Schon vom Zusehen krank?
Wie unser Gehirn und Immunsystem auf erkältete Menschen reagieren
Kennst du das? Du sitzt in der Bahn, jemand niest zwei Reihen vor dir – und plötzlich fängt es auch bei dir an zu kribbeln. Keine Sorge, du bildest dir das nicht nur ein! Eine neue Studie der Universität Hamburg zeigt: Unser Gehirn reagiert auf den Anblick von erkälteten Menschen mit einer Art Frühwarnsystem – und das Immunsystem zieht direkt nach!
Tatsächlich steigt nach dem Ansehen von Videos mit kranken Personen nicht nur die Aktivität bestimmter Hirnregionen, sondern auch die Konzentration von Antikörpern im Speichel. Das bedeutet: Unser Körper bereitet sich auf eine mögliche Infektion vor, noch bevor überhaupt ein Erreger in unsere Nähe kommt.
Warum wir auf Niesen reagieren – auch wenn es nur ein Video ist
Über die Jahrtausende war der Mensch ständig mit Krankheitserregern konfrontiert. Wer Ansteckungsgefahren früh erkannte und mied, hatte bessere Überlebenschancen. Kein Wunder also, dass unser Körper nicht erst reagiert, wenn die Viren schon da sind – sondern sich proaktiv vorbereitet.
Diese verhaltensbasierte Immunabwehr sorgt zum Beispiel dafür, dass wir uns instinktiv vor offensichtlichen Krankheitsanzeichen ekeln: Rotzige Nasen, schwitzende Stirnen oder hustende Menschen lösen in uns ein Unwohlsein aus – das berühmte „Ihh, bloß nicht anfassen!“-Gefühl.
Doch die neue Studie zeigt: Unser Körper geht noch einen Schritt weiter – er aktiviert tatsächlich das Immunsystem, wenn wir nur beobachten, dass jemand krank aussieht.
Gehirn-Scan & Speicheltest: So wurde die Immunantwort gemessen
Um das herauszufinden, ließen Wissenschaftlerinnen der Universität Hamburg 62 Testpersonen verschiedene Videos anschauen:
📺 In manchen Clips waren gesunde Menschen zu sehen.
🤧 In anderen sahen die Teilnehmenden Personen mit typischen Erkältungssymptomen – niesend, schniefend, blass.
Währenddessen wurde mithilfe funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) die Gehirnaktivität gemessen. Gleichzeitig wurde Speichel entnommen, um die Konzentration des Immun-Antikörpers sIgA (sekretorisches Immunglobulin A) zu bestimmen.
Das Ergebnis:
- Das Gehirn schlägt Alarm: Die Insula – eine Hirnregion, die für die Wahrnehmung innerer Körperzustände zuständig ist – wurde besonders aktiv, wenn die Testpersonen erkältete Menschen sahen.
- Das Immunsystem reagiert mit: Je stärker die Insula aktiv war, desto mehr Antikörper wurden in den Speichel abgegeben.
- Die Amygdala blieb wachsam: Egal, ob krank oder gesund – immer wenn Menschen im Video zu sehen waren, zeigte die Amygdala (die „Alarmanlage“ des Gehirns) eine gesteigerte Aktivität.
Das bedeutet: Unser Gehirn erkennt nicht nur Anzeichen für eine potenzielle Ansteckung, sondern initiiert auch direkt eine Immunreaktion.
Warum fühlt man sich nach Erkältungswerbung plötzlich krank?
Kennst du das Gefühl, dass man sich kränklicher fühlt, nachdem man eine Werbung für Erkältungsmedikamente gesehen hat? Kein Wunder – dein Gehirn registriert die Bilder von leidenden, schniefenden Menschen und schickt die Information an dein Immunsystem weiter.
Es ist ein bisschen wie bei Horrorfilmen: Selbst wenn wir wissen, dass alles nur gespielt ist, reagiert unser Körper trotzdem mit Herzklopfen und Adrenalin. Das zeigt, wie stark visuelle Reize auf unser biologisches System wirken können.
Psychosomatische Effekte: Kann man sich krank denken?
Wir wissen bereits, dass Stress und negative Gedanken das Immunsystem schwächen können. Aber könnte es auch andersherum funktionieren?
Wenn allein der Anblick von Krankheitssymptomen eine Immunantwort auslöst, könnte es sein, dass unser Körper tatsächlich kränklicher reagiert, wenn wir ständig mit solchen Bildern konfrontiert sind? Und andersherum: Könnte man sein Immunsystem durch positive Bilder oder mentale Techniken bewusst stärken?
Hier steckt ein spannendes Forschungsfeld, das noch genauer untersucht werden muss.
Blick in die Zukunft: Impfungen durch Videos?
Diese Forschung könnte dazu beitragen, neue Wege zur Stärkung des Immunsystems zu finden. Wenn das bloße Sehen eines niesenden Menschen bereits eine Immunreaktion auslöst, könnte man dieses Prinzip vielleicht gezielt nutzen:
- Könnten regelmäßige „Impfvideos“ das Immunsystem anregen?
- Wäre es möglich, das Gehirn so zu trainieren, dass es bei Krankheitsanzeichen automatisch eine stärkere Immunantwort produziert?
Natürlich kann man sich nicht durch ein Video gegen Grippe immunisieren – aber das Prinzip der präventiven Immunaktivierung könnte in der Medizin noch eine große Rolle spielen.
Evolutionärer Blick: Warum reagieren wir so?
Warum hat sich dieser Mechanismus überhaupt entwickelt? Ganz einfach: Besser einmal zu oft als einmal zu wenig.
In der Evolution war es für den Menschen immer sinnvoller, eine Krankheit frühzeitig zu erkennen und darauf zu reagieren, als erst dann, wenn es zu spät ist. Wer sich zu sorglos in die Nähe von kranken Menschen begab, hatte ein höheres Risiko, selbst krank zu werden – und konnte sich schlechter fortpflanzen.
Auch Tiere zeigen ähnliche Verhaltensweisen: Affen meiden Gruppenmitglieder mit Krankheitssymptomen, und Mäuse riechen kranke Artgenossen schon aus der Ferne. Vielleicht ist unsere Reaktion auf niesende Menschen nur eine moderne Version eines uralten Schutzmechanismus.
Was bedeutet das für unseren Alltag?
Diese Erkenntnisse zeigen, dass unser Körper präventiv arbeitet:
1️⃣ Das Gehirn nimmt die Gefahr wahr. Schon das bloße Sehen eines hustenden Menschen setzt eine Reaktionskette in Gang.
2️⃣ Das Immunsystem wird aktiv. Ohne dass ein Erreger eingedrungen ist, erhöht sich die Konzentration von Antikörpern im Speichel – genau dort, wo Viren in den Körper gelangen würden.
3️⃣ Unser Körper nutzt zwei Abwehrmechanismen: Die Insula aktiviert die Immunantwort, während die Amygdala für generelle Wachsamkeit sorgt.
Das bedeutet auch: Vielleicht sollte man es sich zweimal überlegen, ob man in der Erkältungssaison mit einer überfüllten Bahn fährt oder das Büro mit hustenden Kollegen teilt.
Und gleichzeitig zeigt es, dass unser Körper mehr kann, als wir denken: Er arbeitet schon an der Abwehr, noch bevor wir selbst aktiv werden müssen.
Fazit: Dein Körper ist schlauer, als du denkst!
Also, wenn du das nächste Mal ein Video von niesenden Menschen siehst und das Gefühl hast, selbst krank zu werden – vielleicht täuschst du dich nicht ganz. Dein Immunsystem hat längst mit der Arbeit begonnen. 😉
Und wer weiß? Vielleicht gibt es in Zukunft ja sogar gezielte „Immuntrainings“, die unser Abwehrsystem auf Hochtouren bringen, noch bevor der erste Virus in der Luft liegt.
Bis dahin bleibt nur ein Tipp: Lieber nicht zu viele Erkältungs-Werbespots anschauen – oder zumindest mit einer extra Portion Vitamin C dazu! 🍊😷
Hier schreibt Jonas Weber. Mit einer Mischung aus fundierter Forschung und einem Augenzwinkern vermittelt er komplexe Themen verständlich und unterhaltsam.Wenn er nicht gerade über die neuesten Erkenntnisse aus der Gehirnforschung schreibt, findet man ihn bei einem guten Espresso, auf der Suche nach dem perfekten Wortspiel oder beim Diskutieren über die großen Fragen des Lebens – zum Beispiel, warum man sich an peinliche Momente von vor zehn Jahren noch glasklar erinnert, aber nicht daran, wo man den Autoschlüssel hingelegt hat.