MS-Hugs
Mein Leben mit MS:
Hallo und herzlich willkommen bei MS-Voices! Ich bin Irene, und hier dreht sich alles um das Leben mit Multipler Sklerose (MS). Als ich vor einigen Jahren die Diagnose erhielt, hat sich mein Alltag auf den Kopf gestellt – und ich war plötzlich mit unzähligen Fragen, Ängsten und Herausforderungen konfrontiert. In diesem Blog möchte ich meine persönlichen Erfahrungen mit euch teilen und Menschen eine Stimme geben, die unter MS leiden. Wie ist das wirklich, mit MS zu leben? Wie verändert es den Alltag, die Beziehungen und die Zukunftsplanung? Hier gibt es ehrliche Einblicke, praktische Tipps und die ein oder andere Anekdote aus meinem Leben – direkt aus dem Herzen einer Betroffenen.
Was sind sie und wie betreffen sie MS-Erkrankte?
Ja, richtig gelesen. Die Dinger heißen tatsächlich so. Oder auch „Banding-Symptom“ genannt. Aber egal wie sie nun genannt werden, sie quälen mich. Sie quälen mich sogar sehr. Mittlerweile drei- bis viermal pro Woche.
Generell habe ich recht viel mit Spastiken zu tun. Spastiken in den Fingern meiner rechten Hand, die immer dann auftauchen, wenn ich sie nicht brauchen kann. Wenn ich eine Schere in den Händen halte, egal ob eine große Papierschere oder eine kleine Nagelschere. Die Finger krampfen einfach fest und es ist dann gar nicht so einfach, die jeweilige Schere wieder loszuwerden. Richtig schwer wird es bei einer Nagelschere und man kann sich sicher vorstellen, dass es immer schwerer für mich wird, die Nagelpflege an mir selbst vorzunehmen. Aber ich bleibe dran. NOCH lasse ich mir das nicht wegnehmen!
Die Herausforderungen von Spastiken bei Multipler Sklerose
Beim Wäscheaufhängen; das Zusammendrücken der Klammern. Dann beim Schreiben mit einem Stift. Ich beschwere mich ja schon gar nicht mehr über meine Handschrift. Wir Niederrheiner sind ja überzeugt, dass sich so manches „wegguckt“ oder gewisse Dinge „verspielen“. Aber es ist nicht schön, dass Briefe zu schreiben mittlerweile eine genauso große Herausforderung wird, wie die Tatsache, dass ich ja auch einen Stift in meinem kleinen Job beim Minerva Verlag führen muss. Wenn mir ein Kleinanzeigenkunde einen Text für seine Anzeige diktieren will, schwitze ich jedes Mal Blut und Wasser, weil ich Angst habe, dass meine Hand während des Schreibens wieder verkrampft. Meistens habe ich aber Glück und es sind nur ein paar Zeilen. Das schaffe ich. Nur – jemand anderes könnte meine Kritzelei nicht entziffern. Da reihe ich mich in die Riege der Handschriften meines Chefs (sorry Chef 😉) oder die von Ärzten ein.
Dann die Spastiken in meinen Füßen, die meistens morgens, beim Aufstehen, oder abends, wenn mein Körper in die Ruhephase kommt, auftreten. Ich kann meinem rechten Fuß dann dabei zusehen, wie er die Stellung eines Fußes eines Bobrennfahrers einnimmt. Er neigt sich nach links und mit der Spitze taucht er dann regelrecht nach unten ab. Das dauert meist nur rund 30 Sekunden. Aber da ich nichts unternehmen kann, diese Spastik durch Massage oder Auftreten oder ähnlichem zu unterbrechen, können diese 30 Sekunden verdammt lang sein. Und dann die Zehen. Meistens im rechten Fuß; vermehrt aber auch links. Sie begeben sich in eine unnatürliche Haltung und verharren dort. Und verursachen Schmerzen. Auch hier kann ich wieder nichts tun, außer abzuwarten.
Die Qualen der MS-Hugs und ihre Symptome
Aber all die genannten Spastiken sind NICHTS im Vergleich zu meinen MS-Hugs, die meistens tagsüber auftreten. Es gibt keinen, für mich erkennbaren, Auslöser. Sie treten auf, wenn ich im Bus sitze, oder gerade im Supermarkt an der Kasse stehe, beim Latte Macchiato in meinem Lieblings-Straßencafé, bei der Arbeit, hier zuhause beim Spülen oder beim Ausmalen oder Puzzeln. Also in den verschiedensten Momenten; zu den verschiedensten Zeiten. Aber auch, wenn ich den Auslöser nicht kenne. Eins weiß ich: Die Dinger tun scheiße weh!
Wie sich so ein MS-Hug anfühlt? Es ist ein Gefühl, als würde man mir, wie bei einer mittelalterlichen Foltermethode, einen Eisenring um die Brust legen, der dann immer enger gezogen wird. Es ist ein Gefühl, als würde man mir meinen Brustkorb zerquetschen wollen! Und das leider nicht nur für ein paar Sekunden oder Minuten. Bei mir dauern die Dinger meist mindestens eine halbe Stunde oder auch bis zu zwei Stunden! In der Zeit habe ich das Gefühl, kaum atmen zu können. So stark ist die Last auf meinem Brustkorb. Die meisten, auch mein behandelnder Neurologe, tippen bei solchen Symptomen meistens auf ein Problem mit dem Herzen. Auf die MS-Hugs kommen die meisten gar nicht. Erstaunlicherweise. Aber mit meinem Herzen hatte ich noch nie ein Problem; außer mit einem gebrochenen Herzen bei Liebeskummer. Und das EKG sagt auch, dass es kein Problem mit meinem Herzen gibt.
Ursachen und Erklärungen für MS-Hugs bei MS-Patienten
Ich habe mir mal erklären lassen, dass die Ursachen für diese MS-Umarmungen Muskelkrämpfe sind. Und zwar in den Muskeln zwischen den Rippen. Das sind die Muskeln, die helfen sollen, die Rippen an ihrem Platz zu halten, um Atmung und Bewegung zu erleichtern. Der Schmerz, der durch diese Krämpfe ausgelöst wird, wickelt sich wie eine Umarmung oder ein Gürtel (da liege ich mit meinem Eisenring ja gar nicht so falsch) um den Körper. Daher kommt der Spitzname MS-Umarmung, MS-Hugs oder auch Banding. Eine andere Ursache sind die Nervenschäden in Rückenmark und Gehirn. Durch die Schäden an der schützenden Myelinscheide um die Nervenfasern, ist die Kommunikation zwischen Muskeln und Gehirn gestört. Und das Gehirn antwortet dann mit einer gestörten Empfindung wie Kribbeln, Brennen, Jucken oder eben dem Gefühl der Einschränkung. Diesen Vorgang nennt man Dysästhesie („abnormale Empfindung“).
Umgang mit MS-Hugs: Strategien und Tipps
Man bekommt gesagt, dass diese MS-Hugs von selbst wieder verschwinden. Das ist auch so. Aber in der Situation selbst gibt es auch Möglichkeiten. Allerdings sind die davon abhängig, wo ich gerade bin. In der Warteschlange an der Kasse eines Supermarktes eine Meditation durchzuführen, oder, um das Gehirn auszutricksen, den BH lockerer zu machen – das ist eher suboptimal und nicht durchführbar.
Da dieses Symptom ja nun mal in gewissen Situationen auftritt, das können Aktivitäten der verschiedensten Art sein, aber auch andere Aspekte des Alltags, wie zum Beispiel Stress (der muss bekanntermaßen ja immer für alles herhalten), Wetterumschwung, Krankheit (z.B. Erkältung) oder eine üppige Mahlzeit, hat man mir geraten ein Tagebuch zu führen. Aber selbst damit bin ich zu keiner Erkenntnis gekommen.
Bewegung, Strecken und Positionswechsel hilft mir manchmal; nur darf diese Umarmung dann noch nicht ihren Höhepunkt erreicht haben. Manche berichten, dass ihnen eine Wärmeflasche in diesem Moment gut tut und den Schmerz lindert oder eine Kältekompresse. Nur habe ich leider beides nicht dabei, wenn ich an der Kasse stehe oder im Bus sitze.
Mein Gehirn austricksen, indem ich einen engen Sport-BH trage, statt einem normalen, damit ich es so ablenken kann, dass es Druck statt Schmerz spürt; das habe ich noch nicht ausprobiert. Und ich habe selten einen Sport-BH zum Wechseln in meiner Tasche. Könnte vielleicht funktionieren, wenn ich zuhause bin und die Möglichkeit habe, zu tauschen. Probiere ich beim nächsten Mal aus.
Entspannungstechniken und medikamentöse Behandlung von MS-Hugs
Entspannungstechniken. Ja super. Meditation und Selbsthypnose im vollbesetzten Bus? Vergiss es! Eine Achtsamkeitsübung, kontrollierte Atemtechnik oder meine Gedanken anders lenken (Kognitive Verhaltenstherapie). Das funktioniert tatsächlich, wenn ich Ruhe um mich herum habe. Und auch nur, wenn ich merke, dass sich der Schmerz noch aufbaut. Bin ich aber mittendrin, dann fühle ich mich handlungsunfähig vor Schmerz.
Natürlich kann man die Dinger auch medikamentös behandeln mit Medikamenten, die häufig zur Behandlung von Spastizität oder Krämpfen eingesetzt werden. Aber ich nehme doch schon so viel Medikamente. Sollen es noch mehr oder noch höher dosiert werden? Das kann es doch nicht sein!
Ich hasse diese Dinger abgrundtief!
Fragen an die MS-Community: Wie geht ihr mit MS-Hugs um?
Was bereitet euch Schmerzen, innerhalb eurer Diagnose und was hilft euch dann?
Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, diesen Beitrag zu lesen! Ich hoffe, dass meine Erfahrungen dir ein Stück Klarheit oder Ermutigung schenken konnten. Als ich die Diagnose MS bekam, fühlte ich mich oft allein und überfordert. Genau deshalb habe ich ein Buch geschrieben, das ich selbst damals so dringend gebraucht hätte. „Spring, damit du fliegen kannst.: Ein Selbsthilfe-Ratgeber für MS-Erkrankte und ihre Angehörigen.“ Es ist bei Minerva-Vision erschienen. Wenn du Interesse hast, schau es dir gerne an – vielleicht ist es genau das, was auch dir weiterhelfen kann. Oder hör dir meinen Podcast „MS-Voices“ an. Bis zum nächsten Mal!
Du hast auch MS und möchtest mit mir in meinem Podcast darüber sprechen? Dann schreib mir eine Mail an: redaktion@minerva-vision.de.