Psychologie

Warum Schaukeln glücklich macht 

Schaukelbewegungen können nicht nur Schmerzen mildern, sondern die Menschen in den Flow bringen. Und das in jedem Alter.

Ich bin ein Schaukler. 

Eine meiner frühesten Kindheitserinnerungen ist eine Schaukel, die vor dem Gemüsegarten meiner Großeltern stand. Direkt neben dem Rosenbogen, hinter dem sich Frühkartoffeln, Tomaten, Salat und Stachelbeeren verbargen. Ich warf die Beine hoch und schwang mich bis in den Himmel. Stundenlang, während mein Opa Unkraut jätete und meine Oma das Essen kochte. Federleicht gelangst du Richtung Himmel und wieder zurück, der Wind lässt dich fliegen, es ist ein Gefühl von Freiheit. Schaukeln schwingt dich aus allem heraus, was sich beengt, schreibt die Schriftstellerin Bettina von Arnim. Ich wette, sie hatte auch eine. Meine Vorliebe fürs Schaukeln sollte bleiben. 

Als Jugendliche habe ich mir einen Schaukelstuhl gewünscht. 

Der Vater meiner Oma war Korbmacher, sie kannte sich also gut aus. „Den kriegt das Kind von mir“, entschloss sie sich und ging mit Kennerblick einkaufen. Ich habe gesehen, wie routinierte Verkäufer vor meiner 158 cm großen, aber resoluten Oma kapitulierten und in die Knie gingen. Mental, nicht körperlich. Sie erkannte den Unterschied zwischen Qualität und Ramsch, gab ihnen eine kostenlose Qualitätsschulung und entlarvte so manch teures Produkt. Als er endlich in meinem Zimmer stand, aus goldbraunem Rattan schimmernd und mit einer dicken weichen Matte darin, wusste ich – das ist „was Gutes“. Ich hatte ihn jahrelang, sogar während meiner ersten Schwangerschaft habe ich noch in ihm geschaukelt. Danke, Oma. Nach jedem anstrengenden Schultag kochte ich mir einen Tee und schaukelte für ein halbes Stündchen. Das tat so gut. Danach war ich frisch für neue Taten. Bisher dachte ich immer nur, es sei eine private Neigung von mir. Irrtum. 

Das Geheimnis des Glücks ist ganz einfach

„Setzen Sie sich doch einfach noch mal in den Stuhl“, sagt Krankenpfleger Michi zu Frau Winter. Vorsichtig hilft er der gebrechlichen Dame in den Schaukelstuhl und sie beginnt, sich sanft zu wiegen. Ihre Gesichtszüge werden weicher, ihre Muskulatur auch. 

Wer wusste, dass Schaukelstühle auch nachweisbare gesundheitliche Vorteile haben? In zahlreichen Alten- und Pflegeheimen sind sie deshalb fester Bestandteil der Einrichtung geworden. Das sanfte Wiegen und Schaukeln ist ein zentraler Aspekt der “Basalen Stimulation”. 

Entwickelt wurde es an der Universität Landau von Professor Andreas D. Fröhlich. Er suchte eigentlich nach Methoden zur Förderung schwerstbehinderter Kinder und fand heraus, dass Schaukeln eine unglaublich große Macht hat. Mit dem Erfolg weiterte man das Verfahren auf Frühgeborene und später auch ältere Menschen mit eingeschränkter Wahrnehmungsfähigkeit aus. 

Der Schlüssel zum Verständnis:

Wer die Wirkung verstehen will, muss das Vestibularsystem verstehen. Es ist Teil des Innenohrs und steuert unser Gleichgewicht. Und zwar offensichtlich nicht nur das des Körpers, sondern auch das mentale. Schaukelbewegungen bieten eine direkte Stimulierung dieses Systems, was zu einem allgemeinen Gefühl des Wohlbefindens führt. Aber Schaukeln kann noch mehr. 

Forscher der Universität Rochester im US-Bundesstaat New York setzte eine Gruppe von Senioren regelmäßig in einen Schaukelstuhl. Sie benötigten weniger Schmerzmittel, waren fröhlicher und beweglicher. Diese Effekte sind nicht nur auf ältere Menschen beschränkt; Kinder und Erwachsene jeder Altersgruppe können von den beruhigenden Bewegungen einer Schaukel oder einer Wippe profitieren. Der therapeutische Nutzen umfasst neben der Schmerzlinderung eine verbesserte Mobilität, emotionale Stabilität und eine generelle Steigerung des Wohlbefindens. 

Aber es muss ständig trainiert werden

Das Vestibularsystem, zuständig fürs Gleichgewicht, ist bereits vor der Geburt im Mutterleib aktiv. Während wir im Fruchtwasser schwimmen, entwickeln wir bereits vor der Geburt ein Gefühl für oben, unten und seitwärts. Wir wissen also, wo wir uns im Raum befinden. Ohne dieses Wissen können wir unsere anderen Sinneswahrnehmungen nicht koordinieren, wir würden uns ansonsten hilflos in der Weite der Unendlichkeit verlieren. Deshalb ist es wichtig, dieses Organ ständig und kontinuierlich zu stimulieren. In therapeutischen Settings, wie der sensorischen Integrationstherapie von Jean Ayres, wird beispielsweise eine Wippe als Instrument zur gezielten Anregung des Vestibularsystems eingesetzt. Sie hilft bei der Entwicklung und Stärkung neuraler Verbindungen, die für die Verarbeitung sensorischer Informationen notwendig sind. Dies ist besonders wichtig für Kinder mit Entwicklungsstörungen, kann aber auch Erwachsene in der Reha unterstützen.

Oma, ich danke dir. 

Für die Schaukel in deinem Garten und den Schaukelstuhl in meiner Jugend. Vielleicht hätte ich ohne ihn mein Abi gar nicht geschafft? Wer weiß. Kommt, geht mit mir schaukeln. Holt ordentlich Schwung. Genießt das Kribbeln im Bauch und betrachtet jedes Tief nur als Etappe auf dem Weg nach oben, dorthin, wo die schönste Aussicht ist. Das Geheimnis des Glücks kann ganz, ganz einfach sein. 

Quellen: Rocking chair therapy for dementia patients: Its effect on psychosocial well-being and balance, Nancy M. Watson, Thelma J. Wells, Christopher Cox, John Hopkins University

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