
Wie du deine verschütteten Anteile befreist und warum Wut dein Wachhund ist
Manche Menschen wissen sehr genau, wer sie sind. Was sie mögen, wofür sie brennen, was ihnen wichtig ist. Manche tun sich damit oft schwer. Aber das, was du als Kind nicht zeigen durftest, hast du nicht verloren. Du hast es nur versteckt.
Der Keller deiner Persönlichkeit
Stell dir deine Persönlichkeit wie ein Haus vor. In einem gesunden Familiensystem darf ein Kind in jedem Zimmer spielen. Mal laut, mal leise. Mal stark, mal verletzlich. Mal fröhlich, mal wütend. In einem narzisstischen System ist das anders: Einige Räume werden verschlossen. Andere werden nie betreten. Und was nicht erwünscht ist, wird in den Keller gesperrt – abgeschlossen, verdrängt, vergessen. Deine Wut? Zu gefährlich. Also weg damit. Deine Traurigkeit? Zu anstrengend. Bitte lächeln. Deine Kreativität? Zu laut, zu wild, zu frei. Deine Bedürfnisse? Egoistisch. Lieber anpassen.
Und deshalb findest du alle Anteile von dir im Keller. Deiner ist reich gefüllt. Mit Teilen von dir. Mit dem, was du bist. Mit dem, was du nie leben durftest. Und irgendwann – im Erwachsenenleben – wunderst du dich, warum du dich leer fühlst. Warum du bei anderen etwas spürst, das du selbst nicht kennst. Warum du traurig bist – ohne Grund. Oder wütend – ohne Anlass. Oder einfach nur: verloren in dir selbst.
Deine verschütteten Anteile: verdrängt, aber nicht verschwunden
Die gute Nachricht: Diese Anteile sind nicht weg. Sie warten. Wie ein Kind im Dunkeln, das sich versteckt hat – und hofft, dass endlich jemand kommt, es an die Hand nimmt und sagt: „Du darfst wieder rauskommen.“
Du darfst heute diese Tür öffnen und nachsehen, was du vergraben hast. Du kannst das im Rahmen einer Therapie machen, wenn du einen Beistand brauchst, um das zu tun. Oder aber du nutzt eine Mediation, um in dich hineinzuspüren. Bereite dich darauf vor, dass diese Gefühle stark sind, denn sie sind oft in Kindheitstagen eingelagert worden. Und als Kind fühlt man viel, viel stärker, purer, klarer, kraftvoller. Oft findet man die 4 folgenden Hauptgefühle. Ich würde soweit gehen, dass ich sagen würde: wenn du diese 4 Gefühle fühlen kannst, hast du alles, was du brauchst, um gut durchs Leben zu navigieren.
Deine Wut ist dein Wachhund
Nicht destruktiv, sondern gesund. Wut hat einen schlechten Ruf. Vor allem bei Frauen. Aber Wut ist kein Feind Wut ist ein Signal. Ein inneres Leitsystem. Ein Gefühl, das sagt: „Hier stimmt etwas nicht.“ „Hier wird eine Grenze überschritten.“ „Ich werde nicht gesehen – und das ist nicht in Ordnung.“
Wut ist wie ein innerer Wachhund. Nicht um zu verletzen. Sondern um dich zu verteidigen, bevor du dich aufgibst. Sie zeigt dir, was dir wichtig ist und sie will gefühlt werden. Unterdrückte Wut verschwindet nicht. Sie bleibt – nur eben nicht dort, wo du sie spüren kannst. Sie wandert in den Körper. In Spannungen. In Rückenschmerzen. In Migräne. In Erschöpfung. In dieses dumpfe Gefühl von: Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr. Ich weiß nicht mehr, wer ich bin.
Wut ist nicht das Problem. Aber wie du mit ihr umgehst, kann zum Problem werden – oder zur Heilung. Du musst nicht toben. Nicht schreien. Nicht alles zerstören. Du darfst einfach nur spüren, dass da Wut ist und ihr zuhören, ohne sie sofort loswerden zu wollen. Frage: Was willst du mir sagen? Und dann erlaube dir, eine Grenze zu ziehen und findest den Weg zurück zu deinem Selbstwert.
Deine Traurigkeit ist deine Ehrlichkeit
Trauer ist das Gefühl, das bleibt, wenn wir etwas oder jemanden loslassen mussten, was unser Herz nicht loslassen will. Trauer zeigt uns: Da war etwas, das mir wichtig war. Da war Verbindung. Liebe. Hoffnung. Da war ich – und es war ganz. Und wenn das zerbricht, sich verändert oder geht –
dann bleibt nicht einfach nur Leere. Dann bleibt Trauer.
Trauer sagt: „Ich habe geliebt.“, „Ich habe gehofft.“, „Ich habe vertraut.“ Und genau deshalb tut es weh, wenn etwas fehlt. Ein Mensch. Eine Beziehung. Ein Bild von dir selbst, das du loslassen musstest. Eine Kindheit, die du dir gewünscht hast – und nie bekommen hast. Trauer ist ehrlich und konfrontiert uns mit dem, was war – und mit dem, was nie war. Und manchmal ist das der schwerste Schmerz: Nicht der Verlust, sondern das Nicht-Erhalten.
Trauer macht dich weich – nicht schwach. Sie lässt Schlechtes gehen und schafft Raum. Für Neuland. Und irgendwann verwandelt sie sich in Frieden. In ein weiches, ruhiges Wissen: Ich habe mich erlaubt, zu fühlen. Und das hat mich stärker gemacht, nicht zerbrochen.
Angst schützt dich auf deinem Weg
Angst ist das Zittern vor dem Ungewissen. Das leise Flüstern: „Was, wenn es wieder weh tut?“ Sie zeigt sich, wenn wir Neues wagen – oder wenn wir Altes loslassen sollen, das uns vertraut war, obwohl es weh tat. Angst will schützen. Aber manchmal hält sie uns gefangen. In Gedanken, die längst vergangen sind. In Rollen, die nicht mehr zu uns passen. In Geschichten, die wir weiterleben, obwohl wir längst rausgewachsen sind.
Angst fragt: „Bist du sicher?“ Sie kommt, wenn wir an der Schwelle stehen, zwischen dem, was wir kennen, und dem, was möglich wäre. Und wenn du ihr nicht ausweichst, sondern sie anschaust,
hörst du vielleicht: „Ich bin nicht hier, um dich zu stoppen. Ich bin hier, um dich zu fragen:
Meinst du es ernst?“
Scham ist deine Weisheit
Scham entsteht nicht im Alleinsein – sie entsteht in der Begegnung, in Momenten, in denen du dich gezeigt hast – und abgelehnt wurdest. Scham ist der Wunsch, zu verschwinden. Unsichtbar zu sein.
Nicht aufzufallen. Sie flüstert: „Zeig das lieber nicht.“ „Das ist zu viel von dir.“ Scham zieht dich zurück, damit du dich anpassen kannst. Sie dämpft dich – nicht aus Bosheit, sondern um dich abzusichern. Scham reguliert dein Verhalten im Kontakt mit anderen. Sie hilft dir, Regeln einzuhalten, Rücksicht zu nehmen, Grenzen zu erkennen. Das ist wichtig. Sie sagt im Grunde genommen: das ist nicht in Ordnung – wähle einen anderen Weg. Ein Mensch ohne Scham wäre gefährlich. Aber: Ein Mensch, der sich ständig schämt, verliert sich selbst. Wenn Scham übermächtig wird, wird sie toxisch. Dann sagt sie nicht mehr: „Das war nicht okay“, sondern: „Du bist nicht okay.“ Und das ist der Moment, in dem Scham nicht mehr schützt, sondern lähmt.
Du darfst ganz werden – mit allem
Nimm dir Zeit, diese 4 Grundgefühle zu spüren. Heilung heißt nicht, dass du ein neues Ich wirst. Heilung heißt: Du wirst wieder vollständig. Nicht nur das Starke. Nicht nur das Angepasste. Sondern auch das Wilde. Das Harte. Das Weiche. Das Freie. Und wenn du irgendwann spürst: „Ich darf wieder alle Räume meines Hauses betreten“, dann bist du nicht nur heil – du bist ganz.

Zum Weiterlesen: “Aschenkind” von Livia Brand. Viele Kinder narzisstischer Mütter wachsen äußerlich „gut“ auf. Sie sind gepflegt. Werden pünktlich zur Schule gebracht. Haben eine Brotdose mit geschnittenem Obst. Was fehlt, ist nicht das Sichtbare – es fehlt das Gesehenwerden. Betroffene wissen im Inneren, dass etwas nicht stimmt, haben aber keine Worte dafür. Ein Selbsthilfe-Ratgeber für alle, die glauben, nicht richtig zu sein. Es kann sein, dass die Ursache gar nicht in dir liegt.