Gesundheit

Leben mit MS

Leben mit MS: Eine Mutmacher-Geschichte | Bernd, 59: “Ich habe seit 29 Jahren Multiple Sklerose und ich kenne die Ängste der erst frisch Betroffenen. Ich kenne deren Ängste und deren Sorgen.” 

“Ich gehe offen mit der MS um und möchte anhand meines Verlaufes aufzeigen, wie es nach Tiefphasen laufen KANN. Mir ist wichtig, dass es nicht als Empfehlung angesehen wird! 

Nach einer Untersuchung wegen extremen Schwindels und Doppelblick (Sehnerventzündung) bekam ich im April 1994 die Diagnose MS. Mein damaliger Neurologe saß mir, eine Zigarette rauchend, gegenüber und sagte lapidar: „Sie haben MS, aber es gibt Schlimmeres.“ Das mag auch sicherlich so sein, allerdings brach für mich eine Welt zusammen. 

Ich hatte bis 1996 drei Schübe, die damals noch mit niedrig dosierten Cortison-Tabletten behandelt wurden. Heute geht’s gleich mit einer Cortison-Stoßtherapie los, was auch richtig ist. Zumindest empfinde ich es so. Aber ich begann keine medikamentöse Therapie.

Bis 2006 ignorierte ich die MS mehr oder weniger; es lief mal schlechter oder besser. In diesem Jahr absolvierte ich dann eine Reha und ließ mich dort zu einer Basistherapie überreden. Wer weiß, wo es hingegangen wäre, wenn ich diese Basistherapie nicht angenommen hätte? Allerdings hatte ich unter den damaligen Medikamenten extreme Nebenwirkungen. Damals waren die Auswahlmöglichkeiten nicht mit denen von heute zu vergleichen. Zum Schluss landete ich dann bei Copaxone. Ich hatte vom ersten Tag an keine Nebenwirkungen. Na gut; ich hatte am ganzen Körper keine Stelle mehr, in die ich hätte spritzen können, denn es fühlte sich alles bretthart an. Unter dem Mittel wurde ich allerdings schleichend immer schwächer.

Mitte 2011 wurde ich dann teilerwerbsunfähig. 

Und glaubt mir, das war alles nicht witzig! Ich war so erschöpft, dass ich Mittagsschlaf auf dem Sofa hielt. Es hätte eine Planierraupe vorbeifahren können und ich hätte nichts mitbekommen. 

Im Januar 2013 feuerte ich dann den Injektor gegen die Wand und sagte zu meiner damaligen Frau: „Ich tue es nicht mehr.“ Großes Drama. Ich brach nämlich nicht nur die Basistherapie ab, sondern stellte auch meine Ernährung auf fleischlos um. Da mein Vitamin D3-Wert nach einer Kontrolle im bedenklichen Bereich war, fing ich an, Vitamin D3 und einen Vitamin B Komplex zu mir zu nehmen. Milchprodukte waren sowieso nie meins; auch die hatte ich massiv gekürzt. 

Mein damaliger Neurologe kochte vor Wut, als ich ihm meinen Entschluss mitteilte, und er schickte mich in die neurologische Abteilung einer Uni-Klinik. Die sollten mich dort „wieder auf Kurs“ bringen. Vor mir standen dann also irgendwann zwei aufgebrachte Neurologen, ein Oberarzt und der Professor. Der Oberarzt redete sich regelrecht in Rage und als er mir dann vorwarf: „Sie wissen ja, wo die Reise dann hingeht!“, war für mich das Maß voll. Ich unterbrach ihn und fragte ihn, ob er sich eigentlich zuhören würde. Da besann er sich dann, entschuldigte sich und sagte: „Wo die Reise hingehen kann.“ Ich dachte mir dann nur: Na also, geht doch! 

Ich würde mich heute gerne bei so vielen Ärzten wieder vorstellen, um ihnen zu zeigen, wo die Reise tatsächlich hingehen kann. 

Ja, meine Entscheidung hätte durchaus auch in die Buxe gehen können, aber ich selbst kenne mich doch am besten. Mein heutiger Neurologe ist zum Glück sehr an mir interessiert und unterstützt mich in dem, was ich tue.

Bereits sechs Wochen nach meiner Entscheidung und deren Umsetzung merkte ich positive Veränderungen. Ende 2014 fühlte ich mich schon wieder so gut, dass ich den Antrag aus der Teilerwerbsunfähigkeit heraus in eine Vollzeitbeschäftigung stellen wollte. Ich gönnte mir noch ein halbes Jahr Zeit, um zu sehen, ob es vielleicht nur eine Momentaufnahme war. 

Dann kam das Drama mit der Rentenversicherung. Ich hatte einen Sachbearbeiter, der mir sagte, er wäre fast 40 Jahre dabei, aber so etwas, dass jemand wieder in Vollzeit arbeiten wolle, habe er noch nicht erlebt. Er fragte mich: „Was sind Sie denn für ein Vogel? Was ist denn mit Ihnen falsch?“
Seit Januar 2016 arbeite ich wieder in der Vollzeit. 

Nach einer Spinalkanal-Operation in 2020 und einer Krebs-Operation in 2021 (ja, den habe ich auch besiegt!), besuche ich seit Anfang 2022 ein Fitness-Studio, was die ganzen vorherigen 17 Jahre nicht möglich war, und ich habe meine Muskulatur weitestgehend wieder aufgebaut. 

Ich möchte euch also damit zeigen: Die Diagnose ist nicht gleich das Ende!
Wie gesagt, es ist die Krankheit mit den tausend Gesichtern.

Und noch einmal: Es ist nur MEIN Weg, keine Empfehlung.

Passt bitte auf euch auf und hört auf euer Bauchgefühl. 

Bernd

Zum Weiterlesen: Spring, damit du fliegen kannst

Ein Ratgeber für alle an MS Erkrankten, deren Angehörigen und Freunde, die auf der Suche nach Antworten sind.

Minerva Verlag, Umfang: 180 Seiten | Gewicht: 453 g | ISBN: 978-3-910503-15-1

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