Kolumne

Klassenfahrt mit Hund

So gesehen… | Die Kolumne von Anna Maria Ram.

„Und ihr seid sicher, dass wir so viele Nacho-Chips mit extra Käsegeschmack für die Klassenfahrt brauchen?“, beäuge ich misstrauisch einen der drei bunt vollgestopften Einkaufswagen, die mein Achtklässler, Mili, seelenruhig im Frankfurter Supermarkt von Regal zu Regal vor sich herschiebt.
Kurz vor den Sommerferien, Stadtrand, wir, die Klasse 8a und ich, planen eine Klassenfahrt- natürlich mit Hund. Und genau dafür haben wir Geld für Lebensmittel eingesammelt, um uns vor Ort selbst zu versorgen.

„Frau Rambo, irgendwas müssen wir doch essen, wollen Sie, dass wir auf der Wiese das Gras fressen, oder wie?“, entgegnet der albanische Junge selbstbewusst.
„Ähm, nein, aber wie wäre es mit etwas nahrhafterem als Chips?“, bestehe ich auf eine Essensplanänderung und suche in meiner überfüllten Handtasche nach dem Speiseplan, den wir einen Tag zuvor im Klassenrat besprochen hatten.
„Ah ja, stimmt, Sie haben Recht, die Schokostäbchen mit Bananengeschmack sind im Angebot, gute Wahl, Frau Rambo, richtig swag, läuft bei Ihnen!“, antwortet er und verschwindet einen Gang weiter, während ich resigniert die Einkaufsliste mit Brot, Butter, Käse und anderen nicht- Teenie- gerechten Rohstoffen sinken lasse. Vielleicht ist es die Eifersucht auf einen an eine Recycling-Maschine grenzenden Stoffwechsel, die Hochachtung vor der akrobatischen Fähigkeit drei volle Einkaufswagen in Schlangenlinien um die diversen umstehenden Oma Herthas und ihre Handwagen herum zu manövrieren, oder auch einfach nur die Überforderung der Planung einer Klassenfahrt mit Selbstversorgung. Und Hund. Unsere erste Klassenfahrt mit Boxerhündin Inka.
Wer hätte gedacht, dass wir mit 22 Personen, plus Hund, eine Klassenfahrt in den Hunsrück auf die Beine gestellt bekommen in unter drei Monaten? Ob mir das um die Ohren fliegt? Sicher, davon gehe ich aus – wer unser erstes Buch („Die anderen sind eh schlauer als uns!“) gelesen hat weiß, dass es schief gehen wird und Fettnäpfchen gepflasterte Mistknopf- Tretminen Wege vor uns liegen.
Hält uns das ab?

Klugerweise müsste ich sagen ja, müsste am monatlichen Lehrerstammtisch in der veganen Biothek neben der Schule herumnörgeln, wie man nur auf eine solche Idee kommen könne und dann noch mit dem Hund, geht ja mal so was von gar nicht!
Kollegin Nörgel-Nina neben mir, zwirbelt dabei sicher ihre in der Burnout Klinik selbst aufgefädelte Holzperlenkette um den Nacken und schnalzt missbilligend mit der Zunge- wobei das auch an dem laktosefreien Sojaersatz- Ziegenfrischkäse Häppchen liegen kann, was soeben als Gruß aus der Küche gereicht wurde.
„Du, das würde ich dann eher nicht machen, Anna. Denk da bitte mal an die Vorbehalte gegenüber Hunden aus den unterschiedlichen Kulturen, weißt du?“, kommt von einer anderen Kollegin, Frotzel- Frieda, die ungebetene Fußnote dazu.
Ich spiele Zustimmung vor und nippe an meinem nachhaltigen grünen Getränk, welches in seiner Konsistenz möglicherweise auch eher zum Hände desinfizieren genutzt werden kann, aber jetzt habe ich es schon probiert, also, Augen zu und durch!
„Aber Inka kommt doch jetzt mittlerweile auch mit in den Unterricht…“, wage ich einen zaghaften Widerstand (nachzulesen in meinem ersten Buch „Die anderen sind eh schlauer als uns!“).
„Na so ein kurzer Besuch kann doch nicht mit einer eher intimen Klassenfahrt verglichen werden, ich bitte dich!“, schmettert Kollegin Nörgel- Nina meinen Versuch eine faire Diskussion zum Thema zu starten eiskalt ab.
Intime Klassenfahrt? Mit einer achten Realschulklasse? Ernsthaft jetzt?

Was bitte ist an einer Klassenfahrt mit 22 Teenagern intim? Dass sie sich alle gemeinsam stundenlang Hotspots gebend im abgedunkelten Zimmer sitzen, um zu schauen wie draußen, zwei Zentimeter vor ihrer Nase das Wetter ist? Oder die auf hohem verbalem Niveau ausgetragenen „Catfights“ um ausgeliehenen, nicht richtig verschlossenen und nun ausgetrockneten Lipgloss, aus der Kollektion irgendeines magersüchtigen Influencers? Möglicherweise auch die kunstvoll zu abstrakten Mosaiken gekrümelten Essensreste, die man an jeder Ecke findet, Hänsel und Gretel- Parcours für Fortgeschrittene würde ich sagen.
An einer Klassenfahrt mit Selbstversorgung, Zelten und natürlich Hund, ist nichts, aber auch gar nichts intim. Trotzdem, Nörgel- und Depri- Kollegin haben wie immer auch ein Fünkchen Recht und regen mich dazu an erst einmal klare Verhältnisse zu schaffen, bevor ich in die Planung gehe. Das mache ich am besten im Klassenrat, gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern, so wie ich es immer mache, und natürlich mit unserer Boxerhündin Inka.
Und jetzt, gehe ich erst einmal auf die Toilette- ich glaube der grüne Drink eben, war tatsächlich eher zum Desinfizieren gedacht.

„Ich hab die perfekte Idee für eine gratis Klassenfahrt!“, ereifert sich Wesley im Klassenrat und verknotet sein Tupac- Bandana umständlich am Hinterkopf. Wir diskutieren über mögliche Reiseziele, die auch gleichzeitig kostengünstig sind und wo eventuell Inka mitkommen kann. Wie immer möchte cih von Beginn an die Schülerinnen und Schüler einbinden in die Entscheidungsfindung, damit sie auch besser von ihnen mitgetragen wird- es ist wie im Bundestag, nur noch lauter und etwas …nun ja…anders. Schwerer ist tatsächlich nur die aktuelle Wettervorhersage abzugeben!
„Lass hören, da bin ich gespannt!“, freue ich mich und bitte mit der Tischklingel wiederholt eindringlich und relativ erfolglos um Ruhe. Es ist Freitag, kurz nach den Osterferien, sechste Stunde. Wer da noch aufmerksam zuhören kann ist talentiert, oder hat einen guten Apotheker.
„Also, wissen Sie, schauen Sie mal…!“, versucht Wesley hektisch zu erklären, steht dabei auf und leckt sich mehrfach über die trockenen Lippen.
„Wesley, Zunge rein, du stirbst ja gleich!“, zischt Paula ihn genervt von der Seite an und ich dresche unbarmherzig immer fester auf die Tischklingel ein, bis meine Handkante den Abdruck der Klingel anzunehmen droht. Wenigstens meine Jungs in der letzten Reihe wachen davon irritiert auf, aber Ruhe herrscht immer noch nicht.
„Was willst du, Paula, mach doch deinen Kopf in deinen Kopf rein, wenn dich das so bockt!“, wehrt sich Wesley und fuchtelt mit seiner Hand vor Paulas Gesicht, als wolle er eine ganze Heerschar Fliegen vertreiben.
„Wesley!“, rufe ich gereizt, so langsam bilden sich Schwielen an meiner Klingel-Hand.

„Oh, Alter, hau doch einfach raus, so ein NPC!“ (NPC= Außenseiter, aus dem Gaming- Jargon), wirft Giuliano, Wesleys ansonsten eher stoischer Sitznachbar ein, kurzer, verstohlener Blick auf seine Uhr am Handgelenk folgt, „ist eh gleich Schluss!“
„Also gut, ich schlage vor…!“, beginnt Wesley theatralisch, immer noch stehend.

„NPC!“, tönt es aus der hinteren Ecke, die Langschläfer sind vollständig wach.

„Wesley, wenn du jetzt reagierst…!“, fahre ich blitzschnell dazwischen und umklammere deutlich feste die Tischklingel.
„Chill, chill! Mein Plan ist, dass wir am Flughafen an den Abflugschalter gehen und sagen, dass wir illegal in Deutschland sind und nach Hause wollen!“, erklärt Wesley strahlend und ich überlege für einen kurzen Moment, ob das möglicherweise funktionieren würde und ob der Schüler das wirklich ernst gemeint hat.
„Wesley, das nennt man Abschiebehaft, das ist nichts zum Scherzen, das geht leider nicht und ist außerdem strafbar, es vorzuspielen!“, versuche ich ruhig diesen politisch inkorrekten Fauxpas zu erklären, aber die Migrationsdiskussion ist in meiner Lerngruppe entbrannt und rollt wie eine Lawine Käseleiber unaufhaltsam auf uns zu.
„Swagge Idee, Wes, Bro, dann machen wir Zwangsurlaub in Narnia, oder was?“

„Woher weiß ich denn dann, was ich packen muss, ist das dann wie Last Minute fliegen?“

„Hat außer mir sonst noch jemand kein Visum für Außereuropäische Länder?“

„Heirate mich, dann bekommst du ein Visum und jede Menge Oreo- Kekse!“

„JETZT REICHTS ABER!“, schreie ich lauthals, sodass unsere Boxerhündin, Inka, aufschreckt und sich langsam streckend aus ihrem Körbchen erhebt. Wesley sinkt in seinen Stuhl zurück und ich bemerke nur aus dem Augenwinkel, wie Paula in Ninja- Manier an mich herantritt und mir ganz langsam die Tischklingel aus der völlig zur Faust verkrampften Hand entnimmt.
Habe ich es nicht vorhergesagt? Das uns das um die Ohren fliegen wird? Ich sollte auf der nächsten Bildungsmesse einen Wahrsager- Stand für Nörgel- und Depri- Kolleginnen und Kollegen betreiben!
„Leute, das sind doch ernste Themen! Darüber macht man sich nicht lustig! Und über die Klassenfahrt sprechen wir erst, wenn ihr reif genug seid, an so einer Entscheidung mitzuwirken!“, schließe ich die Diskussion.
„Was heißt das, ‚mitzuwirken‘, ist das ab 18?“

Innerlich zerbreche ich mit der Tischklingel die Hartholzplatte meines Lehrerpultes und lasse einen Zwölfmeter Krater, gefüllt mit kochender Lava dabei entstehen.
„Nein, ist es nicht.“, presse ich in Jack Nicholson- Manier zwischen den zum Grinsen entblößten Zähnen hervor, „es bedeutet, dass wir die Entscheidung auf eine Stunde vertagen, wo alle ihre Zungen drin und ihre Gedanken bei uns haben! Bitte stellt jetzt die Stühle hoch, ohne- Wesley!- darauf irgendwelche Breakdance- moves auszuprobieren!“
Ohne einen weiteren Ton zu verlieren, deute ich auf die Handygarage an der Wand, um sie an ihre Geräte zu erinnern und erkläre die Stunde für beendet. Die Einzige, die freudig vor mir steht und den Unterricht genossen hat, ist scheinbar Inka.
So kann ich das nicht stehen lassen. Ein Plan muss her.

„Öhm, haben wir jetzt irgendwelche Hausis auf?“, will mein Mili noch schnell im Vorbeigehen wissen und mein Nerv am linken Auge beginnt gefährlich zu zucken.
„Geh bitte, schönes Wochenende!“, flüstere ich. Gleich heule ich. Oder esse etwas Ungesundes. Nur nichts Grünes, was zur Handdesinfektion gedacht ist.


Anna Maria Ram arbeitet als Pädagogin im hessischen Schuldienst. Dabei begleiten sie phasenweise ihre Deutschen Boxer, alle aus dem Tierschutz, in Klassen mit besonderen Ansprüchen und Lernschwierigkeiten. Anna Maria ist ebenfalls Buchautorin. Ihr Buch „Die anderen sind eh schlauer als uns!“ erscheint im Minerva Verlag. Für das Magazin „HundeWelt“ schreibt sie regelmäßig ihre eigene Kolumne. Hier auf Minerva VISION liegt ihr Schwerpunkt auf den Skurilitäten des Alltags.


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