
Von der Angst zur Stärke
So durchbrichst du den Teufelskreis.
Von Julia Klimt
Du kennst das Gefühl: Du willst etwas sagen, aber hältst den Mund, weil du Angst hast vor der Reaktion. Du möchtest Nein sagen zu Überstunden, aber machst sie trotzdem. Du verleugnest dich selbst aus Furcht vor Ablehnung – und fühlst dich danach noch schlechter. Ein Teufelskreis, der dich immer tiefer in die Selbstverachtung zieht. Zeit, dass wir ihn durchbrechen.
Der Teufelskreis, der dich gefangen hält
Es ist ein perfider Mechanismus: Aus Angst vor Ablehnung verleugnest du dich und deine Bedürfnisse. Du sagst Ja, obwohl du Nein meinst. Du schweigst, obwohl du etwas zu sagen hättest. Du passt dich an, obwohl es gegen deine Überzeugung geht.
Was zur Folge hat? Du kannst dich noch weniger leiden und verachtest dich selbst noch mehr. Du denkst: “Schon wieder habe ich nicht für mich eingestanden. Schon wieder war ich zu feige. Ich bin wirklich schwach.” Und so nährst du die Angst vor Ablehnung mit jedem Mal, wo du dich selbst verleugnest.
Warum du zum eigenen Feind wirst
Die Annahme hinter all dem ist immer die gleiche: “Die anderen werden furchtbare Dinge über mich denken, wenn ich mich so oder so verhalte, und das könnte ich nicht ertragen.” Du erlebst eine mögliche Ablehnung emotional wie ein unumkehrbares Urteil – so, als würde dein bisheriges Leben dadurch beendet werden.
Aber hier ist die schmerzhafte Wahrheit: Du bist bereits dein eigener schärfster Richter geworden. Du verurteilst dich härter, als es andere je tun würden. Du hast das Urteil deiner Eltern über deine Person übernommen und wirfst dir selbst die verletzenden, missbilligenden und abwertenden Worte an den Kopf.
Das Kind in dir, das nie erwachsen wurde
Dieses Gefühl, eine Ablehnung nicht überleben zu können, stammt aus deiner Kindheit. Dort war die Ablehnung durch deine Eltern tatsächlich etwas Bedrohliches. Du warst damals nicht in der Lage, ohne deine Eltern zu leben, warst auf sie angewiesen. Jeden strafenden Blick und jede Zurechtweisung empfandest du als Gefahr – als eine tödliche Gefahr.
Als Erwachsene kannst du zwar für dich selbst sorgen und bist von anderen nicht mehr in diesem Ausmaß abhängig, aber du empfindest noch immer so wie das drei- oder fünfjährige Kind, das seinen Eltern auf Gedeih und Verderben ausgeliefert war. Du trägst quasi immer noch das kleine Mädchen in dir herum, das noch so denkt und fühlt wie früher.
Wie du den Teufelskreis immer weiter antreibst
Das Problem verstärkt sich durch deine Gedanken: Hast du Angst vor einer Ablehnung anderer, dann kreist dein Denken ständig wie ein Karussell um diese Fragen: Was werden die anderen von mir denken? Wie komme ich an? Was mache ich falsch? Stehe ich irgendwann allein da?
Diese Fragen gewinnen schnell an Raum und beschäftigen dich bald pausenlos – immer wenn du mit anderen zusammen bist und auch zu Hause, wenn du dich gedanklich mit der Meinung anderer über dich auseinandersetzt. So wirst du schüchtern, unsicher und gehemmt.
Der erste Schritt aus dem Teufelskreis
Wenn du diesen Teufelskreis durchbrechen willst, musst du bei der Wurzel ansetzen: bei deiner Selbstachtung und deinem Selbstwertgefühl. Du musst aufhören, dein schlimmster Gegner zu sein, und lernen, dich zu akzeptieren.
Solange du selbst schlecht von dir denkst und dich für jede Schwäche kritisierst, so lange hast du Angst vor Ablehnung und davor, dass andere nichts für dich übrig haben. So wie du von dir selbst denkst, so glaubst du, dass auch andere von dir denken.
Das Problem und die Lösung sind identisch
Merkst du etwas? Das Problem bist du selbst. Aber – und das ist die hoffnungsvolle Nachricht – die Lösung bist auch du selbst. Du hast die Macht, diesen Kreislauf zu durchbrechen.
Du musst deine Meinung ändern, die du von dir hast. Und zwar sofort und immer wieder aufs Neue. Das musst du trainieren, weil dein altes Verhaltensmuster in der Regel tief in dir verankert ist und dir eine vermeintliche Sicherheit vorspielt.
Warum es dir zunächst schwerfällt
Vielleicht hast du dir für dein negatives Selbstbild auch eine ganze Reihe an Erklärungen und Ausreden zurechtgelegt, vielleicht begleitet mit Vorwürfen an die anderen, die dich zum Opfer machen. Das macht dich zwar keineswegs glücklicher, aber es nimmt dir die Verantwortung, für dich selbst einstehen zu müssen.
Mit der Opferrolle kennst du dich aus. Sie ist bequem, auch wenn sie schmerzhaft ist. Selbstverantwortung zu übernehmen ist anstrengender – aber sie ist der einzige Weg in die Freiheit.
Dein Weg zur inneren Befreiung
Nur wenn du selbst davon überzeugt bist, dass deine Fehler und Mängel nichts an deinem Wert als Mensch ändern, und erst wenn du dich für liebenswert hältst, berührt es dich nicht mehr so sehr, was andere über dich denken. Denn dann bist du nicht mehr von ihnen abhängig und musst nicht alles glauben und annehmen, was sie über dich sagen oder denken könnten.
Dann weißt du es nämlich besser: Du bist liebenswert. Du hast das Recht, deine Meinung zu sagen, Nein zu sagen, für dich einzustehen.
Du setzt die Regeln deines Lebens
Du hast keinen Ruf zu verlieren, den du nicht selbst aufgebaut hast, und niemand kann dir etwas wegnehmen, das du nicht selbst erschaffen hast. Du bist der Mensch, der die Maßstäbe für sich setzt und darüber entscheidet, wer und was du bist.
Aus der Angst vor Ablehnung wird Stärke, wenn du erkennst: Die einzige Meinung, die wirklich zählt, ist deine eigene. Und die kannst du verändern – heute, jetzt, in diesem Moment.
Der Teufelskreis ist durchbrochen, wenn du anfängst, dich selbst zu respektieren. Dann werden es andere auch tun.
Der Kommentar von Jonas, unserem Experten für Neurobiologie: Wir Menschen sind schon ein merkwürdiger Haufen.
Wir retten Wale, spenden für Koalas, teilen Achtsamkeitstipps auf Instagram – aber wenn’s darum geht, uns selbst mit Respekt zu behandeln, sind wir oft gnadenlos. Da sitzt also ein erwachsener Mensch – mit Führerschein, Steuer-ID und eigener Kaffeemaschine – am Schreibtisch und denkt: „Ich darf das jetzt nicht sagen, sonst mögen die mich nicht mehr.“ Oder schlimmer: „Ich bin wieder zu feige gewesen. Ich kann mich selbst nicht mehr leiden.“ Herzlichen Glückwunsch, willkommen im Club der Selbstverurteilten.
Der härteste Richter sitzt im eigenen Kopf. Psychologen nennen das ein „internalisiertes Kritiker-Syndrom“, ich nenne es: Der mieseste Mitbewohner, den man sich vorstellen kann. Er räumt nicht auf, nörgelt die ganze Zeit rum und hat zu allem eine schlechte Meinung – über dich! Und du lässt ihn auch noch mietfrei wohnen. Die Angst vor Ablehnung hat oft nichts mit der Realität zu tun, sondern mit alten Überzeugungen. Meist sind die schon ein bisschen schimmlig, stammen aus der Kindheit und riechen nach “Wenn du brav bist, hab ich dich lieb.” Aber jetzt kommt die gute Nachricht: Du bist kein Kind mehr. Du kannst heute selbst entscheiden, wie viel du dir zutraust – und wie du über dich sprichst. Stell dir dein Gedankenkarussell vor. Es dreht sich schnell, alles flimmert, du bekommst schlecht Luft. Und jetzt stell dir vor, du gehst zu dem kleinen Hebel neben dem Einlasshäuschen, auf dem in großen Buchstaben steht: STOPP. Du darfst da draufdrücken! Kein TÜV, keine Prüfung – nur ein inneres “Genug jetzt”.
Denn weißt du, was die wichtigste Meinung über dich ist? Nicht die deiner Kollegin. Nicht die deines Nachbarn. Auch nicht die deiner Mutter. Es ist deine eigene. Wenn du dich nicht leiden kannst, wird es mit der Außenwirkung schwierig. Und wer sich ständig selbst kleinmacht, muss sich nicht wundern, wenn andere nicht klatschen.
Was viele nicht wissen: Unser Nervensystem reagiert nicht nur auf äußere Gefahren – sondern auch auf Gedanken. Wenn du dir ständig einredest, dass du nicht genügst, bleibt dein Körper im Alarmzustand. Dauerstress, Schlafprobleme, Verspannungen – all inclusive. Der erste Schritt raus aus diesem Teufelskreis ist nicht „mehr Leistung“ – es ist Mitgefühl mit dir selbst. Klingt kitschig? Ist aber Biologie. Du hast jahrelang gedacht: Ich bin nicht genug. Kein Wunder, dass sich das vertraut anfühlt. Aber du kannst dein Hirn neu verdrahten. Neuroplastizität heißt das – das ist keine spirituelle Spinnerei, sondern ein Fakt. Dein Gehirn kann neue Wege gehen. Aber es braucht Training und du musst mit ihm sprechen.
Der schönste Satz, den ich je gelernt habe:
„Man muss sich nicht alles von sich selbst gefallen lassen.“ – Das hat Viktor Frankl gesagt, ein Überlebender der Konzentrationslager. Wenn jemand weiß, was innere Freiheit bedeutet, dann er. Also: Lass dir nicht länger gefallen, dass du dich selbst schlecht behandelst. Werde ein guter Mitbewohner für dich. Schmeiß den miesepetrigen Richter aus deinem Kopf. Und setz dir selbst die Krone auf, weil es gut tut.