Die Kraft der Gedanken: Motivation und Achtsamkeit bei MS
Wie kann man trotz einer chronischen Diagnose wie Multiple Sklerose das Leben selbstbestimmt und positiv gestalten? Katja Kerschgens, Mentorin, Autorin und selbst Betroffene, teilt in diesem Gespräch mit Irene Teubner ihre wertvollen Einsichten. Sie zeigt, wie wichtig der Umgang mit Sprache, Eigenmotivation und ein unterstützendes Umfeld sind. Mit ihrer pragmatischen und humorvollen Sichtweise inspiriert sie dazu, Herausforderungen anzunehmen und das Leben trotz allem zu feiern.
Wir haben heute ein spannendes Thema, bei dem du uns sicher viel weiterhelfen kannst: Eigenmotivation und Achtsamkeit. Katja, du bist Mentorin, Rhetoriktrainerin, Buchautorin und Künstlerin. Und wenn ich jetzt sage, dass du an MS erkrankt bist, dann stellen sich dir die Nackenhaare auf. Richtig?
Katja Kerschgens: Absolut. Es geht um die Art, wie man über Dinge spricht. Wenn ich sage, ich bin krank, identifiziere ich mich komplett mit der Krankheit. Sage ich jedoch, ich habe eine Krankheit, unterscheide ich zwischen mir als Mensch und diesem Teil von mir. Diese Differenzierung ist entscheidend.
“Ich bin krank” klingt auch nach einer Opferrolle.
Katja Kerschgens: Genau. Viele Menschen verfallen in eine Haltung, die von anderen erwartet, dass sie helfen. Dabei ist es wichtiger, sich selbst die Frage zu stellen: Was kann ich tun, um mir zu helfen? Unterstützung holen ist wichtig, aber man sollte aktiv mitwirken.
Leider drängt uns die Umwelt oft in diese Rolle. Ich erlebe das selbst – von Ärzten oder Bekannten, die sagen: “Sie haben ja diese Krankheit.”
Katja Kerschgens: In solchen Momenten korrigiere ich das. Ich sage: “Ich habe eine Diagnose, was ich daraus mache, ist meine Entscheidung.” Das hilft mir, selbstbestimmt zu bleiben.
Wie schafft man es, so zu denken?
Katja Kerschgens: Ich war schon immer Zweckoptimistin und Pragmatikerin. Es hilft, sich zu fragen: “Was ist das Gute an der Situation?” Bei meiner Diagnose habe ich mich gefragt: “Was will ich wirklich vom Leben?” Diese Fokussierung hat mich dazu gebracht, mich beruflich neu zu orientieren und Rhetoriktrainerin zu werden. Das Gute an der Diagnose war, dass sie mir Klarheit gegeben hat.
Viele erkennen durch MS, was wirklich wichtig ist.
Katja Kerschgens: Genau. Es bringt einen dazu, intensiver zu leben und bewusster Entscheidungen zu treffen. Man sollte sich nicht mit Gedanken über mögliche Probleme aufhalten, sondern im Hier und Jetzt leben. Ich habe gelernt, die kleinen Momente zu schätzen und meinen Fokus auf das Positive zu richten.
Kann man lernen, anders zu denken?
Katja Kerschgens: Absolut. Es beginnt damit, wie wir über Dinge sprechen. Statt zu sagen: “Ich bin so ungeschickt”, könnte man humorvoll reagieren: “Oh, das war interessant.” Humor hilft, mit Herausforderungen umzugehen. Natürlich gibt es schwere Momente, aber auch aus denen kann man wachsen. Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass unsere Gedanken unsere Realität prägen. Ich habe über die Jahre gemerkt, dass unser innerer Dialog die Basis für unsere Einstellung ist.
Wie gehst du mit Verlusten um? Du hast viele Fähigkeiten und Dinge aufgeben müssen.
Katja Kerschgens: Ich sage immer: “Ich hatte es mal.” Ich habe Motorrad gefahren, Schlagzeug gespielt und bundesweit Seminare gegeben. Das kann mir keiner nehmen, denn diese Erlebnisse gehören zu mir. Es geht nicht darum, was ich verloren habe, sondern was ich erlebt habe. Diese Sichtweise hilft mir, dankbar zu sein für die Erfahrungen, die ich machen durfte, anstatt dem nachzutrauern, was ich nicht mehr tun kann.
Und wie sieht es in der Partnerschaft aus? Viele sagen: “Wer will denn schon eine Kranke?”
Katja Kerschgens: Solche Menschen wären ohnehin nicht die richtigen Partner. Mein Mann hat gesagt: “Wenn du irgendwann im Rollstuhl sitzt, machen wir eben Rollstuhltanz.” Das war der Moment, in dem ich wusste, dass er der Richtige ist. Partnerschaft basiert auf Akzeptanz und Liebe, nicht auf Perfektion. Solche Gespräche zeigen, wie wichtig gegenseitige Unterstützung ist. Mein Mann gibt mir den Raum, so zu sein, wie ich bin, und das ist unbezahlbar.
Was rätst du Menschen, die von ihrer Umgebung in die Opferrolle gedrängt werden?
Katja Kerschgens: Ändert euer Umfeld. Umgebt euch mit Menschen, die euch unterstützen und positiv beeinflussen. Wir haben nur ein Leben, also sollten wir es mit Menschen verbringen, die uns guttun. Es ist wichtig, klare Grenzen zu setzen und sich von negativen Einflüssen zu lösen. Und wenn es schwerfällt, sich zu trennen, hilft es, kleine Schritte zu gehen. Veränderungen beginnen oft im Kleinen.
Ein schöner Gedanke. Gibt es Strategien, die dir helfen, motiviert zu bleiben?
Katja Kerschgens: Ja, ich fokussiere mich auf kleine, erreichbare Ziele. Ich frage mich jeden Tag: “Was kann ich heute tun, um mir oder anderen etwas Gutes zu tun?” Außerdem hilft mir Kreativität – ob Schreiben, Malen oder andere Projekte. Das gibt mir Energie und lenkt meinen Fokus auf das, was ich beeinflussen kann. Auch das bewusste Planen von positiven Momenten im Alltag kann unglaublich motivierend sein.
Was ist dein Schlusswort für unsere Zuhörer?
Katja Kerschgens: Achtet auf eure Worte, seid ehrlich zu euch selbst und mutig in euren Entscheidungen. Und denkt daran: “Du bist, was du denkst.” Das ist der Schlüssel. Nutzt jede Herausforderung, um zu wachsen und euch auf das Positive zu konzentrieren. Euer Weg ist individuell, und das ist eine Stärke, die euch niemand nehmen kann.