderen Worten: Ob unsere Seele eine Situation verkraftet oder ob sie als Schock einen Abdruck hinterlässt, ist seit unserer Geburt in uns angelegt. Der eine kommt auf die Welt und geht unbeeindruckt von äußeren Ereignissen seinen Weg, den anderen trifft es tief. 

1,2 Millionen Daten können nicht irren.

Insgesamt wurden die Daten von mehr als 1,2 Millionen Menschen unterschiedlicher Herkunft analysiert, und die Forschenden wurden fündig. Sie fanden 80 neue genetische Bereiche, die nur Menschen haben, die von einer PTBS betroffen sind. „Bei der genaueren Untersuchung dieser genetischen Bereiche haben wir 43 Gene identifiziert, die das Risiko erhöhen, nach einem Trauma eine Posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln“, berichtet Dr. Heike Weber. Die Biologin leitet am ZEP das Labor für funktionelle Genomik und forscht in Kriegsgebieten. Denn auch dort gibt es Menschen, die schreckliches Grauen erlebt haben, aber dennoch unbeeindruckt gut weiterleben können. Und es gibt diejenigen, die daran zerbrechen. Heike Weber untersucht, ob die beiden Gruppen unterschiedliche Gene haben. Und fand nun gleich 43. Den Genen gemein ist, dass sie dafür zuständig sind, welche Daten wie schnell in unserem Gehirn landen. Weitere wichtige Gene beeinflussen Stress- und Angst- und Bedrohungsprozesse.


Auch Depressionen könnten so entstehen.

PTBS und Depressionen könnten auf die gleiche Weise entstehen. Nämlich durch Stress, der auf einen Menschen trifft, der besondere Gene hat. Der besonders schnell und nachhaltig lernt, weil er leicht beeindruckbar ist. Leider funktioniert dieser Lernprozess in jede Richtung und die angstbesetzten Erfahrungen werden genauso intensiv gespeichert, wie die positiven. Aber sie haben eine Langzeitwirkung und bewirken, dass wir uns innerlich verändern. Der Stress steigt an, die Angstbereitschaft auch, und so werden die dazu passenden Hormone verstärkt produziert. Und die beeinflussen wiederum unsere Stimmung und bestimmen, ob wir zu großer Ängstlichkeit oder Traurigkeit neigen. Oder einfach „viiiiiel zu empfindlich“ sind. 

Es war nie meine Schuld

Was ich jetzt weiß, ist: Es ist nicht meine Schuld. Jeder Mensch wird mit einer einzigartigen Kombination von Genen geboren. Und damit wurschtelt man sich durchs Leben, so gut es eben ist. Ich würde mir wünschen, dass dies in Zukunft auch so erkannt und gewertschätzt wird. Niemand weiß, wie viel Kraft es mich schon als Kind gekostet hat, in diesem für mich so oft überwältigenden Leben meinen Weg zu finden. Es ist anstrengend, wenn man viele Dinge fühlt und speichert. Glaubt mir. Es hat natürlich auch Vorteile. Man kann mir schlecht etwas vormachen. Ich „wittere“ die Absichten anderer, weil ich unendlich viele Dinge wahrnehme. Fast wie ein Bluthund. Und ich bin gut darin. Ein Beispiel? Im richtigen Leben arbeite ich als Sozialpädagogin und bilde Erzieher und Erzieherinnen aus. Dabei fiel mir ein junger Mann auf, der sich „irgendwie komisch“ verhielt. Ich konnte es nicht benennen und fasste ihn deshalb stärker ins Auge. Und das war gut so. Das Ganze endete in einem Prozess, in dem er schuldig gesprochen wurde. Es hat mir gezeigt, dass meine Art, Dinge wahrzunehmen eine Art „Superkraft“ ist. Und wie jede Superkraft ist es auch gleichzeitig eine Superschwäche. Auch Superman musste lernen, mit seinen gewaltigen Kräften so umzugehen, dass er weder seine Umwelt, noch selbst zu Schaden kam. 

Viele verlieren sich auf ihrem Weg

Ich hatte vielleicht Glück. Auch durch mein Studium lernte ich Möglichkeiten, wie ich mich selbst regulieren kann. Wie wäre ich wohl gewesen, wenn ich die Möglichkeit nicht gehabt hätte? Und wie viele gibt es, die so ähnlich sind wie ich und es nicht geschafft haben, ihre empfindsame Seele vor der rauen Welt zu schützen? Das Potenzial von hochsensiblen Menschen könnte dadurch seit Jahrzehnten verschenkt worden sein. Geschockt durch immer wiederkehrende Erlebnisse, die sie nicht verarbeiten können, ziehen sie sich zurück und versinken in Ängsten oder tiefer Traurigkeit. Dabei hätten sie der Welt eine Menge zu geben. In Zukunft könnte ein Bluttest ans Licht bringen, wie sensibel wir auf die Welt reagieren. Und dann könnten wir schon Kindern beistehen, die das eben besonders brauchen. Sie haben viel zu geben, eben weil sie anders sind. Das würde sich niemand mehr wünschen, als ich. 

Gerda arbeitet im öffentlichen Dienst und hat sich entschieden, unter einem Pseudonym für uns zu schreiben. 

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