Freizeit

Eine tief verankerte Feindschaft

Auch Hunde haben ihre Vorlieben. Wenn sich Zwei nicht mögen, darf man das einfach akzeptieren. Freundschaft kann man auch bei Hunden nicht erzwingen. Das musste Birgit Jaklitsch, freie Journalistin verschiedener Tageszeitungen und Autorin, auf die harte Art und Weise lernen. Davon schreibt sie in ihrem Buch “Dickes Fell und Langer Atem”.

Finley, Caruso und ich verbrachten mehr als 12 Jahre gemeinsam in unserer Straße.

Dass niemand verletzt wurde, grenzt an ein kleines Wunder. Aufeinandertreffen hatten immer etwas von russischem Roulette. Zwischen Finley und mir lief noch lange nicht alles perfekt. Was Caruso betraf, waren wir uns in der Einschätzung allerdings weitgehend einig: höchst unangenehm, könnte gefährlich werden, hatte großes Eskalationspotential.

In ihrer Sturm- und Drang-Zeit reichte beiden Rüden ein einziger Blick auf den anderen, oft auch auf weite Entfernung, um auszurasten. Eine Begegnung ohne Konflikt gab es nicht. Da wurden die Boxhandschuhe über alle vier Pfoten gestreift und dann warteten sie auf den Gong … Canidenboxen, Gewichtsklasse Cruisergewicht, Runde 1 bis …

Als beide Hunde ausgewachsen waren und sich an ihrem Verhalten nichts änderte, wurde mir klar, dass das Verhalten unserer Hunde nicht nur auf die Pubertät zurückzuführen war. Diese Zwei hassten sich zutiefst. Jedwede Art von Zusammenführung würde es zwischen diesen Hunden niemals geben, wenn wir Halterinnen dieses Problem nicht angehen würden. Da ich erfahrungsgemäß dabei nicht auf Bruni zählen konnte, musste ich für Finley und mich Wege finden, wie wir uns diesem Chaos entziehen konnten.

Ich trainierte mit Finley ein Aufmerksamkeitssignal ein, das mir nach langem Üben erlaubte, sein unerwünschtes Verhalten für einen Moment zu unterbrechen. In diesem kleinen Zeitfenster konnte ich ihm sagen, was zu tun ist. Das konnte bedeuten, dass er bei mir bleiben sollte, ich ihn voran schickte, er Sitz machen musste oder ich ihm schlicht mit einem scharfen „Aufhören!“ befahl, sein Gegenüber mit Knurren oder Gebell noch zusätzlich zu reizen. Und mal unter uns:
Abzuhauen ist keine Schande, insbesondere dann nicht, wenn das Gegenüber stramme 70 Zentimeter Schulterhöhe, gefühlte 60 Kilogramm pure Muskelmasse und einen abrissbirnengroßen Knochenbrecherschädel vorzuweisen hat.

Ausweichen oder Weggehen sind unter Hunden gängige Mittel der Deeskalation.

Wenn ein Mensch also entscheidet, seinen Hund nicht in die Konfrontation laufen zu lassen, sondern ihr auszuweichen, ist das eine durchaus souveräne Lösung und hat nichts mit Feigheit zu tun. Das sehen im Übrigen auch eure Hunde so. Sie bekommen durchaus mit, ob ihr in der Lage seid, eine Situation einzuschätzen und ob ihr imstande seid, adäquat zu reagieren.

Da Bruni aber eine ganz andere Art der Hundehaltung zelebrierte als ich, lag es in der Natur der Sache, dass unsere Begegnungen nach wie vor kompliziert abliefen. Nachfolgend erzähle ich euch mal ein paar unserer Highlights.

Finley und Caruso, beide angeleint, begegneten sich in unserem Hauswald. Beide waren etwa fünf Jahre alt und standen sich gegenüber. Sie zeigten die Zähne, knurrten was das Zeug hielt und versprühten Rüdenchefsekret aus allen Drüsen, als gäbe es kein Morgen mehr. Ich versuchte, Finley und mich aus der Schusslinie zu bringen. Was mir, wenn auch zäh, nach und nach gelang. Bruni … ähm, ja … beobachtete aufmerksam, was Finley und ich so machten, wickelte sich warum auch immer, die Leine dreimal um ihre Handgelenke und tat darüber hinaus nichts.

Mein Adrenalin- und mein Cortisolspiegel saßen inzwischen gemeinsam im Hormon-Pub am Kneipentresen und köpften eine Flasche Wodka. „Prost Jungs, ex und hopp, es bleibt wieder mal an uns hängen.“ Solche Zusammentreffen wurden regelmäßig durch Finley und mich beendet, indem wir umdrehten und in die entgegengesetzte Richtung das Weite suchten. Ihr wisst ja, Abhauen ist keine Schande. Wenn wir Glück hatten, konnte Bruni Caruso mit Mühe und Not festhalten. Wenn ich für jeden Extrakilometer, den Finley und ich wegen Caruso und Bruni gelaufen waren, einen Euro bekommen hätte, wäre mein Haus abbezahlt und in meinem Vorgarten stünde ein schickes Cabrio für die warmen Sommertage.

Ein paar Wochen später gab es wieder eines dieser Gipfeltreffen, dieses Mal auf unserer Hundewiese am Bahndamm.

Wir kamen gerade an, deshalb war Finley angeleint, Caruso kam auch gerade an und war, wie meistens, nicht an der Leine. Ratet! Richtig, die beiden Machos standen sich gegenüber, fletschten die Zähne und knurrten sich wütend an. Die Drüsen taten ihre Pflicht und verteilten Rüdenchefsekret in der Vorstadt, als gäbe es kein Morgen mehr. Ich versuchte, Finley meinen Fluchtplan schmackhaft zu machen. Es lief so semigut. Caruso kam langsam in drohend, gebückter Haltung auf uns zu. Keine Chance, dass Finley ihm in dem Moment den Rücken zudrehen würde, schließlich hatte er keine Todessehnsucht. Bruni hauchte ein verhaltenes „Caruhusooo“ in ihren Mantelkragen und tat darüber hinaus … ratet noch einmal … genau, NICHTS.

Ich erwog kurz, die Leine fallen zu lassen und Finley zu gestatten, seine Rüdenpflicht zu tun. Dann hätte ich beide Hände frei gehabt, um Bruni den Hintern zu versohlen. Mein Noradrenalin kam just in den Pub und setzte sich zu den beiden anderen Wutbrüdern an den Tresen und bestellte beim Bartender drei Cocktails namens „Hells Bells“. Meine Toleranz war derweil spontan in den Kurzurlaub geflogen.

Trotzdem, zähneknirschend verwarf ich den Plan, Bruni zu vermöbeln. Ich konnte stolz auf mich sein. Impulskontrolle war die halbe Miete, aber eben auch nur die halbe, denn just in diesem Moment entschloss sich Bruni, die Situation ein wenig anzuheizen und warf, begleitet von den Worten „Hol den Balli“, einen ausgeleierten Kinderball zwischen die beiden Hunde … Eskalation! Die Sterbeszene aus Othello war nichts gegen das, was unsere beiden Rüden da abgezogen haben. An dieser Stelle sei gesagt, ein Beutestück, in diesem Fall einen Ball, zwischen zwei Kettensägen-Massaker-wütende Hunde zu werfen ist fahrlässig.

Meine Impulskontrolle sang „Musiden zum Städtele hinaus“, die Heavy-Metal-Version, und schwenkte dabei eine blutdurchtränkte Fahne! Ich brüllte Bruni an, dass wenn sie ihren „Killerkö#!+**+#“ nicht sofort an die Leine nehmen würde, ich aus ihr, ihrem Mann, ihrem Hund und ihrer Nachzucht Hackfleisch machen würde. Bruni schluckte und leinte Caruso irgendwie an, murmelte etwas wie „unter sich ausmachen“ und sie könne ihn ohnehin nicht halten und zog mit ihrem bockenden Höllenhund unter großen Mühen gen Heimat.

Die nächste Begebenheit ist ohne Zweifel eine meiner Favoritinnen.

Finley und ich wollten gerade über unseren Garagenhof in die Wälder entschwinden, da bog Caruso von der anderen Seite auf das Gelände ein. Wie überaus unpassend von ihm und sein Frauchen Bruni war … tja, wer wusste das schon?

Caruso sah uns und geiferte sofort los. Hektisch sah ich mich um. Unsere Ausweichmöglichkeiten waren beschränkt. Wir brauchten einen sicheren Ort, bitte jetzt, einen Zaun, hinter dem wir in Deckung gehen konnten, einen Schuppen, ein CIA-Safehouse, irgendetwas, bitte!!!

Da, Martins Garage, sie war offen. Wir nichts wie rein und das Tor hinter uns zugezogen. Mit einem lauten Scheppern knallte das Tor herunter und dann hörte ich, wie das Torschloss mit einem fiesen „Gritsch“ einrastete.

Da standen wir nun. Eine erwachsene Frau mittleren Alters und ihr Rüde, allein in der Dunkelheit einer Sechziger-Jahre-Retro-Garage, die nicht uns gehörte. Und vor dem Tor ein heulender, ponygroßer Höllenhund, der frische Beute witterte. Langsam gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit, meine Gehirnfunktionen fanden nach und nach wieder zu ihrer Normaleinstellung zurück. Ich sah einen Schalter an der Wand und dachte, was soll’s, ich drück mal. In der nächsten Sekunde war die Garage hell erleuchtet. Wir sahen uns um.

Martin war offenbar einer dieser Wochenendbastler, die ihre freie Zeit lieber mit kaputten Fahr- und Motorrädern in ihrer Garage verbrachten, als mit der Familie im schmucken Reihenhaus. Offenbar hatte seine Bastelleidenschaft nicht für die Installierung eines von innen zu bedienenden Öffnungsmechanismus für das Garagentor gereicht. Frustriert nahm ich auf einer ausgeschlachteten Vespa Platz. „Tja Finley“, sagte ich, „schöner Mist. Von innen kann man die Garage nicht öffnen. Hoffentlich kommt Martin bald zum Basteln runter.“

Draußen heulte noch immer der Sennenhund, da klopfte es am Tor.

Es war Bruni und sie fragte: „Birgit? Alles okay?“ Ich seufzte und antwortete: „Hmmm, alles super. Danke.“

Bruni, immer hilfsbereit, fragte weiter: „Soll ich euch mal rauslassen?“ Wirklich? SIE WOLLTE DIE TÜR ÖFFNEN? Zusammen mit ihrem blutrünstigen Rüden? Im Hintergrund hörte ich Caruso mit den Zähnen knirschen. Es klang, als würde er einem Wildschweineber das Genick zermalmen.

Ich schüttelte mit dem Kopf und antwortete ihr: „Och nö, geh mal nach Hause. Ich habe noch was zu tun.“ „Was denn?“, wollte Bruni neugierig wissen. Ich verdrehte verzweifelt die Augen und sagte: „Ich sortiere gerade meine Schrauben, das kann dauern.“ Brunis Stimme klang etwas unsicher als sie, „Ach so, na dann mal bis zum nächsten Mal“, sagte und dann gingen sie und Caruso, dieser unter Protest, endlich.

Meine Güte, dachte ich, wenn es Prämien für Begriffsstutzigkeit gäbe, würde Bruni am Jahresende alle Boni einstreichen. Irgendwie musste ich jetzt einen eleganten Weg finden, ohne Gesichtsverlust aus dieser Garage herauszukommen. Gott sei Dank war Finley inzwischen etwas souveräner geworden. Das Tor war zu, der Feind konnte ihn nicht erreichen, also gab es für ihn keinen Grund mehr, sich aufzuregen. Er hatte es sich längst auf einem Haufen schmieriger Putzlappen bequem gemacht. Sein Blick schien zu sagen: „Du hast uns hier reingebracht, Birgit, also sieh‘ zu, dass du uns hier auch wieder rausbringst.“

Genau in diesem Moment hörte ich ein unterdrücktes Kichern: „Hallohooo… Pfmfffhihihiii… ihihiiist dahahaha jepfffmpfmand?“ Das war Martin, der Garageninhaber. Okay, „ohne Gesichtsverlust“ konnte ich jetzt wohl streichen.

Ich antwortete: „Ja, ich bin’s, Birgit. Ähm, also Finley ist bei mir. Wir mussten hier mal schnell rein … öh, so fluchttechnisch gesehen …“ „Ahaaahahahaaa, dann will ich euch mal wieder rauslassen.“

Peinliche Momente wie diese, versuchte ich oft mit ausgesuchter Höflichkeit zu überspielen und sagte: „Ja bitte, das wäre außerordentlich nett.“ Das Tor fuhr hoch und Martin stand vor uns. Mein Nachbar grinste über beide Backen, er hatte offenbar alles beobachtet und fragte: „Willst du drüber reden?“ „Nee, bloß nicht“, antwortete ich. „Bleibt alles unter uns“, sagte er gönnerhaft und legte seinen Arm um meine Schultern. Ich habe das mal ganz tapfer weggesteckt und Finley und ich gingen unsere Runde zu Ende.

Caruso war unangefochten unser Intimfeind.

Allerdings gab es, um ehrlich zu sein, noch weitere Rüden in unserer Gegend, mit denen Finley während seiner Pubertät die Schwerter kreuzte. Oft entstanden die Konflikte dadurch, dass wir Menschen nicht angemessen reagierten, oder der eine oder andere Hundehalter die Gemütsverfassung seines Hundes fehleinschätzte.

Wenn ich mit meinem an der Leine laufenden Rüden in unserem Wald unterwegs war, wollte ich von meinem Gegenüber nicht als Erstes wissen, dass ihr Pfiffi „eigentlich ganz lieb“ sei. Ich brauchte auch keine Beurteilung meiner Hundehalterfähigkeiten, „Sein‘ se mal nicht so ängstlich, junge Frau“. Nein, ich wollte, dass mein Gegenüber zu allererst seinen Hund sicherte und ihn an die Leine nahm.

Darüber hinaus wäre es von großem Vorteil gewesen, wenn der andere Hundehalter mit mir kommuniziert hätte, „Dürfen unsere Hunde spielen“, „Kommt Ihr Hund mit anderen Rüden zurecht“, „Sorry, aber meine Hündin ist läufig“. Absprachen in ruhiger und zugewandter Atmosphäre wären ein großes Plus gewesen, waren aber leider, leider sehr, sehr selten gewesen.

Schon als Finley noch mitten in der Pubertät steckte, war ich mir relativ sicher, dass es mit Caruso wohl niemals anders laufen würde. Aber vielleicht konnten Finley und ich es schaffen, dass es mit Leo, Pauli, Enzo und den anderen Rüden in unserem Vorort besser lief.

Finley musste toleranter und ausgeglichener werden. Ich musste ihm helfen, mehr in sich zu ruhen. Um das zu erreichen, musste ich mir wieder einen geeigneten Hundetrainer suchen und erinnerte mich an den Tipp meines Züchters Michael. Der Vereinshundeplatz in Kayhude sollte mein nächster Anlaufpunkt werden.

Zum Weiterlesen:

Dickes Fell und Langer Atem

Vom Überleben an der Schleppleine

Birgit Jaklitsch

Minerva Verlag, Mönchengladbach

Taschenbuch, 284 Seiten.

Jetzt erhältlich im Buchhandel und auf www.minervastore.de

Über die Autorin:

Autorin Birgit Jaklitsch wurde 1961 in Hamburg geboren. In den vergangenen Jahren arbeitete sie als Gerichts- und Polizeireporterin, Onlineredakteurin und bis heute als freie Journalistin im Lokalteil verschiedener Tageszeitungen. Daneben berät sie Hundehalter bei der Erziehung ihrer Vierbeiner. Die Erlebnisse mit ihrem Hund schrieb sie zuerst in ihrem Hundeblog Goodfellows nieder. Seit 2019 schreibt sie die Kolumne „Finley & Ich“ für die HundeWelt. Vor kurzem erschien ihr Buch „Dickers Fell und langer Atem“ über ihre Erlebnisse mit Golden Retriever Finley. Sie lebt mit Mann, zwei Töchtern – und natürlich besagtem Finley – im Nordosten der Hansestadt.

Teilen
×