
Selbstwert stärken: 5 Übungen für mehr Selbstvertrauen
Warum es nicht egoistisch ist, sich selbst wichtig zu nehmen – und wie du dich Schritt für Schritt wieder bei dir selbst einnistest.
Ich erinnere mich noch gut an das Gespräch mit meiner Freundin Ela. Wir saßen auf meinem Balkon, Spätsommer, Lavendelduft, lauwarmer Tee in der Hand. Und plötzlich sagte sie diesen Satz, der mir seither nicht mehr aus dem Kopf geht:
„Ich glaube, ich weiß gar nicht mehr, wer ich bin, außer seiner Freundin.“
Ela war zwei Jahre mit jemandem zusammen, der nach außen charmant und aufmerksam war. Aber unter der Oberfläche schob er ständig Grenzen. Machte sie klein, wenn sie groß sein wollte. Und lobte sie nur, wenn sie sich verbog. Irgendwann glaubte sie ihm mehr als sich selbst.
Und genau das ist der Punkt: Unser Selbstwert kann erschüttert werden. Nicht nur in toxischen Beziehungen, sondern auch durch Kindheitserfahrungen, gesellschaftliche Erwartungen oder eigene Selbstzweifel. Aber: Unser Selbstwert kann auch wachsen. Tag für Tag. Mit Übung. Mit Mitgefühl. Und mit der Entscheidung, sich selbst wieder zur Priorität zu machen.
Hier kommen 5 Übungen, die Ela geholfen haben – und vielleicht auch dir.
1. Die Ich-bin-Mehr-als-du-glaubst-Liste
Weil du mehr bist als deine Schwächen.
Nimm dir zehn Minuten, einen Stift und ein Blatt Papier. Schreib alles auf, was du gut kannst, ohne Wenn und Aber. Kein „aber das machen ja viele“ oder „das ist nichts Besonderes“. Du kannst gut zuhören? Das ist besonders. Du bringst Menschen zum Lachen? Riesentalent. Mach diese Liste sichtbar, an deinem Spiegel, deinem Laptop, deinem Kühlschrank. Sie ist dein täglicher Reminder: Du bist viel mehr, als dein innerer Kritiker behauptet.
Ela schrieb damals: „Ich kann Räume schön machen.“ Heute verdient sie Geld als Interior-Beraterin.
2. Mini-Mut-Momente sammeln
Selbstvertrauen entsteht nicht im Kopf, sondern im Handeln.
Mach jeden Tag eine Sache, bei der du dich kurz unsicher fühlst, aber es trotzdem tust. Die Präsentation im Meeting halten. Der Nachbarin „nein“ sagen, obwohl sie dich wieder um einen Gefallen bittet. Den witzigen Kommentar auf Instagram posten, obwohl dein Ex mitliest.
Diese kleinen Mut-Momente summieren sich. Du merkst: Ich kann Dinge tun, obwohl ich mich unsicher fühle. Und das ist Selbstvertrauen.
3. Grenzen setzen heißt: Ich bin wichtig
Nicht, um andere wegzustoßen – sondern um dich selbst festzuhalten.
Wenn du immer „ja“ sagst, obwohl du „nein“ fühlst, sendest du dir selbst eine gefährliche Botschaft: Meine Bedürfnisse zählen nicht. Mach stattdessen einen Wochenrückblick: Wo hast du über deine Grenzen hinweg gehandelt? Was hat es mit dir gemacht? Und wie hättest du dich schützen können?
Ela schrieb mir vor kurzem: „Ich habe meiner Mutter abgesagt, weil ich erschöpft war und das erste Mal kein schlechtes Gewissen gehabt.“ Kleine Revolutionen fangen im Alltag an.
4. Spiegelarbeit – Ja, das klingt esoterisch. Aber wirkt.
Weil es Zeit ist, dich selbst wieder anzuschauen.
Stell dich morgens vor den Spiegel, sieh dir in die Augen und sag:
„Ich bin genug. So wie ich bin.“
Laut. Nicht im Kopf. Nicht flüsternd.
Anfangs wirst du dich komisch fühlen. Vielleicht sogar lächerlich. Aber mit der Zeit fängt dein Gehirn an, es zu glauben. Und was du glaubst, das strahlst du aus.
5. Die Selbstmitgefühl-Pause
Weil du keine Maschine bist – sondern ein Mensch mit Herz.
Immer wenn du dich klein fühlst, falsch, überfordert: halte inne. Leg eine Hand auf dein Herz. Atme. Und sag dir selbst:
„Es ist okay, dass ich mich gerade so fühle. Ich bin nicht allein. Ich darf freundlich mit mir sein.“
Klingt banal? Ist radikal. Denn statt dich weiter zu verurteilen, beginnst du, dich selbst zu halten.
Selbstwert ist kein Zustand. Kein Endziel.
Es ist eine Beziehung zu dir selbst. Und wie jede Beziehung braucht sie Pflege, Geduld und Ehrlichkeit. Es wird Tage geben, da fühlst du dich stark und leuchtend. Und andere, an denen du wieder zweifelst. Beides gehört dazu.
Ela sagt heute manchmal: „Ich hab mich damals verloren, aber ich hab mich auch wiedergefunden. Und dieses Selbst ist heute mutiger, klarer, liebevoller als je zuvor.“ Und ich glaube, das ist die eigentliche Stärke: Nicht nie zu zweifeln, sondern sich immer wieder selbst die Hand zu reichen. Du darfst das auch. Fang heute damit an.
von Melike Arslan
Der Kommentar von Nina, unserem Mental-Health-Coach: Es geht um die eigene Würde
Was du hier beschreibst, ist kein einfacher Ratgebertext. Es ist ein stiller, aber kraftvoller Appell an die Selbstbeziehung, an die Würde des Einzelnen. Und es ist ein wunderbares Beispiel dafür, dass persönliches Wachstum dort beginnt, wo wir den Mut aufbringen, uns selbst wieder ernst zu nehmen.
In meiner Arbeit mit Familien, Paaren und Einzelpersonen habe ich immer wieder erlebt: Viele Menschen verlieren sich nicht durch Zufall, sondern weil sie in Beziehung zu anderen ihre eigenen Bedürfnisse systematisch unterdrücken, oft aus Liebe, oft aus Angst, oft aus Gewohnheit. Doch echte Beziehung braucht Gleichwürdigkeit. Sie beginnt mit der Anerkennung: „Ich bin genauso wichtig wie du.“
Der Satz deiner Freundin Ela ist schmerzhaft und ehrlich: „Ich glaube, ich weiß gar nicht mehr, wer ich bin.“ Es ist ein Satz, der in vielen Therapiestunden fällt, von Müttern, Partnerinnen, Führungskräften, Jugendlichen. Und gleichzeitig ist es ein Satz, der Veränderung möglich macht. Denn er zeigt: Da ist noch ein inneres Wissen, ein leiser Widerstand gegen das eigene Vergessenwerden.
Deine Übungen sind nicht oberflächliche Tricks, sie sind Dialogangebote. Kleine Rituale, die helfen, sich selbst wieder zuzuhören. Und das ist entscheidend: Wer mit sich selbst in Beziehung tritt, kann lernen, sich zu vertrauen. Wer sich selbst wichtig nimmt, beginnt, für sich Verantwortung zu übernehmen, nicht im Sinne von Kontrolle, sondern im Sinne von Fürsorge.
Ich möchte vor allem eines betonen: Sich selbst wichtig zu nehmen ist kein Egoismus. Es ist ein Ausdruck von emotionaler Verantwortung. Denn wer seine Grenzen achtet, schützt auch andere davor, überfordert zu werden. Wer sich selbst mit Mitgefühl begegnet, ist fähig, auch andere mit Mitgefühl zu sehen. Und wer sich selbst die Hand reicht, zeigt seinen Kindern, Freunden, Partnern, dass echte Nähe nur dort entstehen kann, wo wir uns selbst nicht verlieren.
Die Beziehung zu sich selbst ist vielleicht die längste und wichtigste, die wir führen. Und sie darf – sie muss – mit Achtung, Klarheit und Liebe gestaltet werden. .
Der Kommentar von Jonas, unserem Experten für Neurobiologie: Menschen, die immer für andere da sind, vergessen oft, dass sie selbst auch jemand sind.
Das Schöne: Du zeigst, dass es einen Weg zurück gibt. Schritt für Schritt. Und zwar nicht durch ein neues Coaching-Abo, sondern durch ehrliche Begegnung mit sich selbst. Ich sag’s mal medizinisch: Wer sich selbst ignoriert, riskiert eine chronische Unterversorgung mit Selbstachtung. Und die führt irgendwann zu emotionalem Burn-out, nicht selten auch zu körperlichen Beschwerden, weil Körper und Seele eben zusammenarbeiten.
Was ich besonders mag: Deine Übungen klingen nicht nach Hausaufgaben aus dem Wellness-Katalog, sondern nach kleinen Lebensrettungsringen. Die „Ich-bin-mehr-als-du-glaubst“-Liste? Großartig! Denn genau das vergessen wir im Alltag oft: dass wir schon längst genug sind, auch ohne Filter, Likes oder dauernde Leistungsbeweise.
Und Spiegelarbeit? Ja, das klingt erstmal nach Esoterik. Aber ganz ehrlich: Wenn wir jeden Tag unsere Zähne im Spiegel anschauen können, dann dürfen wir auch mal versuchen, unsere Würde zu sehen. Und vielleicht sogar zu mögen, was wir da sehen. Denn der wichtigste Mensch in deinem Leben, das bist du selbst. Klingt kitschig? Mag sein. Ist aber neurologisch bewiesen.
Und der Satz mit der Hand auf dem Herzen? Den sollten wir uns öfter sagen. Nicht weil wir schwach sind, sondern weil wir Menschen sind. Mit Herz. Mit Zweifeln. Und mit der Fähigkeit, uns immer wieder selbst zu finden. Nicht perfekt. Aber echt.
Also danke für diesen Text. Er ist wie warmer Tee an einem kalten Tag. Oder wie ein Witz, über den man lacht und dabei fast ein bisschen weint. Beides heilt.