Psychologie

Warum du dich nicht selbst kitzeln kannst

– und was das mit deiner Wahrnehmung zu tun hat

Mal ehrlich: Wann hast du das letzte Mal versucht, dich selbst zu kitzeln? Wahrscheinlich ist das nicht besonders erfolgreich gewesen – und das liegt nicht an mangelnder Technik. Unser Gehirn spielt uns da nämlich einen kleinen Streich. Es weiß nämlich ganz genau, wann eine Berührung von uns selbst kommt, und dämpft die Empfindung ab. Aber warum ist das so? Und was hat das mit Menschen zu tun, die das Gefühl haben, fremdgesteuert zu sein?

Ein interdisziplinäres Forschungsteam der Universitäten Marburg und Gießen hat sich dieser Frage mit einem mathematischen Modell genähert – und damit einen wichtigen Baustein für das Verständnis von Wahrnehmung und psychischen Erkrankungen geliefert.


Warum du deine eigenen Schritte nicht hörst – aber die deines Nachbarn sehr wohl

Unser Gehirn ist ständig damit beschäftigt, herauszufinden, ob eine Wahrnehmung von uns selbst kommt oder aus der Umwelt stammt. Stell dir vor, du gehst durch eine dunkle Straße. Deine eigenen Schritte? Die blendet dein Gehirn aus, damit du dich nicht ständig erschreckst. Aber sobald jemand anderes hinter dir läuft – Zack! – sind deine Sinne plötzlich hellwach.

Das nennt sich sensorische Abschwächung (SA). Bedeutet: Unser Gehirn dämpft Reize, die es als vorhersehbar einstuft. Wenn du also deine eigene Hand bewegst oder dir selbst über den Arm streichst, registriert dein Gehirn das zwar – aber eben weniger intensiv als eine Berührung von außen. Deshalb kannst du dich nicht selbst kitzeln, während dein kleiner Bruder das mit einer einzigen Fingerberührung hinbekommt.


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Wenn das Gehirn auf Autopilot geht

Das Forschungsteam um Dr. Anna-Lena Eckert hat ein mathematisches Modell entwickelt, das genau erklärt, wie unser Gehirn diesen Unterschied erkennt. Es nutzt dabei ein Konzept aus der Wahrscheinlichkeitsrechnung, die Bayesianische Kausale Inferenz, um ständig abzuwägen: „Ist dieser Reiz von mir oder von außen?“

Falls die Antwort „von mir“ lautet, wird die Wahrnehmung gedrosselt. Falls nicht, schärft das Gehirn die Sinne – denn wer weiß, ob da hinter dir in der dunklen Straße jemand etwas im Schilde führt?


Versuch macht klug – und kitzelig

Aber Moment, wie beweist man sowas? Ganz einfach: Mit Experimenten!

In einem Test sollten Probanden mit dem Finger über eine geriffelte Fläche streichen. Dabei wurde kurz vorher eine kleine Vibration auf den Finger gegeben. Das Ergebnis? Die Vibration wurde schwächer wahrgenommen, weil das Gehirn schon mit der eigenen Bewegung gerechnet hatte.

Im zweiten Experiment sahen die Teilnehmenden ihre eigenen Handbewegungen auf einem Bildschirm. Manchmal bewegten sie die Hand selbst, manchmal wurde sie passiv von einem Hebel bewegt – und manchmal wurde eine kleine Verzögerung eingebaut. Überraschung: Die Verzögerung fiel den Probanden stärker auf, wenn die Bewegung nicht selbst gemacht wurde. Wieder ein Zeichen dafür, dass unser Gehirn bei eigenen Handlungen weniger kritisch hinschaut.


Was das mit psychischen Erkrankungen zu tun hat

Das klingt erst mal nach einer cleveren Funktion unseres Gehirns, oder? Doch genau hier liegt ein Problem: Wenn diese sensorische Abschwächung nicht richtig funktioniert, kann es zu schwerwiegenden Wahrnehmungsstörungen kommen.

Bei Menschen mit Schizophrenie etwa berichten viele Betroffene, dass sie sich fremdgesteuert fühlen oder ihre eigenen Handlungen nicht als selbst verursacht wahrnehmen. Das Modell der Forscher könnte dabei helfen, solche Wahrnehmungsstörungen besser zu verstehen – und langfristig sogar neue Therapieansätze zu entwickeln.


Ein Blick in die Zukunft

Dieses Forschungsprojekt zeigt eindrucksvoll, wie eng Wahrnehmung, Mathematik und Psychologie zusammenhängen. Und es wirft neue Fragen auf: Wie könnte man diese Erkenntnisse nutzen, um Menschen mit Wahrnehmungsstörungen zu helfen? Könnten diese Prinzipien sogar in der Robotik eingesetzt werden, um Maschinen ein besseres Körpergefühl zu geben?

Eines ist sicher: Das Gehirn ist ein echter Schlauberger. Es filtert, dämpft, verstärkt – und sorgt ganz nebenbei dafür, dass wir nicht beim Klang unserer eigenen Schritte durchdrehen. Also, nächstes Mal, wenn du gekitzelt werden willst, denk dran: Lass es jemand anderen machen. Dein Gehirn macht dir sonst einen Strich durch die Rechnung.

Hier schreibt Jonas Weber. Mit einer Mischung aus fundierter Forschung und einem Augenzwinkern vermittelt er komplexe Themen verständlich und unterhaltsam.Wenn er nicht gerade über die neuesten Erkenntnisse aus der Gehirnforschung schreibt, findet man ihn bei einem guten Espresso, auf der Suche nach dem perfekten Wortspiel oder beim Diskutieren über die großen Fragen des Lebens – zum Beispiel, warum man sich an peinliche Momente von vor zehn Jahren noch glasklar erinnert, aber nicht daran, wo man den Autoschlüssel hingelegt hat.

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