Hoher Besuch
So gesehen … | Die Kolumne von Anna Maria Ram.
Ich glaube, ich habe es schon mehrfach erwähnt, aber der Einfachheit halber einfach ein trölfzehntes Mal noch: Hi, mein Name ist Anna und ich bin stolze Brennpunktpädagogin in einer deutschen Großstadt. Mit an meiner Seite: Inka, eine dreijährige Boxerhündin aus dem spanischen Tierschutz. Meine Ziele: Indiana Jones heiraten (den Jüngeren natürlich), Weltfrieden (muss sein!) und nahrhafte Lebensmittel ohne eine einzige Kalorie, von denen man automatisch schlanker wird, während man sie vertilgt.
Ach ja, UND: Meine Tierschutzhündin Inka mit als Hund in den Unterricht nehmen, quasi als Schulhund.
Und da liegt auch schon der Hase im Korn, Pfeffer oder sonst wo im Gewürzregal. Für den damit zusammenhängenden Behördendschungel bräuchte ich in der Tat einen wahren Indiana Jones! Aber nichtsdestotrotz, wir haben das Abenteuer gewagt und uns bis an diesen Punkt vorgekämpft: Die Genehmigung durch das Staatliche Schulamt.
Tadaaaa! Königsdisziplin, quasi der rettende Elfmeter kurz vorm Abpfiff, die letzte Toilettenrolle auf dem Gäste-WC nach dem indischen Buffet, die Fahrstuhltür, die sich genau in dem Augenblick schließt, wenn die Großfamilie aus dem Stock unter dir noch zusteigen will… ihr wisst, was ich meine.
„Vielleicht gehen wir bei Kaufland ein paar Snacks organisieren, wenn diese Frau vom Amt kommt, sie ist bestimmt hungrig!“, überlegt Paula im Klassenrat vor dem Besuch des Schulamtes.
Wie immer besprechen wir alles gemeinsam, damit es hinterher nicht heißt: „Aboo, Frau Rambo, Sie haben uns eiskalt hopps genommen!“
Inka liegt in ihrem Körbchen neben Wesleys Stuhl, der hin und wieder im gefährlichen Winkel über dem Klassenraumboden schwebt und seufzt bedeutungsschwanger, als wisse sie, dass der ganze Zirkus ihretwegen veranstaltet wird.
„Ja, lass bisschen Caprisonne und Mix-Mix-Boxen hinstellen!“
„Melonenkaugummi auch!“
„Schenken wir ihr ein Lipgloss!“
„Diese Ranch- Chips sind fett!“
„Du bist auch fett!“,
„Deine Muddaaa…!“
„STOOPPP!!!!“, trompete ich in die Mitte der ausartenden Diskussionsrunde um fragwürdig gesunde Lebensmittel, „die Dame kommt nach der nächsten Pause, hier wird nichts eingekauft!“
„Wass?? Heute?? Oh mein Gott, ich muss kurz meine Wimpern checken!“
„Ey, gib mal Deo, bitte!“
„Bruder, lass die Füße nicht auf dem Tisch, kommt nicht gut!“
„Hat jemand ein Lipgloss für mich??“
Vielleicht sollte ich nur einzelne Wörter in den Raum brüllen und die Band verwirrter Ameisen beim selbst destruktiven Gruppenrandalieren beobachten. Ganze Sätze scheinen sie zu überfordern. Inka gefällt die gekippte Stimmung extrem gut, sie hüpft zwischen den Beinen einiger Jungs umher, schnappt sich den Schal des am wenigsten Aufmerksamen und katapultiert diesen mit einem glücklichen Wuffen in den Mülleimer – Punkt, Satz, Sieg.
Während ich verzweifelt versuche die gröbsten Krümel mit einem keimbelasteten Taschentuch aufzuklauben, blinkt es bereits
Dieser Moment, wenn du feststellst, dass der Dinosaurier im Museum keine Attrappe ist, du vergessen hast, dass du gegen die Nüsse im Cupcake allergisch bist und an der Kasse des Supermarktes, mit vollem Einkaufwagen stehend vergisst, dass du dein Portemonnaie daheim gelassen hast!
Pure Panik!
Was, wenn Inka der Schulamts-Gertrud irgendwas anknabbert, oder sich nicht anfassen lässt? Was, wenn Wesely beschließt einen seiner Tanz- Anfälle zu bekommen, oder Paula ihre grammatikalisch fragwürdigen Sätze raushaut? Sollte ich vielleicht vorher die Tischglocke verstecken, aus Angst, ich werfe damit einen der Jungs in der hinteren Reihe ab, wenn diese mal wieder eskalieren?
Nachdem ich mehrere Herzstillstände und sicher die ein oder andere außerkörperliche Erfahrung überstanden habe, trottet meine Herde Neuntklässler ganz brav und gesittet wieder aus der Pause zu ihren Plätzen. Inka steht schwanzwedelnd an der Tür und begrüßt jeden, als ob sie anmahnen würde, worum es gleich gehen soll.
Komischerweise redet keiner ein Wort. Die ganzen nächsten 15 Minuten herrscht Totenstille, alle starren eifrig auf die Tür. Sogar Inka sitzt kerzengerade in ihrem Körbchen und folgt den fixierenden Blicken ihrer Klasse.
Es klopft.
Oh Gott.
Ich muss mich übergeben!
Das wars!
„Frau Ram?“, steckt unsere Sekretärin vorsichtig den Kopf zur Tür herein.
„Jaaa bitte?“, zittere ich.
„Frau Knotterich wird den Termin leider noch einmal verschieben, sie hatte einen Radunfall!“, erklärt mir die Sekretärin freundlich, winkt in die Klasse und schließt die Tür.
„Ist die jetzt tot?“
„Dann brauchen wir auch keine Snacks mehr holen!“
„Wie heißt die? Knatterbüchse??“
„Deine Mutter knattert…..!“
Ich lehne mich zurück. Inka legt den Kopf auf ihre Pfoten und schließt in der aufkommenden Woge jugendlicher Auseinandersetzungen entspannt die Augen. Das kennen wir, sie und ich. Lärm und Beleidigungen. Damit können wir umgehen.
Mit der Stille und dem Schulamt beschäftigen wir uns dann wohl ein anderes Mal.
Ende gut, Nerven gut.
Bis zum nächsten Mal!
Anna Maria Ram arbeitet als Pädagogin im hessischen Schuldienst. Dabei begleiten sie phasenweise ihre Deutschen Boxer, alle aus dem Tierschutz, in Klassen mit besonderen Ansprüchen und Lernschwierigkeiten. Anna Maria ist ebenfalls Buchautorin. Ihr Buch „Die anderen sind eh schlauer als uns!“ erscheint im Minerva Verlag. Für das Magazin „HundeWelt“ schreibt sie regelmäßig ihre eigene Kolumne. Hier auf Minerva VISION liegt ihr Schwerpunkt auf den Skurilitäten des Alltags.
