Psychologie

Lieber gemeinsam als einsam

Viele junge Menschen fühlen sich verloren. Und Frauen fühlen sich anders einsam, als Männer. Woran es liegt, was hilft.

Max war eigentlich immer gesellig.

Mit Mitte zwanzig hatte er einen breiten Freundeskreis. Man traf sich. Zum Fußballspielen und zum Fußballgucken in der Kneipe, ging ins Kino, gemeinsam shoppen oder auf Konzerte. Doch dann kam die Coronapandemie. „Alles war auf einmal weg“, sagt er. Die anfängliche Erleichterung, die Hektik des Alltags hinter sich zu lassen, wich bald einem Gefühl tiefer Einsamkeit. Freunde, die er sonst regelmäßig traf, sah er nun nur noch über den Bildschirm. Auch als die Beschränkungen nach und nach aufgehoben wurden, stellte Max fest, dass sich die Dynamik seiner Freundschaften verändert hatte. Die regelmäßigen Treffen wurden seltener, viele Kontakte hatten sich verflüchtigt. Heute, drei Jahre nach Beginn der Pandemie, fühlt sich Max trotz aufgehobener Kontaktbeschränkungen oft verloren – ein Zustand, der sich nicht von selbst wieder rückgängig gemacht hat. Max’ Geschichte ist kein Einzelfall. Laut neuen Analysen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) empfindet heute jeder Dritte zwischen 18 und 53 Jahren Einsamkeit – eine Zahl, die in den letzten Jahren dramatisch gestiegen ist und besonders jüngere Erwachsene betrifft. Und zwar mit deutlich steigender Tendenz. 

Alarmierend ist, dass die Einsamkeit nicht nur bei älteren Menschen, sondern seit der Pandemie auch bei jüngeren Erwachsenen unter 30 Jahren weit verbreitet ist. Woran liegt das? Haben wir verlernt, rauszugehen? 

Einsamkeitsprävalenz nach sozialstrukturellen Merkmalen 2022 (Anteile in Prozent) | Copyright: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB)

Starker Anstieg seit der Pandemie

Vor allem in den letzten fünf Jahren hat das Gefühl der Einsamkeit in Deutschland signifikant zugenommen: Während von 2005 bis 2017 der Anteil der Einsamen im jungen und mittleren Erwachsenenalter recht stabil zwischen 14 und 17 Prozent lag, ist er mit Beginn der Coronapandemie im Jahr 2020 sprunghaft auf knapp 41 Prozent angestiegen, ein Jahr später sogar auf fast 47 Prozent. Nach aktuellen Messungen aus dem Winter 2022/2023 sank das Gefühl der Einsamkeit wieder auf 36 Prozent ab, liegt aber immer noch deutlich über dem Niveau vor der Pandemie. „Spätestens seit der Coronapandemie ist sichtbar geworden, dass auch viele jüngere Menschen unter Einsamkeit leiden, selbst wenn sie nicht alleine leben“, erklärt die Soziologin Dr. Sabine Diabaté vom BiB, Mitautorin der Studie. Obwohl die Kontaktbeschränkungen der Vergangenheit angehören, seien bis Anfang 2023 nur wenig soziale Nachholeffekte zu sehen: „In der postpandemischen Phase besteht die Einsamkeit auf hohem Niveau fort – es zeigt sich eine Tendenz zur Chronifizierung.“

Männer erleben häufiger soziale Einsamkeit, Frauen sind öfter emotional einsam

Die Forschenden unterscheiden in der Untersuchung zwischen verschiedenen Arten von Einsamkeit. Als sozial einsam gelten Menschen, die mit ihrem weiteren sozialen Umfeld aus Freundschaften und Nachbarschaft unzufrieden sind, und sich darin nicht unterstützt oder verbunden fühlen. Von emotionaler Einsamkeit können hingegen auch Personen mit einem großen sozialen Umfeld betroffen sein, hier geht es um ein gefühltes Defizit an Nähe zu engen Bezugspersonen. Die Analysen zeigen, dass soziale Einsamkeit mit 39 Prozent häufiger vorkommt als emotionale Einsamkeit mit 29 Prozent. „Vor allem Frauen beklagen eher eine emotionale Einsamkeit, während Männer häufiger sozial einsam sind“, erklärt Diabaté. Das heißt, dass Frauen sich nicht verbunden fühlen, obwohl sie viele Kontakte pflegen. Für sie scheint es auch um die Qualität der Interaktionen zu gehen, bei Männern reicht das gemeinsame Erleben aus. Fußballspielen, Angeln, der Schützenverein? Reine Hobbygruppen, bei denen es hauptsächlich um die gemeinsame Sache geht, sind fest in Männerhand. Und das reicht ihnen auch vollkommen aus, um sich glücklich zu fühlen. Bist du ein Mann und fühlst dich einsam? Dann such dir ein Hobby. Tischtennisspielen, Schach, Tauchen, Grillen? Hier in Deutschland gibt es für alles einen Verein. Frauen brauchen jedoch andere Dinge, um sich verbunden zu fühlen. 

Frauen wollen wahrgenommen werden

„Ich war da, aber es hat mir nichts gebracht“, Inga zuckt hilflos mit den Schultern, als sie von einem Treffen mit ihrer Nachbarin zurückkommt. Kann das sein? Ja, absolut. Vielleicht hat die Nachbarin nicht wirklich zugehört, sondern nur geredet. Das reicht aber nicht aus. Frauen spielen Zuhören im Team: Sie geben und fordern echte Anteilnahme. Das ist die Basis für Verbundenheit. Deshalb reicht eine willkürlich zusammengesetzte Interessengruppe nicht aus, damit sie sich erfüllt und glücklich fühlen. Frauen brauchen mehr. Tiefergehende und bedeutsame Gespräche, in denen sie sich wirklich gehört und verstanden fühlen. Sie profitieren von Gemeinschaften, die sich regelmäßig treffen, um sich auszutauschen. Dies könnten zum Beispiel Buchclubs, Kreativgruppen oder Sportvereine sein, die nicht nur auf das gemeinsame Hobby, sondern auch auf das Knüpfen tieferer sozialer Verbindungen abzielen. Eine Bauchtanzgruppe vielleicht, oder eine Yogagruppe, bei der man danach noch etwas zusammensitzen und erzählen kann. Ob digitale Plattformen so etwas leisten könnten, ist fraglich. Aber eines ist klar: Lässt man die Dinge einfach so laufen, wird sich nichts ändern. Wer einsam ist, muss aktiv werden. 

Die Auswertungen zeigen unterschiedliche Risikofaktoren beim Empfinden von Einsamkeit. Demnach äußern sich jüngere Erwachsene (unter 30 Jahren) mit ihrem Sozialleben generell unzufriedener und schätzen sich häufiger einsamkeitsbetroffen ein als mittelalte Erwachsene (30-53 Jahre). Ebenso geben viele Allein- bzw. Getrennterziehende an, sich einsam zu fühlen. Erwerbslosigkeit und länger anhaltende gesundheitliche Probleme gelten als weitere Risikofaktoren für ein erhöhtes Einsamkeitsempfinden. Bei Personengruppen, in denen mehrere der genannten Risikofaktoren gleichzeitig vorliegen, ist von einer besonders hohen Einsamkeitswahrscheinlichkeit auszugehen.

Gefahr für Wohlbefinden und gesellschaftlichen Zusammenhalt

Die Folgen einer chronischen Einsamkeit sind in vielerlei Hinsicht problematisch und als gesamtgesellschaftliche Herausforderung zu verstehen. Individuell geht sie mit zahlreichen Gesundheitsrisiken einher: So haben Einsame z. B. häufiger Schlafprobleme, ein höheres Risiko für koronare Herzerkrankungen oder Schlaganfälle und eine reduzierte Immunabwehr. Sie sind suchtanfälliger und zeigen vorzeitig physiologische Alterungsprozesse. Darüber hinaus haben einsame Menschen ein höheres Risiko, sich zu isolieren und sich möglicherweise politisch oder religiös zu radikalisieren. „Damit kann eine zunehmende Einsamkeit in der Bevölkerung auch ein Risiko für die Demokratie bedeuten, weil sie den inneren, sozialen Zusammenhalt gefährden kann“, warnt Prof. Dr. Martin Bujard, FReDA-Studienleiter und Forschungsdirektor am BiB.

Was tun gegen Einsamkeit?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Einsamkeit als “Pandemie des 21. Jahrhunderts” bezeichnet. Ehrlich gesagt? Mach etwas zu einem Problem – und dann wird es auch eines. Einsamkeit ist nur ein Gefühl, und wir sind immer damit zurechtgekommen. Aber viele Menschen wissen heutzutage oft nicht, wie sie mit Einsamkeit konstruktiv umgehen können. Deshalb kommt hier unsere Kurzanleitung: Einsamkeit ist kein Gefühl, das auf Dauer bei uns bleiben möchte – es ist ein Gefühl, das sich überflüssig machen will und uns etwas lehren möchte. Und wie jedes Gefühl dauert es ca. 7 Sekunden an. Ein Beweis dafür? Wie lange kannst du dich glücklich fühlen? Probier es aus. Es sind nicht mehr als 7 Sekunden. Der Grund, warum du dich länger oder sogar chronisch einsam fühlst, ist, dass du das Gefühl nicht zu Ende fühlst. Und zwar, weil du Angst hat, davon überwältigt zu werden. Dann zieht es sich und fühlt sich an, wie eine Ewigkeit. Die Wahrheit ist, dass jeder Mensch Angst hat, einsam zu sein. Er sucht von Geburt an Anschluss. Zunächst an seine Eltern, dann an eine Gruppe, möchte am liebsten 24 Stunden lang betreut und unterstützt sein. Wir laufen anderen nach, aber dabei laufen wir auch vor uns selbst weg. In indianischen Kulturen weiß man das. Im Laufe des Erwachsenwerdens werden die Heranwachsenden also gezielt in eine Situation geschickt, in der sie einsam sind. Sie verbringen ein paar Tage in der Natur, ganz alleine, nur auf sich gestellt. Und dort, in der Stille, die sich irgendwann im Inneren auftut, finden sie sich selbst. Das ist die Aufgabe der Einsamkeit: Such nicht nach anderen, such nach dir. Dazu musst du nicht unbedingt in die Einsamkeit gehen. Hier haben wir ein paar Tipps, die dir den Weg zu dir leichter machen: 

  1. Entscheide dich, ein bestimmtes Gefühl öfter zu spüren. Anstatt große Lebensänderungen vorzunehmen reicht es nämlich vollkommen aus, sich zunächst für eine innere Haltung zu entscheiden. Möglicherweise möchtest du dich mit dir einfach häufiger wohlfühlen. Dann konzentriere dich auf dieses Gefühl und lass es in dir wachsen.
  2. Verbringe Qualitätszeit mit dir selbst. Lies ein Buch, zünde eine Kerze an, nimm ein Bad, geh in die Sauna. Entspann dich und genieße es, einfach zu sein und dich gut und wohl zu fühlen. Du wirst auch merken, wann du dich nicht mehr wohlfühlst und wirst so dein eigener Kompass. Andere gehen in einen Horrorfilm? Oder chinesisch essen? Du gehst nur noch mit, wenn du dich damit wohlfühlst. Und so wirst du ein Mensch, der weiß, was ihm guttut. Und daraus entwickelt sich eine Haltung. 
  3. In dem Maße, in dem du dein Inneres veränderst, wird sich auch deine Außenwirkung verändern. Auf einmal entdeckst du Leidenschaften und Abneigungen. Je klarer du wirst, desto leichter geht es. Und dann wirst du Gemeinschaft suchen, die dir guttut und deinem Inneren entspricht. 
  4. Ein guter Freund oder auch ein Haustier kann dir bei diesem Prozess zur Seite stehen. 

Die Einsamkeit lädt dich ein, dich selbst zu finden. Das ist gar nicht so schwer. Hier, auf Minerva-Vision, findest du eine ganze Reihe an Inspirationen, die dich auf dem Weg zu dir unterstützen können. Wie bei einem Buffet kannst du auswählen, was genau zu dir passt. Wir sind neugierig, wer du wirklich bist. Und solltest du Hilfe brauchen, hier noch ein paar hilfreiche Adressen: 

  • Nummergegenkummer.de: Telefonische Beratung und Unterstützung für Kinder und Jugendliche, anonym und kostenlos.
  • Telefon-Seelsorge: Die Telefon-Seelsorge ist kostenlos per Telefon, Mail und Chat zu erreichen. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter helfen Menschen in Not an jedem Tag im Jahr rund um die Uhr.
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