Psychologie

„Was wir von Cassie Ventura lernen, wenn wir Mädchen stark machen wollen“

Lieb sein reicht nicht – Töchter brauchen innere Alarmglocken

MINVERVA-VISION:
Frau Heine, viele waren geschockt von dem Video, das zeigt, wie Sean „Diddy“ Combs seine damalige Partnerin Cassie Ventura misshandelt. Sie hatte ihn bereits verklagt – doch dieses Video hat eine neue Dimension eröffnet. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie diese Geschichte betrachten?

Carla Heine:
Ehrlich gesagt: viel mehr als nur Entsetzen. Ich sehe ein Muster. Und ich sehe eine Lektion. Cassie Ventura ist ein Beispiel dafür, wie eine junge Frau in einer Beziehung ihre Stimme verlieren kann – schleichend, subtil, unbemerkt. Und wieviel Kraft es braucht, sie sich zurückzuholen. Als Mutter von Töchtern frage ich mich: Was können wir tun, damit unsere Mädchen gar nicht erst in solche Dynamiken geraten?

MINVERVA-VISION:
Was genau meinen Sie mit „Dynamiken“?

Heine:
Ich meine diese besondere Art von Beziehung, bei der Kontrolle als Liebe getarnt wird. Bei der ein Mann seine Macht nutzt, um eine Frau zu binden – nicht mit Ketten, sondern mit emotionalen Versprechen. Es beginnt oft mit dem, was wir heute „Love-Bombing“ nennen: große Gesten, extreme Nähe, übertriebene Aufmerksamkeit. Und dann kommt der Moment, wo aus Zuneigung Besitz wird.

MINVERVA-VISION:
Das heißt: Wir müssen unseren Töchtern beibringen, das zu erkennen?

Heine:
Ja – aber noch viel früher. Es geht nicht nur darum, toxische Beziehungen zu erkennen. Es geht darum, gar nicht erst empfänglich dafür zu werden. Und das beginnt in der Kindheit.

MINVERVA-VISION:
Was genau sollten Eltern tun?

Heine:
Töchter stark machen heißt nicht, sie laut oder schlagfertig zu erziehen. Es heißt, ihnen ein Gefühl dafür zu geben, was sie wollen – und was nicht. Das beginnt mit einfachen Sätzen: „Du darfst Nein sagen.“ „Dein Gefühl zählt.“ „Du musst dich nicht bedanken, wenn dir etwas unangenehm ist.“

Ich sage oft: Lieb sein reicht nicht. Unsere Töchter dürfen lernen, innerlich laut zu sein. Eine innere Stimme zu entwickeln, die sagt: Stopp. Hier stimmt etwas nicht.

MINVERVA-VISION:
Und wenn man selbst als Mutter vielleicht kein gutes Vorbild hatte?

Heine:
Dann ist Cassy Ventura umso wertvoller. Nicht, weil sie perfekt war – sondern weil sie erkannt hat, was ihr passiert ist. Und weil sie ausgestiegen ist. Zu spät? Vielleicht. Aber: Sie ist gegangen. Und sie hat gesprochen. Das ist gelebte Selbstermächtigung.

MINVERVA-VISION:
Was können wir also ganz konkret von ihr lernen?

Heine:
Dass es nie zu spät ist, sich selbst zu glauben.
Dass der größte Mut nicht darin liegt, auszuhalten – sondern zu sagen: Jetzt reicht’s.
Und dass wir unseren Töchtern weniger beibringen sollten, geliebt zu werden – und mehr, sich selbst zu lieben. Dann erkennen sie auch, wenn jemand nur so tut.


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MINVERVA-VISION:
Was würden Sie einer 16-Jährigen sagen, die gerade mit jemandem wie „Diddy“ zusammen wäre?

Heine:
Ich würde sagen: Lass dir Zeit. Liebe braucht keinen Druck. Und du bist kein Projekt. Du bist kein Schmuckstück. Du bist ein Mensch. Und du verdienst eine Liebe, bei der du du bleiben darfst.

MINVERVA-VISION:
Danke für dieses Gespräch.

5 Sätze, die jede Tochter früh hören sollte

Für ein gesundes Selbstgefühl – und eine starke innere Stimme

  1. „Du darfst Nein sagen – und musst dich dafür nicht entschuldigen.“
  2. „Dein Gefühl zählt – auch wenn es andere nicht verstehen.“
  3. „Liebe bedeutet nicht, dass du dich verbiegen musst.“
  4. „Du musst niemandem gefallen, um wertvoll zu sein.“
  5. „Wenn du dich klein fühlst, obwohl jemand dich angeblich liebt – stimmt etwas nicht.“

Diese Sätze sind wie emotionale Impfungen: Sie schützen nicht vor allem. Aber sie stärken das Immunsystem gegen Manipulation.

Love-Bombing erkennen – ein Elternkompass

Wie du als Mutter oder Vater helfen kannst, dass dein Kind echte Liebe von Kontrolle unterscheidet.

🔸 Zu schön, um wahr zu sein?
Wenn jemand in Rekordzeit Nähe aufbaut, große Pläne macht, alles idealisiert – sei wachsam. Echte Bindung braucht Zeit.

🔸 Plötzlich ist alles zu eng?
Wenn dein Kind seine Freunde „verliert“, weniger rausgeht, emotional abhängig wirkt – frag nach. Ohne Druck, aber mit echter Neugier.

🔸 „Er meint es doch nur gut.“
Kontrolle wird oft als Fürsorge verpackt: „Ich sorge mich nur.“ – „Ich will dich beschützen.“ Achte auf Grenzen. Und ob sich das Ganze immer und immer wiederholt.

🔸 Kritik? Kaum möglich.
Wenn dein Kind das Gefühl hat, es darf seine Meinung nicht sagen, ohne dass Drama folgt – ist das ein Warnsignal.

🔸 Dein Bauchgefühl zählt.
Auch als Elternteil darfst du sagen: Hier stimmt was nicht. Nicht aus Eifersucht. Sondern aus Intuition. Sag deinem Kind: Ich vertraue dir – aber ich bleibe achtsam.


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