So klappt die Leinenführigkeit
Warum ziehen so viele Hunde an der Leine? Welche Fehler machen viele Hundehalter unbewusst? Und wie kann man mit klarer Führung und richtiger Körpersprache eine entspannte Verbindung zwischen Mensch und Hund schaffen?
Hundetrainer Martin Weitkamp erklärt, warum die Leine nicht nur ein Hilfsmittel, sondern ein unsichtbares Band zwischen Mensch und Hund ist – und wie wir durch richtige Führung unseren vierbeinigen Begleitern Sicherheit geben können.
Martin, warum ist die sogenannte Leinenführigkeit überhaupt so wichtig?
Martin Weitkamp: Das ist tatsächlich ein komplexes Thema. Grundsätzlich gibt die Leinenführigkeit dem Hund Sicherheit. Sie sorgt dafür, dass ich mich mit meinem Hund vernünftig in unserer heutigen Umwelt bewegen kann – sei es in der Stadt, wo der Hund nicht an jeder Person hochspringen sollte, oder im Wald, wo er bei mir bleiben muss.
Wenn der Hund versteht, dass wir gemeinsam unterwegs sind, stärkt das die Bindung. Und über die Leine – quasi meinen verlängerten Arm – kann ich ihn sanft führen und ihm Orientierung geben.
Oh, wenn ich an meine Polly denke – eine deutsche Langhaarschäferhündin – die würde sich jetzt wahrscheinlich auf den Rücken werfen, mit allen vier Pfoten strampeln und sich kringelig lachen. Ich habe es damals nicht richtig geschafft, ihr das beizubringen.
Martin Weitkamp: Ja, das passiert öfter. Dabei ist Leinenführigkeit eigentlich gar nicht so schwer – wenn man früh die richtigen Weichen stellt. Das Problem beginnt oft schon im Welpenalter: Der neue Hundebesitzer möchte dem Welpen sanft und liebevoll begegnen, läuft ihm aber letztendlich einfach hinterher. So lernt der Hund: Ich bestimme, wo es hingeht! Später kann sich daraus das berühmte Ziehen an der Leine entwickeln. Manche Hunde ziehen aus Stress oder Unsicherheit, andere, weil sie es schlicht so gelernt haben. Gerade Hunde, die sich in einer neuen Umgebung unsicher fühlen, neigen dazu, schneller zu laufen, um der Situation zu entkommen.
Viele Hunde fühlen sich tatsächlich wohler, wenn sie ruhig neben oder sogar leicht hinter ihrem Hundeführer laufen. Sie brauchen die Führung, um sich sicher zu fühlen.
Ich glaube, genau das war mein Fehler damals – ich war einfach zu sanft. Am Ende hat es zwar funktioniert, aber mit vielen Umwegen. Ich hätte mir und Polly einige Frustmomente ersparen können. Man hört oft: Ein Hund, der an der Leine zieht, wird auch weglaufen, wenn man ihn losmacht. Ist das so?
Martin Weitkamp: Ja, oft gibt es da eine Verbindung. Ein Hund, der nie gelernt hat, an der Leine entspannt zu laufen, hat meistens auch keine richtige Orientierung am Menschen. Wenn man ihn ableint, bleibt er dann nicht automatisch in der Nähe.
Wie gesagt, einige Hunde ziehen, weil sie falsch gelernt haben, dass sie führen dürfen. Andere ziehen aus Stress. Dazu kommt ein weiteres Problem: In der heutigen Gesellschaft werden Hunde oft wie kleine vierbeinige Menschlein behandelt. Viele Hundebesitzer setzen keine klaren Grenzen. Aber ein Hund braucht Führung – er will sie sogar. Unsichere Hunde suchen instinktiv nach jemandem, der ihnen Sicherheit gibt. Und das kann ich ihm durch eine gute Leinenführung vermitteln.
Natürlich gibt es verschiedene Trainingsansätze zur Leinenführigkeit, und nicht jeder ist gleich sinnvoll. Aber ich bin kein Fan von Ausbildungsmarathons, bei denen ich erst 20 Mal dasselbe üben muss. Eine gute Führung sollte von Anfang an klar und direkt sein.
Mir hat vorhin deine Beschreibung von der Leine als verlängerter Arm gut gefallen. Das klingt fast wie eine Art unsichtbare Verbindung.
Martin Weitkamp: Ja, genau. Es ist tatsächlich wie eine unsichtbare Führungslinie, die für den Hund Halt gibt. Ich kenne viele unsichere Hunde, die an der Leine auf einmal mutig werden – einfach, weil sie wissen: Mein Mensch ist da, mir kann nichts passieren. Sobald die Leine plötzlich weg ist, wird aus dem vermeintlich selbstbewussten Hund wieder ein ganz unsicherer.
Ja, genau das habe ich bei Polly auch beobachtet! Sie war eher der Typ „Ich blaffe mal vorsichtshalber alle an“. Aber wenn ich dann plötzlich die Leine lockerer gemacht habe, hat sie sich sofort umgedreht und mich angeschaut – so nach dem Motto: Wo bist du?
Martin Weitkamp: Ja, das passiert sehr oft. Die Leine gibt vielen Hunden Sicherheit. Das ist auch der Grund, warum manche Hunde erst richtig mutig werden, wenn sie an der Leine sind – und dann plötzlich bellen oder nach vorne gehen. Wenn man sie ableint, sind sie auf sich selbst gestellt und werden unsicher.
Welche Rolle spielt denn die richtige Ausrüstung? Halsband oder Geschirr – was ist besser?
Martin Weitkamp: Das ist ein heiß diskutiertes Thema. Ich persönlich halte nicht viel von Geschirren – außer wenn sie für eine bestimmte Aufgabe genutzt werden, zum Beispiel für Suchhunde als Signal, dass es jetzt an die Arbeit geht. Für den normalen Alltag gibt mir ein Halsband viel mehr Kontrolle. Beim Geschirr habe ich kaum eine Möglichkeit, den Hund zu lenken.
Ich erinnere mich an einen Fall in unserer Hundepension: Ein junger, sportlicher Mann, Fitnesstrainer, kam mit seinem Bernhardiner. Er führte ihn an einem Geschirr – und sobald der Hund loslief, war der Fitnesstrainer einfach weg! Das zeigt ganz gut das Problem: Viele Hunde haben mit einem Geschirr erst recht gelernt zu ziehen. Ein Halsband gibt mir als Hundeführer viel mehr Einfluss.
Ja, ich hatte auch den Eindruck, dass Polly mit einem Geschirr viel stärker gezogen hat. Aber man hört ja oft: Das ist besser für den Rücken, für die Knochen…
Martin Weitkamp: Ja, man hört viel – aber das meiste sind Halbwahrheiten. Hunde werden seit Tausenden von Jahren mit Halsbändern geführt, und erst in den letzten 20 Jahren wurde das plötzlich zum Problem. Die Hunde haben sich aber nicht verändert – wir haben es getan. Wir vermenschlichen Hunde heute oft zu sehr, und dadurch entstehen viele Probleme, die es früher so nicht gab.