Freizeit

Glücklichmacher: Puzzle statt Nudeln

Vor kurzem bin ich nach Australien gereist. Genauer gesagt nach Sydney, zur Sydney Opera. Eine echte Reise in das Land meiner Träume liegt weit außerhalb meines Budgets. Trotzdem gebe ich den Traum nicht auf, eines Tages das große Feuerwerk über dem Himmel von Harbour Bridge und Sydney Opera zum Jahreswechsel einmal live zu sehen. Das macht mir schon Gänsehaut, wenn ich nur daran denke.

Aber bis es soweit ist, bleibt es bei einem Traum. Deswegen habe ich ihn hier die letzten zwei Wochen in meinem Wohnzimmer gelebt und habe jeden Tag ein bisschen die Sydney Opera gebaut. Und zwar als 3D-Puzzle. Und weil ich nun mal ich bin, habe ich mir gleich das größte 3D-Puzzle (907 Teile) überhaupt rausgesucht. Nicht weil ich größenwahnsinnig bzw. übergeschnappt bin, sondern weil die kleineren Modelle dieses wunderbare Bauwerk nicht ansatzweise so gut dargestellt haben wie eben dasjenige, für welches ich mich entschieden habe.

Ich habe zwar immer schon gerne gepuzzelt, aber diese 3D-Variation war jetzt eine echte Herausforderung. Einmal aufgrund der Einschränkung, die mir die Multiple Sklerose für meine rechte Körperhälfte mitgegeben hat; hier insbesondere die deutlich eingeschränkte Feinmotorik meiner Hand bzw. der Beweglichkeit meiner Finger. Und dann auch noch die verminderten kognitiven Fähigkeiten. Ich kann mich nicht mehr so gut und vor allem lange konzentrieren, wie vor der MS. Und eine gute räumliche Vorstellungskraft hatte ich noch nie.

Egal. Es musste einfach die Sydney Opera sein. 

Ich bin schließlich im Sternzeichen Stier geboren. Und wenn ein Stier sich etwas in den Kopf setzt… Vorneweg: Die (Schaumstoff-)Teile des 3D-Puzzles sind viel besser zu greifen für mich. Aber der Rest war komplett ungewohnt. Eine echte kognitive und feinmotorische Herausforderung. Damit hatte ich nicht gerechnet. Bei diesem Puzzle kann man nicht einfach die Teile an- und aufeinandersetzen, wie man denkt, dass es richtig ist. Das wäre zu einfach. Man muss sich bei diesem Puzzle genau an die Vorgaben halten.

Als Erstes die gekennzeichneten Überschüsse vom Stanzen an den einzelnen Puzzleteilen entfernen; letzten Endes sind das mindestens genau so viele wie die eigentlichen Bauteile. Und ich bin heilfroh, dass ich den Gedanken hatte, die Stanzteile nicht  zu entsorgen, bis das Bauwerk fertig gestellt ist. Am Ende hat mir nämlich tatsächlich ein winziges Teilchen von noch nicht einmal 3x 5 mm gefehlt. Ich habe es dann bei der erneuten Durchsicht der „ausgesiebten“ Stanzüberschüsse gefunden.

Zweite Herausforderung: Es gab keine farbige Anleitung. 

Ich hatte also nur das Modellbild auf der Umverpackung des Puzzles. Im Internet habe ich mir dann ein 3D-Modell der echten Oper angesehen, um eine Vorstellung von Farben und Anordnung zu bekommen. In der Anleitung waren also nur die Anordnungen der Puzzleteile zu sehen und die Abfolge der einzelnen Baugruppen. Alles in einem fröhlichen mausgrau mit den Umrissen der einzelnen Bauteile.

Als der Umriss der Sydney Opera lag, war mein Ehrgeiz geweckt. Das war noch einfach und ich bekam ein Gefühl, wie ich die einzelnen Teile anfassen musste und welchen Druck ich brauchte, um alles zusammenzufügen.

Dann ging es in die Höhe. 

Der Platz, auf dem die Oper steht; sogar mit stützenden Teilen für den weiteren Aufbau der Wände und später dann der ikonischen Dachkonstruktion.

Die Wände selbst waren auch nicht wirklich ein Problem. Ich hatte eher Angst bei der Glasfront auf der Rückseite der Oper bzw. der dann folgenden Dachkonstruktion. Als Kind habe ich gerne Häuser mit Lego gebaut. Und immer wenn ich das Steildach fast fertig hatte, ist es mir zusammengestürzt, weil ich die letzten Lego-Steine nicht zart genug aufgesetzt hatte.

Aber wie war das noch? 

„Man ist nur dann ein Superheld, wenn man sich selbst für super hält!“ Ich habe alle Einzelgruppen zusammengesetzt und zum Schluss die Dachkonstruktion aufgesetzt. Und ehrlich gesagt bin ich jetzt richtig, richtig stolz. Die Sydney Opera steht jetzt vor einer Landkarte, die ich auf eine Leinwand aufgezogen habe und ich freue mich jeden Tag daran.

Vor Kurzem habe ich übrigens gelesen, dass Puzzeln mehr ist als ein Hobby. Forscher haben herausgefunden, dass Puzzeln nicht nur ausgleichend wirkt, sondern zudem beide Gehirnhälften aktiviert. Es trainiert außerdem das Kurzzeit-Gedächtnis und die Konzentrationsfähigkeit. Ein echtes Gehirn-Jogging also. Puls, Blutdruck und Atemfrequenz werden gesenkt. In Prinzip ein meditativer Zustand für den Körper – Entspannung pur. Gleichzeitig trainiert es die Hand-Auge-Koordination, die Feinmotorik und weiter haben die Forscher festgestellt, dass Menschen seltener an Demenz erkranken, wenn sie im Alter regelmäßig puzzeln.

Zusätzlich ganz schön zu wissen …

Die heutigen 3D-Puzzles kommen ziemlich nah an die Original Puzzles ran, wie sie damals gewesen sind. Sie nannten sich die „Laubsägen Rätsel“. Der Kupferstecher und Kartenhändler John Spilsbury wollte den Schulkindern in England (1766) den Erdkunde-Unterricht spielerisch beibringen. Er hat dazu eine Landkarte von Großbritannien auf ein Holzbrett geklebt und es mit einer Laubsäge an den Grenzen der jeweiligen Grafschaften zersägt. Und die Schüler mussten die Karte dann wieder zusammenfügen. Cleverer Schachzug aus heutiger Sicht, denn spielend lernen bleibt weitaus schneller und besser hängen als theoretisches Auswendiglernen. In England heißen Puzzle heute deswegen, bis heute, „Jigsaw-Puzzle“ (Laubsägen-Rätsel).


Autorin IRENE SYBERTZ wurde in Krefeld geboren und wuchs dort und in ihrem geliebten Kempen auf. Nach ihrer Ausbildung zur Hotelfachfrau arbeitete sie zunächst als Rezeptionistin in einigen Häusern der Steigenberger Hotelgruppe, bis sie als Quereinsteigerin zur Verlagsgruppe Rhein Main mit Sitz in Mainz wechselte. Hier arbeitete die Ausbilderin und Wirtschaftsfachwirtin, in mehreren Bereichen, als kaufmännische Angestellte, bis zu ihrem silbernen Betriebsjubiläum, was für sie den gleichzeitigen Eintritt in die volle Erwerbsminderungsrente bedeutete. Heute lebt sie wieder in ihrer Heimat, dem Niederrhein, in Mönchengladbach. Die Diagnose Multiple Sklerose erhielt sie am 23. November 2009 im Alter von 42 Jahren. Zu diesem Thema hat sie auch ein Buch geschrieben.

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