„Ich habe mein Land verlassen – und vermisse mein Zuhause jeden Tag“
Erzähl mir dein Leben:
„Erzähl mir dein Leben“ ist der Ort, an dem Menschen ihre ganz persönliche Geschichte teilen. Ob große Herausforderungen, kleine Freuden, unerwartete Wendungen oder mutige Entscheidungen – hier findet jede Lebensgeschichte ihren Raum. Durch das Erzählen entdecken wir uns selbst und können auch anderen helfen.
Vergeht das Heimweh wirklich nie?
Maria, 37 Jahre alt, zog vor zwei Jahren aus beruflichen Gründen aus Spanien nach Deutschland. Sie hat Heimweh.
Maria, danke, dass du bereit bist, über dieses Thema zu sprechen. Was hat dich dazu bewogen, dein Heimatland zu verlassen?
Maria:
Es war eine schwierige Entscheidung, aber letztlich war es aus beruflichen Gründen. In Spanien war die wirtschaftliche Lage nicht einfach, und ich hatte das Gefühl, beruflich festzustecken. Mein Partner und ich haben lange darüber nachgedacht, als sich die Möglichkeit ergab, in Deutschland zu arbeiten. Es war eine Chance, die wir nicht ausschlagen wollten – bessere Karriereperspektiven, ein höheres Gehalt, Sicherheit. All das klang verlockend. Doch ich hätte nie gedacht, wie hart es sein würde, wirklich zu gehen.
Wie war es, als du in Deutschland angekommen bist? Wie hast du die erste Zeit erlebt?
Maria:
Am Anfang war es aufregend. Alles war neu – die Stadt, die Menschen, die Kultur. Ich fühlte mich wie eine Entdeckerin, die ein völlig neues Leben beginnt. Aber diese Aufregung ließ schnell nach. Schon nach ein paar Wochen spürte ich, wie sehr mir mein Zuhause fehlte. Es waren nicht nur die großen Dinge, sondern vor allem die kleinen, alltäglichen Gewohnheiten, die ich vermisste. In Spanien hatte ich ein enges soziales Netzwerk, meine Familie war immer da, wir trafen uns spontan zu einem Kaffee oder gingen zusammen essen. Hier in Deutschland fühlte ich mich plötzlich isoliert.
Die deutsche Kultur ist so anders – die Menschen sind zurückhaltender, es dauert länger, Freundschaften zu schließen. Und die Sprache war eine riesige Hürde. Obwohl ich Deutsch gelernt hatte, fühlte ich mich unsicher, wenn ich versuchte, mich in Alltagssituationen auszudrücken. Es war, als hätte ich plötzlich meine Stimme verloren.
Was genau vermisst du am meisten an Spanien und deinem alten Leben dort?
Maria:
Es gibt so viel, was ich vermisse. Natürlich meine Familie und Freunde – das ist das Größte. In Spanien haben wir eine enge Gemeinschaft, ich konnte immer jemanden anrufen, und es dauerte nie lange, bis man sich treffen konnte. Hier in Deutschland ist es nicht so leicht, sich einfach mal spontan zu verabreden. Die Menschen planen Wochen im Voraus, und das macht es schwierig, diese spontanen, herzlichen Verbindungen zu pflegen, die ich von zu Hause gewohnt bin.
Dann vermisse ich das Wetter. Ich weiß, das klingt vielleicht banal, aber die Sonne in Spanien hat eine ganz andere Kraft. Diese langen, warmen Abende, die Lebensfreude, die man spürt, wenn man draußen sitzt und das Leben einfach genießt. Hier ist es oft grau, und das drückt manchmal auf meine Stimmung.
Und natürlich das Essen! In Spanien haben wir so viel frisches Obst und Gemüse, die traditionellen Gerichte, die meine Mutter kocht. Hier ist alles anders – es fehlt der Geschmack von Heimat.
Gibt es bestimmte Momente, in denen die Sehnsucht nach deinem Heimatland besonders stark ist?
Maria:
Ja, besonders an Feiertagen oder bei Familientreffen. Weihnachten war letztes Jahr besonders hart. In Spanien feiern wir die Feiertage groß mit der ganzen Familie, mit vielen traditionellen Speisen und Festen. In Deutschland war es viel ruhiger, und ich konnte nur per Video mit meiner Familie sprechen. Das hat mich emotional sehr getroffen.
Auch an Wochenenden, wenn ich früher mit meinen Freunden zum Strand gefahren bin oder wir abends zusammen ausgegangen sind, spüre ich diese Leere. Hier fühle ich mich oft allein, auch wenn mein Partner bei mir ist. Es ist, als ob ein Stück meiner Identität fehlt, als ob ich nicht ganz vollständig bin.
Hast du das Gefühl, dass du in Deutschland „angekommen“ bist?
Maria:
Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube, in gewisser Weise ja – ich habe mich an viele Dinge gewöhnt, und ich habe hier ein Leben aufgebaut. Aber es fühlt sich nie wirklich wie „zuhause“ an. Es gibt Momente, in denen ich mich integriert fühle, wenn ich zum Beispiel auf der Arbeit gut zurechtkomme oder neue Leute kennenlerne. Aber dann gibt es auch viele Tage, an denen ich mich wie eine Fremde fühle, als ob ich nicht wirklich dazugehöre.
Das Zuhause-Gefühl, das ich in Spanien hatte, habe ich hier noch nicht gefunden. Vielleicht liegt das daran, dass ich tief in meinem Herzen immer das Gefühl habe, dass mein wahres Zuhause dort ist, wo meine Wurzeln sind. Deutschland gibt mir viele Chancen, aber es wird nie mein „Heimatland“ sein.
Was gibt dir Kraft in den Momenten, in denen du dich besonders fremd fühlst?
Maria:
Es sind vor allem die Verbindungen zu meiner Familie und meinen Freunden in Spanien. Wir sprechen regelmäßig, und das hilft mir, mich nicht ganz verloren zu fühlen. Auch mein Partner ist eine große Stütze. Er versteht, wie schwer es für mich ist, und er versucht, mich so gut es geht zu unterstützen. Wir haben hier einige spanische Freunde gefunden, und es hilft, Menschen zu haben, die die gleichen Erfahrungen teilen und bei denen man in seiner eigenen Sprache sprechen kann.
Und dann sind es die kleinen Rituale: Ich koche oft spanische Gerichte, um ein Stück Heimat zu spüren, oder höre spanische Musik. Diese kleinen Dinge geben mir ein Gefühl der Nähe, auch wenn ich weit weg bin.
Wie siehst du die Zukunft? Gibt es eine Möglichkeit, dass du eines Tages nach Spanien zurückkehrst?
Maria:
Ich denke oft darüber nach, ob ich irgendwann zurückkehren werde. Es ist schwer, das jetzt zu sagen. Mein Leben ist inzwischen hier, mein Job, mein Partner – das alles gibt mir eine gewisse Stabilität. Aber gleichzeitig bleibt diese Sehnsucht nach meiner Heimat. Es gibt Tage, an denen ich mir nichts sehnlicher wünsche, als einfach alles hinter mir zu lassen und nach Spanien zurückzukehren.
Vielleicht ist es möglich, irgendwann eine Balance zu finden – zwischen dem Leben hier und der Verbindung zu meinem Heimatland. Ich hoffe, dass ich eines Tages einen Weg finde, beides miteinander zu vereinen. Aber im Moment bleibt die Sehnsucht immer ein Teil von mir.
Maria, vielen Dank, dass du deine Geschichte mit uns geteilt hast.
Maria:
Gern. Es tut gut, darüber zu sprechen, und vielleicht hilft es anderen Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, zu wissen, dass sie nicht allein sind.rdnung ist, diese zu gehen.
Der Kommentar von Nina, unserem Selbsthilfe-Coach:
Ein Leben zwischen zwei Welten
“Marias Geschichte zeigt uns, wie schwer es sein kann, das eigene Heimatland zu verlassen. Die Sehnsucht nach dem Vertrauten, nach Familie und Heimat bleibt oft ein ständiger Begleiter. Ich vergleiche das gerne mit einem Frühstücksbuffet im Urlaub: am Anfang ist man überwältigt von all den neuen Angeboten und probiert jeden Tag etwas Neues. Nach einigen Tagen ist man das Neue so satt, dass man sich nach dem Gewohnten zurücksehnt – und dann sitzt man unter tropischer Sonne mit Schwarzbrot und Leberwurst. Gewohnheiten machen nämlich glücklich. Es ist nämlich diese Vertrautheit, die uns Halt gibt, die uns das Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit vermittelt. Gerade wenn man sich in einer neuen Umgebung wiederfindet, fernab der gewohnten Landschaften, vertrauten Gerüche und Stimmen, wird einem bewusst, wie tief diese alltäglichen Dinge in unserer Identität verwurzelt sind. Und wie sehr wir sie brauchen. Und dann wächst die Sehnsucht danach – das Gefühl kennen wir als Heimweh. Und es kann sehr, sehr stark werden. Der Wunsch nach dem, was einem vertraut ist, kann unermesslich groß werden. So sehr, dass wir innerlich instabil werden. Jeder Tag wird dann zur Herausforderung, denn selbst die einfachsten Dinge fühlen sich plötzlich fremd an, sie sollten anders sein. Das Fatale ist, dass wir uns dennoch verändern. Liebe Maria, aller Wahrscheinlichkeit nach wirst du, wenn du nach Spanien zurückkehrst, am Anfang sehr glücklich sein. Du wirst alles genießen, was du in Deutschland vermisst hast, um dann aber nach einiger Zeit zu merken, dass du Heimweh nach Deutschland fühlst. Viele Menschen, die aus einem anderen Land stammen, stehen vor allem vor einer emotionalen Herausforderung. Sie müssen nicht nur geografisch, sondern auch innerlich eine Heimat finden. Das geht, indem man das Beste aus beiden Welten lebt. Du, liebe Maria, kannst das, was dir wichtig ist, in Deutschland integrieren. Finde Menschen, die enge und nahe Bindungen leben wollen. Die gibt es auch hier. Vielleicht gibt es in deiner Nähe auch andere spanische Auswanderer, das würde dir das Leben hier sicherlich erleichtern. Und gute Sprachkenntnisse sind ebenfalls hilfreich, um hier Fuß zu fassen. Sicherlich, das Wetter ist nicht zu ändern. Doch mit Geduld, kleinen Ritualen und dem Aufbau neuer Verbindungen kann ein Weg gefunden werden, zwischen den Welten zu leben – auch wenn das Heimweh vielleicht nie ganz verschwindet.”
Deine Geschichte ist es wert, erzählt zu werden. Egal, ob du selbst schreibst oder liest – „Erzähl mir dein Leben“ verbindet uns alle durch das, was uns am meisten ausmacht: unsere Erfahrungen. Du möchtest deine Geschichte erzählen? Dann schreib uns eine Mail an: redaktion@minerva-vision.de.