Psychologie

Ist Würde in der Politik Luxus?

Olaf Scholz zeigt, wie man es nicht machen darf.  

Die Nachricht hat überall eingeschlagen wie ein Blitz: Scholz entlässt Lindner vor laufenden Kameras. Soweit, so gut. Darf er. Er ist ja der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Ein Teil von uns hat ihn gewählt, weil diese Menschen ihm zutrauten, Deutschland gut und verantwortlich zu führen. Diesen Menschen hat Scholz nun ein Schauspiel geboten, das an dieser Eignung Zweifel wachsen lässt. Er hat nicht nur in aller Öffentlichkeit eine Personalie geklärt – das Ganze hatte den Charakter einer publikumswirksamen Hinrichtung. Es ist ein Schlag gegen den Anstand. Und das von oberster Stelle aus.

Der Fisch stinkt immer vom Kopfe aus

Wir alle reden darüber, wie wichtig es ist, dass wir fair miteinander umgehen. Nett wollen wir es in Deutschland haben. Wohl und sicher wollen wir uns fühlen, mit Bildungschancen für jeden und einer gesetzlichen Krankenversicherung, die niemanden im Regen stehen lässt. Frauen wollen auch nachts durch die Straßen gehen – dieses Land gehört auch uns und wurde von unseren Großmüttern aufgebaut, die die Trümmer mit den Händen weggeräumt haben. Meine Großmutter hatte deswegen Rheuma in den Händen, das tat furchtbar weh. Und eben weil wir soviel Schönes aufgebaut haben, wollen hier auch viele hin. Aber dann doch bitte ordentlich und geregelt. Hier hätten wir mal ein klares Wort von Scholz gebraucht, eine klare Ansage von dem Mann, der die Bundesrepublik gestaltet. Das ist sein Auftrag, den haben wir ihm gegeben. Gehört haben wir jedoch? Nichts. Warum also jetzt?

Anstand hält die Gesellschaft zusammen

Der Ton wurde nicht nur in den sozialen Netzwerken, sondern auch unter dieser Regierung immer rauer. Es war ja keine würdige Politik mehr, die gemacht wurde, sondern ein öffentliches Gezänk, so ähnlich, wie man es von Kindern im Sandkasten kennt. Wer sich aber öffentlich für das Wohl des Landes einsetzt, trägt Verantwortung – nicht nur für die eigenen Worte und Taten, sondern auch für das Vertrauen der Bürger in die Politik und ihre Institutionen. Dann musst du dich im Griff haben, sowohl inhaltlich, als auch formell. Mensch, Scholz, was ist da nur in dich gefahren?

Geplante Aktion

Hinzu kommt: der Kanzler hat den Text vom Teleprompter abgelesen. Diese öffentliche Hinrichtung Lindners war also vorsätzlich geplant. Wer berät den Mann? Vielleicht gab es Meinungsverschiedenheiten, vielleicht auch Differenzen in der Haushalts- und Finanzpolitik, die aus seiner Sicht eine Zusammenarbeit untragbar machten. Doch ist es wirklich notwendig, eine Trennung mit so scharfen öffentlichen Worten zu begleiten? “Kleinkariert” hat er ihn genannt. Aber Linder war nunmal für die Finanzen zuständig. Es ist seine Aufgabe, kleinkariert jeden einzelnen Cent unserer Steuergelder zu verwalten. Was soll er denn anders tun? Großzügig mal ein paar Millionen verteilen? Es ist sein Job, genau, akribisch und eben “kleinkariert” zu sein. Nichts anderes erwarten wir von einem Finanzminister. Er hat es sicher nicht geplant, aber im Grunde genommen hat Scholz Linder das beste Arbeitszeugnis erteilt, was möglich ist. Es dauert vielleicht noch ein wenig, bis ihm das dämmert.

Macht verleiht Verantwortung


Ein Kanzler, der seinen Minister aus inhaltlichen Gründen entlässt, hat dazu das Recht und die Möglichkeit, aber wie er dies tut, zeigt, welchen Stil er als Regierungschef vorlebt. Eine Machtposition verleiht die Freiheit, Entscheidungen zu treffen, aber auch die Pflicht, sie mit Würde umzusetzen. Öffentliche Demütigungen mögen kurzfristig eine Möglichkeit sein, sich stark zu fühlen. Gorillas trommeln sich auch gerne auf die Brust, um ihren Chefanspruch zu untermaueren. Wir Menschen sollten weiter sein. Scholz hat zulange nichts gesagt, blieb blass, farblos und unsichtbar. Um dann am Ende deutlich zu weit zu gehen. Langfristig verspielt man auf diese Weise den Respekt, nicht nur den eigenen, auch den gesellschaftlichen. Wenn der Kanzler seinen Minister nicht respektiert, wie sollen Bürger dann die Politiker generell respektieren? Wie wollen wir eigentlich miteinander umgehen? Soll der gewinnen, der die deftigsten Beschimpfungen kennt, das größte Podium hat oder sich am lautesten auf die Brust trommelt? Wir waren ganz woanders. Wir hatten es nett miteinander. Man streitet, natürlich – aber in einem gewissen Rahmen, den der Anstand gebietet. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Ereignis als eine Mahnung verstanden wird: Anstand ist nicht verhandelbar. Jemand mit Souveränität und Weitblick hätte dies beachtet. Oder er hätte Berater gehabt, die ihn klug gelenkt hätten. Beides ist wohl nicht vorhanden.

C.dlM

Teilen
×