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Warum du nicht immer geben musst – die Balance zwischen Helfen und Selbstfürsorge

Von Petra von Hofen

“Ich bin doch immer für alle da! Warum ist dann niemand für mich da, wenn ich mal Hilfe brauche?” Kennst du diesen Gedanken? Du gibst und gibst, opferst dich auf für Familie, Freunde und Kollegen – und fühlst dich trotzdem leer und ungeliebt.

Hier ist die Wahrheit, die niemand gerne hört: Wer immer nur gibt, ohne auch nehmen zu können, schadet nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Beziehungen. Zeit für eine ehrliche Bestandsaufnahme.

Der Mythos der selbstlosen Frau

Besonders wir Frauen lernen früh: Eine gute Frau ist selbstlos. Sie stellt ihre eigenen Bedürfnisse hinten an und sorgt dafür, dass es allen anderen gut geht. Erst die Familie, dann die Freunde, dann der Job – und irgendwann, wenn noch Zeit bleibt, vielleicht mal sie selbst.

Das Problem: Diese Rechnung geht nicht auf. Du kannst nicht dauerhaft aus einem leeren Brunnen schöpfen. Und wenn du ehrlich bist, merkst du das auch schon, oder?

Drei Typen, die wir alle kennen

Schau mal um dich: Da ist die Kollegin, die sich für jeden aufopfert und dabei immer erschöpfter wird. Der Nachbar, der nur dann auftaucht, wenn er etwas braucht. Und die Bekannte, die großzügig Geschenke verteilt, aber dabei ständig von der mangelnden Dankbarkeit der anderen enttäuscht ist.

Alle drei haben ein Problem mit der Balance zwischen Geben und Nehmen. Und vielleicht erkennst du dich in einem dieser Typen wieder.

Typ 1: Die Aufopfernde
Du gibst und gibst, bis du völlig ausgebrannt bist. Deine eigenen Bedürfnisse kennst du gar nicht mehr. Das Gefährliche daran: Ohne Klarheit über deine eigenen Wünsche und ohne die innere Erlaubnis, dir etwas zu gönnen, führt dieser Weg geradewegs in die Depression.

Typ 2: Die Nehmerin
Hier geht es nur um dich, dich und nochmal dich. Was andere brauchen, um sich mit dir wohlzufühlen, ist dir egal. Diese Haltung führt genauso in die Sackgasse – nur eben in die der Einsamkeit.

Typ 3: Die Geschenkemathematikerin
Du gibst, aber nur mit der stillen Erwartung, dass etwas zurückkommt. Du rechnest heimlich mit: “Ich war doch immer für sie da, jetzt ist sie dran!” Das Problem: Diese Rechnung bekommt nie jemand zu sehen, und die Enttäuschung ist programmiert.

Die Sache mit der unsichtbaren Rechnung

Stell dir vor, jemand würde dir ungefragt ein teures Geschenk machen und dann erwarten, dass du dich revanchierst. Würdest du dich nicht auch manipuliert fühlen? Genau das passiert, wenn wir nur geben, um etwas zurückzubekommen.

Es gibt eine alte Geschichte, die das perfekt illustriert: Ein Mann schenkt einem weisen Lehrer eine teure Decke, weil er glaubt, dass gute Taten belohnt werden. Der Lehrer gibt das Geschenk zurück und sagt sinngemäß: “Tut mir leid, aber ich bin keine Bank, bei der du einzahlen kannst, um später mit Zinsen zurückzubekommen, was du gegeben hast.”

Autsch, oder? Aber genau das machen wir oft, ohne es zu merken.


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Was echtes Geben ausmacht

Echtes Geben fühlt sich anders an. Du hilfst, weil du gar nicht anders kannst. Weil du siehst, was gerade gebraucht wird, und es dir Freude macht, da zu sein. Du freust dich selbst am meisten darüber, dass du jemandem eine Freude machen konntest.

Das ist der Unterschied: Du gibst aus der Fülle heraus, nicht aus dem Mangel. Du hilfst, weil es sich richtig anfühlt, nicht weil du dir davon etwas erhoffst.

Die Kunst des gesunden Egoismus

Hier kommt der Teil, den viele nicht hören wollen: Wer geben will, muss nehmen können. Das ist nicht egoistisch, sondern lebensnotwendig.

Du musst deine eigenen Bedürfnisse kennen und sie auch aussprechen. Nicht geäußerte Wünsche werden selten erfüllt – logisch, oder? Wie sollen andere wissen, was du brauchst, wenn du es selbst nicht weißt oder nicht sagst?

Ein Auge nach innen, ein Auge nach außen

Die gesunde Balance sieht so aus: Du achtest sowohl auf deine eigenen Bedürfnisse als auch auf die der anderen. Du siehst und spürst, was du brauchst, und lässt es die anderen wissen. Gleichzeitig siehst und spürst du, was der andere braucht, und hilfst ihm dabei, es zu bekommen.

Das ist kein Egoismus, sondern Weisheit. Denn nur wenn du selbst genug hast, kannst du anderen wirklich helfen – aus echter Freude heraus, nicht aus Pflichtgefühl oder Berechnung.

Wenn du merkst, dass deine Batterien leer sind

Es gibt einen einfachen Gradmesser: Wenn du aus deiner Fülle heraus gibst, fühlst du dich energetisiert. Wenn du aus dem Mangel heraus gibst, wirst du immer müder und erschöpfter.

Falls du dich in Letzterem wiederfindest, ist es höchste Zeit für eine Pause. Nicht aus Egoismus, sondern aus Klugheit. Ein alter Ratschlag bringt es auf den Punkt: “Wenn du kannst, hilf aus deiner Fülle, wenn nicht, schone dich.”

Das schlechte Gewissen überwinden

“Aber ich kann doch nicht einfach Nein sagen! Was denken die anderen dann von mir?” – Diesen Gedanken kenne ich gut. Hier ist die Wahrheit: Menschen respektieren dich mehr, wenn du ehrlich bist, als wenn du Ja sagst und dabei schlecht gelaunt oder überfordert bist.

Außerdem tust du niemandem einen Gefallen, wenn du hilfst und dabei innerlich grollst oder dich aufopferst. Das spüren die anderen, auch wenn sie es nicht aussprechen.

Kleine Schritte zu mehr Balance

Du musst nicht von heute auf morgen alles ändern. Fang klein an:

Schritt 1: Frag dich vor jeder Hilfszusage: “Gebe ich gerade aus der Fülle oder aus dem Mangel heraus?”

Schritt 2: Übe, deine eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen. Was würde dir gerade gut tun?

Schritt 3: Sprich einen kleinen Wunsch aus, anstatt darauf zu warten, dass andere deine Gedanken lesen.

Schritt 4: Wenn du hilfst, tu es bewusst und mit Freude – oder lass es sein.

Die Freude am echten Geben wiederentdecken

Du weißt, wie es sich anfühlt, wenn du aus vollem Herzen gibst? Diese Leichtigkeit, diese Freude, dieses Gefühl von Verbundenheit? Das ist es, was echtes Geben ausmacht.

Es geht nicht darum, weniger hilfsbereit zu sein. Es geht darum, auf eine gesunde Art hilfsbereit zu sein. Eine Art, die sowohl dir als auch den anderen guttut.

Deine neuen Leitfragen

Bevor du das nächste Mal Ja sagst, frag dich:

  • Kann ich das aus meiner Fülle heraus geben?
  • Mache ich das gerne oder nur aus Pflichtgefühl?
  • Erwarte ich eine Gegenleistung?
  • Würde ich Nein sagen, wenn ich wüsste, dass der andere nicht enttäuscht wäre?

Ehrliche Antworten auf diese Fragen helfen dir dabei, herauszufinden, ob du gerade aus der richtigen Motivation heraus handelst.

Der Weg zu erfüllteren Beziehungen

Paradoxerweise werden deine Beziehungen besser, wenn du lernst, auch Nein zu sagen. Warum? Weil dein Ja dann wieder etwas bedeutet. Weil die Menschen spüren, dass du aus echtem Herzen da bist, nicht aus Pflichtgefühl.

Und weil du selbst wieder zu Kräften kommst und aus dieser Kraft heraus viel mehr geben kannst – aber diesmal mit Freude statt mit schlechtem Gewissen.

Du verdienst es, sowohl zu geben als auch zu empfangen. Beides gehört zu einem erfüllten Leben dazu.


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