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Wenn dem Gehirn der Sprit ausgeht: Warum eine Genvariante Alzheimer begünstigt

Unser Gehirn ist ein Vielfraß – es verbraucht ein Fünftel unserer gesamten Energie, obwohl es nur zwei Prozent unseres Körpergewichts ausmacht. Normalerweise läuft es auf Zucker. Aber was passiert, wenn im Alter die Glukose knapp wird? Dann muss Plan B her: Fette als Energiequelle. Dumm nur, wenn dieser Notfallplan nicht funktioniert – genau das passiert bei Menschen mit der Genvariante ApoE4. Und das könnte erklären, warum sie ein zwölfmal höheres Alzheimer-Risiko haben.

Stell dir vor, dein Auto kann nur mit Benzin fahren. Jahrelang läuft alles prima. Doch dann wird die Benzinzufuhr immer schlechter, der Motor stottert. Zum Glück hast du noch einen Reserve-Tank mit Diesel dabei – der würde auch funktionieren. Nur blöd: Jemand hat den Zugang zu diesem Tank blockiert. Genau das passiert im Gehirn von Menschen mit der ApoE4-Genvariante, wie Forschende des Max Delbrück Center in Berlin und der Universität Aarhus jetzt in der Fachzeitschrift “Nature Metabolism” zeigen.

Der Unterschied zwischen Glück und Pech

Die meisten von uns tragen die Genvariante ApoE3 – und sind damit auf der sicheren Seite. Wer aber ApoE4 besitzt, hat im Vergleich ein zwölfmal so hohes Risiko, an Alzheimer zu erkranken. ApoE4 ist damit der wichtigste genetische Risikofaktor für die Krankheit. Aber warum dieser dramatische Unterschied zwischen zwei so ähnlichen Genvarianten?

Professor Thomas Willnow und sein Team haben den Mechanismus jetzt entschlüsselt. “Die Fähigkeit, Glukose zu verwerten, nimmt im alternden Gehirn ab”, erklärt der Forscher. “Deshalb sind die Nervenzellen gezwungen, auf alternative Energiequellen umzuschalten.” Und genau hier liegt das Problem: ApoE4 blockiert diesen lebenswichtigen Stoffwechselweg.


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Mäuse, Stammzellen und eine überraschende Entdeckung

Um zu verstehen, was da genau schiefläuft, arbeiteten die Wissenschaftlerinnen Dr. Anna Greda und Dr. Jemila Gomes mit einem cleveren Doppelansatz: Sie nutzten gentechnisch veränderte Mäuse, die entweder das menschliche ApoE3- oder ApoE4-Gen trugen. Zusätzlich züchteten sie aus menschlichen Stammzellen Neuronen und Astrozyten – Gehirnzellen – mit verschiedenen ApoE-Varianten.

Das Ergebnis war in beiden Systemen dasselbe: ApoE3 erlaubt es den Nervenzellen, langkettige Fettsäuren als Energiequelle zu nutzen. Es arbeitet dabei mit einem Rezeptor namens Sortilin zusammen, der wie eine Eingangstür für die Fette in die Zelle funktioniert. ApoE4 hingegen stört die Funktion von Sortilin und blockiert damit den Zugang. Die Nervenzellen können die Fette nicht aufnehmen – und ihnen geht buchstäblich der Saft aus.

Warum das so gefährlich ist

Das Gehirn verbraucht etwa ein Fünftel der gesamten Glukose im Körper. Mit zunehmendem Alter wird es aber immer schlechter darin, diesen Zucker zu verstoffwechseln – das ist Teil des normalen Alterungsprozesses. Bei Alzheimer-Patienten ist dieser Rückgang noch deutlicher ausgeprägt, und er beginnt oft schon Jahre, bevor die ersten Symptome auftreten.

“Unsere Erkenntnisse deuten darauf hin, dass das Gehirn mit zunehmendem Alter in hohem Maße darauf angewiesen ist, von Glukose auf Lipide umschalten zu können”, sagt Gomes. Menschen mit ApoE4 sind dazu offenbar nicht in der Lage – was ihr Risiko für eine Unterversorgung und den Tod von Nervenzellen massiv erhöht.

Man könnte sagen: Bei ApoE3-Trägern läuft das Gehirn im Notfall auf Ersatztreibstoff weiter. Bei ApoE4-Trägern bleibt der Motor stehen.

Ein Hoffnungsschimmer am Horizont

Die gute Nachricht: Die Studie eröffnet neue Wege für Therapien. Denn wenn das Problem darin besteht, dass Nervenzellen keine Fette aufnehmen können, müsste man genau hier ansetzen. Und tatsächlich gibt es bereits Medikamente, die den Fettstoffwechsel beeinflussen.

Die Forschenden konnten schon zeigen, dass die Substanz Bezafibrat den Fettsäurestoffwechsel in ApoE4-exprimierenden Zellen wiederherstellen kann. “Natürlich müssten solche Medikamente in klinischen Studien getestet werden”, sagt Willnow vorsichtig. “Ich bin aber zuversichtlich, dass unsere Forschung neue Behandlungsmöglichkeiten gegen diese verheerende Krankheit aufzeigen wird.”

Was das für dich bedeutet

Wenn du wissen möchtest, ob du ApoE4 trägst, kannst du das mittlerweile durch genetische Tests herausfinden – allerdings solltest du dir vorher gut überlegen, ob du es wirklich wissen willst. Denn selbst mit ApoE4 erkrankst du nicht zwangsläufig an Alzheimer, und ohne ApoE4 bist du nicht automatisch geschützt.

Wichtiger als die Gene sind ohnehin die Dinge, die du beeinflussen kannst: Bewegung, eine gesunde Ernährung, soziale Kontakte und geistige Aktivität schützen dein Gehirn – unabhängig von deinen Genen. Dein Gehirn ist ein bisschen wie ein Muskel: Use it or lose it.

Und vielleicht gibt es ja schon bald Medikamente, die Menschen mit ApoE4 gezielt helfen, ihren Nervenzellen auch im Alter genug Energie zu liefern. Denn wenn wir verstehen, warum der Notfallplan nicht funktioniert, können wir auch lernen, ihn zu reparieren.

Das Gehirn ist kompliziert, keine Frage. Aber mit jeder Entdeckung wie dieser kommen wir ihm ein Stück näher – und damit auch besseren Therapien gegen Alzheimer. Und das ist eine gute Nachricht für uns alle.

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