„Das Leben nach dem Burnout“
Erzähl mir dein Leben:
„Erzähl mir dein Leben“ ist der Ort, an dem Menschen ihre ganz persönliche Geschichte teilen. Ob große Herausforderungen, kleine Freuden, unerwartete Wendungen oder mutige Entscheidungen – hier findet jede Lebensgeschichte ihren Raum. Durch das Erzählen entdecken wir uns selbst und können auch anderen helfen.
Ein Gespräch über Neuanfang und Selbstfürsorge.
Ein Burnout kann das Leben von Grund auf verändern. Für viele Menschen kommt er plötzlich, als das Resultat von jahrelangem Stress und Überlastung – und doch sehen nur wenige den Zusammenbruch wirklich kommen. Carla (42) hat vor drei Jahren einen Burnout erlitten. In diesem Interview spricht sie offen über die Zeit danach, wie sie sich Schritt für Schritt erholt hat und welche Veränderungen sie in ihrem Leben vorgenommen hat, um sich wieder selbst zu finden
Carla, danke, dass du bereit bist, über dieses sehr persönliche Thema zu sprechen. Wann hast du das erste Mal gemerkt, dass etwas nicht stimmt?
Carla:
Es kam schleichend, fast unbemerkt. Ich habe lange Zeit den Druck und die ständige Überforderung in meiner Arbeit ignoriert, weil ich dachte, das gehört einfach dazu. Ich war in einer Führungsposition und habe immer das Gefühl gehabt, alles perfekt machen zu müssen – für meine Mitarbeiter, meine Kollegen, meine Familie. Irgendwann wurde ich immer erschöpfter, aber ich habe das einfach auf den normalen Stress geschoben.
Der Punkt, an dem ich realisierte, dass es nicht mehr „normaler“ Stress war, kam, als ich plötzlich morgens nicht mehr aufstehen konnte. Mein Körper hat einfach abgeschaltet. Ich lag da und hatte das Gefühl, dass ich nicht einen Schritt weitergehen kann. Alles war zu viel. In dem Moment wusste ich: Es geht nicht mehr.
Wie hat sich der Burnout für dich angefühlt? Was waren die schwersten Momente?
Carla:
Es war, als ob jemand das Licht in meinem Leben ausgeknipst hätte. Dazu ein konkretes Beispiel: ich konnte nicht mehr aufstehen, um an den Kühlschrank zu gehen. Ich bin von der Couch aus über den Boden gekrochen, und habe mich dann am Kühlschrank hochgezogen. Es ging einfach nichts mehr. Ich hatte keine Energie mehr, keine Freude, keine Motivation. Alles, was ich früher gern gemacht habe, fühlte sich plötzlich bedeutungslos an. Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren, nicht einmal einfache Aufgaben schienen machbar. Es war, als hätte mein Gehirn einen Nebel, durch den ich nicht hindurchsehen konnte.
Der schwerste Moment war, als ich erkannte, dass ich nicht mehr die Kontrolle über mein Leben hatte. Es fühlte sich an, als wäre ich in ein tiefes Loch gefallen, aus dem ich nicht mehr herauskam. Auch meine Beziehungen haben darunter gelitten. Ich zog mich zurück, hatte keine Kraft mehr, soziale Kontakte zu pflegen, und das hat auch meine Familie stark belastet.
Wie hast du es geschafft, aus diesem Tief herauszukommen? Was waren die ersten Schritte?
Carla:
Der erste Schritt war zu akzeptieren, dass ich Hilfe brauche. Das war für mich unglaublich schwer, weil ich immer die Starke war, die alles allein geschafft hat. Aber ich musste lernen, dass es okay ist, Schwäche zu zeigen und Unterstützung anzunehmen. Ich habe professionelle Hilfe in Anspruch genommen – durch einen Therapeuten und auch durch eine Reha-Maßnahme, die sich auf Erschöpfung und Burnout spezialisiert hat.
Die Reha war ein Wendepunkt. Dort lernte ich, meinen Körper und meinen Geist wieder wahrzunehmen und zu verstehen, wie viel ich von mir selbst abverlangt hatte. Wir haben dort viel über Achtsamkeit gesprochen, über Selbstfürsorge und darüber, wie man seine eigenen Bedürfnisse wieder in den Vordergrund stellt. Es war ein langsamer Prozess, aber ich habe Stück für Stück gelernt, mir wieder selbst zuzuhören und kleine Schritte zu gehen.
Welche Veränderungen hast du in deinem Leben vorgenommen, um den Stress zu reduzieren und erneuten Burnout zu vermeiden?
Carla:
Ich habe viele Dinge komplett umgekrempelt. Zuerst einmal musste ich meine Arbeitssituation grundlegend ändern. Ich habe meinen Job gekündigt, weil mir klar wurde, dass ich in dieser Umgebung nie wirklich zur Ruhe kommen würde. Es war eine der schwersten Entscheidungen meines Lebens, weil ich sehr stolz auf meine Karriere war, aber es war auch eine notwendige Entscheidung. Ich arbeite jetzt in Teilzeit in einem kleineren Unternehmen, das viel weniger Druck auf mich ausübt.
Aber es ging nicht nur um die Arbeit. Ich musste lernen, „Nein“ zu sagen – nicht nur bei der Arbeit, sondern auch im Privatleben. Früher habe ich immer versucht, allen gerecht zu werden, mich um alle zu kümmern. Jetzt habe ich Grenzen gesetzt, nehme mir bewusst Auszeiten und sorge dafür, dass ich nicht ständig unter Strom stehe. Ich habe auch wieder angefangen, Dinge zu tun, die mir Freude bereiten – ohne den ständigen Druck, produktiv sein zu müssen.
Eine der größten Veränderungen war es, Routinen zu entwickeln, die mir helfen, bei mir zu bleiben. Das bedeutet, regelmäßig Achtsamkeitsübungen zu machen, Meditation zu praktizieren und vor allem darauf zu achten, wie es mir geht – körperlich und emotional.
Hast du das Gefühl, dass du heute besser mit Stress umgehen kannst als früher?
Carla:
Ja, absolut. Früher habe ich Stress einfach weggedrückt, bis ich irgendwann zusammengebrochen bin. Heute habe ich gelernt, die Warnsignale früher zu erkennen. Wenn ich merke, dass der Stress zu viel wird oder ich wieder in alte Muster verfalle, dann nehme ich mir bewusst eine Pause. Ich muss nicht mehr so funktionieren wie früher – das war eine der größten Erkenntnisse. Es ist in Ordnung, langsamer zu sein, sich Zeit zu nehmen.
Ich habe auch gelernt, dass es okay ist, Hilfe zu suchen. Ich stehe jetzt in regelmäßigem Kontakt mit meiner Therapeutin und nutze diese Gespräche, um meine Gedanken zu sortieren und mich selbst zu reflektieren. Der Burnout hat mir gezeigt, dass ich nicht unzerstörbar bin – aber auch, dass ich die Macht habe, auf mich selbst aufzupassen.
Wie haben die Menschen in deinem Umfeld auf deine Veränderung reagiert?
Carla:
Am Anfang war es für einige schwer zu verstehen, besonders für Freunde und Kollegen, die mich immer als die „Powerfrau“ gekannt haben. Viele dachten, ich würde nach ein paar Wochen wieder „normal“ funktionieren. Aber Burnout ist nicht etwas, von dem man sich einfach erholt und dann weitermacht wie vorher.
Meine Familie hat mich sehr unterstützt, aber auch sie mussten lernen, mit der neuen Carla umzugehen – die Carla, die auch mal Nein sagt und sich nicht für alles verantwortlich fühlt. Es war ein gemeinsamer Prozess, in dem wir viel kommunizieren mussten.
Einige Freunde habe ich auf dem Weg verloren, weil sie nicht verstanden haben, warum ich mich zurückgezogen habe oder warum ich nicht mehr dieselben Dinge tun konnte wie früher. Aber dafür sind andere, tiefere Freundschaften entstanden – mit Menschen, die mich wirklich verstehen und unterstützen.
Was würdest du jemandem raten, der gerade an einem Punkt ist, an dem er sich völlig ausgebrannt fühlt?
Carla:
Mein größter Rat ist: Hol dir Hilfe. Warte nicht, bis es nicht mehr geht. Es ist okay, nicht stark zu sein, und es ist okay, sich Unterstützung zu suchen. Ein Burnout ist ein Zeichen dafür, dass dein Körper und Geist dringend eine Pause brauchen, und es ist so wichtig, das zu respektieren.
Hör auf dich selbst, achte auf die kleinen Warnzeichen – Schlaflosigkeit, ständige Erschöpfung, das Gefühl, dass du dich nicht mehr konzentrieren kannst. Wenn du diese Anzeichen ignorierst, wird es nur schlimmer. Aber wenn du dir Zeit nimmst, dich wirklich um dich selbst zu kümmern, kannst du wieder gesund werden.
Und das Wichtigste: Verändere etwas. Burnout passiert nicht einfach so, es ist das Ergebnis eines Lebensstils oder einer Situation, die dir nicht guttut. Es mag schwer sein, aber oft ist es notwendig, grundlegende Veränderungen vorzunehmen – sei es im Job, in den Beziehungen oder in den Erwartungen, die du an dich selbst hast. ist, diese zu gehen.
Vielen Dank, Carla, für deine Offenheit und deine wertvollen Einsichten.
Carla:
Gern. Ich hoffe, dass meine Geschichte anderen Mut macht, die vielleicht gerade das Gefühl haben, dass sie am Ende ihrer Kräfte sind. Es gibt einen Weg zurück – aber man muss ihn Schritt für Schritt gehen.
Der Kommentar von Nina, unserem Selbsthilfe-Coach:
“Carla zeigt uns, dass Burnout nicht das Ende sein muss, sondern auch die Chance auf einen Neuanfang bieten kann. Es erfordert Mut, Veränderungen vorzunehmen und sich selbst einzugestehen, dass man Hilfe braucht. Aber genau diese Schritte sind es, die langfristig zu einem gesünderen und ausgeglicheneren Leben führen. Stress gehört zum Leben dazu, aber es ist entscheidend, wie man mit ihm umgeht – und wie man auf sich selbst achtet. Betroffene müssen lernen, sich wieder zu spüren. Sie müssen merken, was ihnen Stress macht und die Stress-Faktoren im Idealfall identifizieren, um dann besonders achtsam zu sein. Wenn ich zum Beispiel weiß, dass mich der Elternabend extrem stresst, dann kann vielleicht mein Partner dorthin gehen, oder aber ich plane mir am Tag danach extra-Auszeiten ein. Auch eine Gesundheits-App kann helfen, die zum Beispiel den Blutdruck überwacht oder in regelmäßigen Abständen fragt: „Wie geht es dir? Hast d Durst? Hast du Hunger? Brauchst du eine Pause?“ Es sind konkrete Schritte, die aus einem Burnout führen und diese können gut in einer Verhaltenstherapie erarbeitet werden. Wer möchte, kann danach tiefer gehen und sich fragen, warum er sein Wohl so unwichtig nimmt und unter das Wohl anderer stellt. Das liefert auch ganz interessante Einsichten und oft ganz neue Perspektiven, für ein reicheres Leben.”
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