Die Macht des Schulterklopfens
Was macht Berührung mit der Seele? Den Unterschied zwischen Erfolg und Niederlage, beweist Christiane Büttner. Die Psychologin forscht an der der Universität Basel und zeigt, warum wir uns selbst und anderen öfter mal auf die Schulter klopfen sollten.
Theresas Hände zittern. Sie spürt, wie ihr Schweißtropfen den Rücken entlang fließen. Wohlweislich hatte sie heute morgen ein dunkles Oberteil angezogen. Damit der Schweiß keine auffälligen Flecken macht. Die junge Ärztin hält einen Vortrag für werdende Eltern, die in der Klinik vielleicht entbinden möchten.
Doch für Theresa ist öffentliches Sprechen eine Tortur. War es schon immer. Die Minuten vor ihrer Rede dehnen sich wie Stunden. Trotz der Kühle des Raumes fühlt sich jeder Atemzug warm und schwer an. Theresa versucht, sich auf ihre Atmung zu konzentrieren – langsam einatmen, langsam ausatmen. Sie blickt auf ihre Notizen und wiederholt leise die Einleitung, um sich zu beruhigen.
Um sie herum beginnen sich die Stühle zu füllen. Die murmelnden Stimmen der werdenden Eltern verschmelzen zu einem undeutlichen Rauschen in ihren Ohren. Sie spürt die Blicke auf sich gerichtet, als wären sie Scheinwerfer in einer dunklen Nacht. „Du schaffst das schon“, hört sie die aufmunternden Worte der Oberärztin, die ihr aufmunternd auf die Schultern klopft. Und in der Tat verändert sich durch diese simple Haltung in Theresa viel.
Die Nervosität überwinden
Als sie das Mikrofon ergreift, spürt sie noch immer das Zittern ihrer Hände, doch ihre Stimme klingt erstaunlich fest und klar. „Guten Abend“, beginnt sie, und mit jedem weiteren Satz baut sich ihr Vertrauen auf. Sie lässt die Nervosität hinter sich und taucht ein in die Botschaft, die sie teilen möchte und erzählt vom schönen neuen Kreißsaal, dem motivierten Personal und den Familienzimmern. Der Abend wird ein Erfolg.
Wäre es ohne das Schulterklopfen genauso gelaufen?
Wahrscheinlich nicht, weiß Christiane Büttner von der Fakultät für Psychologie der Universität Basel. Sie ging der Frage nach, ob Menschen unter großem Stress mehr Leistung bringen, wenn man ihnen vorher auf die Schulter klopft. Dass Berührungen in belastenden Situationen emotional helfen können, ist hinlänglich bekannt. Ob sie aber auch einen direkten und messbaren Einfluss auf den Erfolg und die Leistungsfähigkeit in stressigen Lebenslagen haben, weiß bislang keiner. Deshalb untersuchte sie die Folgen des Schulterklopfens im Kontext von Basketballspielern und ihre Ergebnisse waren so wichtig, dass sie im Fachjournal «Psychology of Sport & Exercise» veröffentlicht wurden. Beim Freiwurf im Basketball sind alle Augen auf eine Person gerichtet. Der Stress in dieser Situation ist enorm.
Wenn alle Augen auf dich gerichtet sind und du liefern musst
Eine der stressigsten Situationen während eines Matchs sind Freiwürfe. Diese erhält eine Spielerin oder ein Spieler zugesprochen, wenn sie oder er bei einem Wurfversuch gefoult wurde. In den meisten Fällen gibt es dann zwei Freiwürfe, welche die gefoulte Spielerin in je einen Punkt pro Treffer verwandeln kann. Viele Spiele werden durch solche Freiwürfe entschieden. Kann ein freundschaftlicher Klaps auf die Schulter die Chancen auf einen Treffer erhöhen?
Genau diese Situation haben Büttner und ihre Kollegen von der Universität Landau und der Purdue University anhand von Videos von Basketball-Matchs untersucht: Die Studie umfasste insgesamt 60 Spiele von Frauen-Basketballmannschaften der «National Collegiate Athletic Association» (NCAA) in den USA. Die Spiele enthielten 835 mal zwei Freiwürfe.
Wie man sich und anderen den Rücken stärkt
Für ihre Auswertung analysierten die Forschenden, von wie vielen der vier Teamkolleginnen die werfende Spielerin vor einem Wurf berührt wurde, etwa in Form von Schulterklopfen oder einem Händedruck. Anschließend berechneten sie, ob es einen statistischen Zusammenhang zwischen der Anzahl Berührungen durch die Teamkolleginnen und der Erfolgsquote des anschließenden Wurfs gab. In der Tat zeigten die Daten, dass sich die Chance auf einen Treffer erhöhte, wenn die Teamkolleginnen ihre Unterstützung durch eine Berührung zeigten. Besonders stark war der Effekt nach einem missglückten ersten Wurf. „Die Unterstützung durch Teamkollegen ist also besonders dann hilfreich, wenn das Stressniveau bereits hoch ist, weil man den ersten der beiden Würfe verfehlt hat“, fasst Christiane Büttner zusammen. Es sei durchaus denkbar, dass ein Schulterklopfen oder Händedruck auch bei anderen Teamleistungen helfe, mit Stress umzugehen und die Leistung zu verbessern, so die Psychologin.
Mehr als 10% des Gehirns werden durch Berührungen stimuliert
Dazu passen die Ergebnisse von Dr. Burkhard Pleger, Neurologe an den Berufsgenossenschaftlichen Kliniken Bergmannsheil in Bochum. Ein aufmunterndes Schulterklopfen oder ein weicher Pullover auf der Haut – auch Dinge, die wir nicht aktiv mit den Händen erkunden, nehmen wir über unsere Körperwahrnehmung wahr. „Welche Gehirnareale für diese Berührungswahrnehmung zuständig sind, ist jedoch noch weitestgehend unbekannt“, schreibt Pleger in einer gemeinsamen Studie von Forschern des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig und der Ruhr-Universität Bochum. Die Forscher untersuchten die Gehirne von 70 Patientinnen und Patienten mittels struktureller Magnetresonanztomographie (MRT) und konnten nachweisen, dass mehr als 10 Prozent der Großhirnrinde an der Verarbeitung von Informationen unseres Tastsinns beteiligt sind. Und deshalb können wir über den Tastsinn unsere Gefühle beeinflussen und kontrollieren.
Schulterklopfen erzeugt Wohlbefinden
Und dass Schulterklopfen Verbundenheit und damit Wohlbefinden erzeugt, wissen auch Spieleentwickler. Hier spielen Menschen miteinander, die räumlich weit voneinander entfernt sind. Um dennoch ein Gefühl des Beisammenseins zu erzeugen, wird in neuen Spielgenerationen die Übertragung von dazu passenden Emotionen weiter verstärkt. So wird beispielsweise der Herzschlag, ein Schulterklopfen oder der Atem über smarte Textilien übertragen, weil ihre Wirkung auf die Psyche so stark sind. Im amerikanischen Basketball erhält der Werfer deshalb vor jedem Freiwurf von seinen Mitspielern aufmunternde Schulterklopfer. Dass es nicht nur bei Profis wirkt, weiß auch Sabine. Die Sportlehrerin leitet die Basketball-AG an einer Gesamtschule. „Wenn die Kinder die Unterstützung ihrer Mitspieler auch körperlich spüren, können echte Wunder geschehen“, sagt sie. Wir sehen zu, wie Louis einen Freiwurf verwandelt. Vorher hat jeder seiner Mitspieler ihm aufmunternd die Schulter getätschelt. Der Schiedsrichter pfeift kurz, und eine Stille legt sich über die Menge. Louis steht an der Freiwurflinie, atmet tief durch und blickt auf den Korb. Alle Augen sind auf ihn gerichtet. Mit einer Bewegung, die halb automatisch ist, lässt er den Ball los. Die Welt scheint langsamer zu werden, während der Ball durch die Luft fliegt. Der Druck, der Moment, die Stille – alles verdichtet sich auf den kurzen Bogen, den der Ball beschreibt. Dann das erlösende Geräusch: Das Rauschen des Netzes.
Ein Aufatmen geht durch die Menge, und auf Louis Gesicht bricht sich ein Lächeln durch die Maske der Anspannung. Es ist geschafft.
Es braucht nicht viele Worte, sondern nur eine simple Geste. Ein Schulterklopfen stärkt Mut, Selbstvertrauen und kann den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg ausmachen. Es ist wirklich nur eine simple Geste, aber sie ist machtvoll. Deshalb klopft. Den Partner, die Kinder, Freunde und euch selbst. Auf die Schulter. Weil`s weiterbringt.
Quellen: Michael Rullmann, Sven Preusser, Burkhard Pleger: Prefrontal and parietal contributions to the perceptual awareness of touch, in: Scientific Reports, 2019, DOI: 10.1038/s41598-019-53637-w, Christiane M. Büttner, Christoph Kenntemich, Kipling D. Williams, The power of human touch: Physical contact improves performance in basketball free throws, Psychology of Sport & Exercise (2024), doi: 10.1016/j.psychsport.2024.102610, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1469029224000219?via%3Dihub