Operieren auf 9300 km Distanz
Stellt euch vor, ihr müsst operiert werden. Die Operation ist selten und der einzige Spezialist sitzt in Hongkong. Kein Problem – er kann von dort aus operieren. Das ist keine Zukunftsvision, sondern schon bald Realität.
Forschenden der ETH Zürich und der chinesischen Universität Hongkong ist es erstmals gelungen, eine ferngesteuerte magnetische Endoskopie an einem lebenden Schwein durchzuführen. Die Forschenden steuerten die Sonde von Zürich aus, während das Tier in Hongkong auf dem Operationstisch lag. Mehr als 9300 Kilometer liegen zwischen dem Operationssaal in Hongkong und jenem in Zürich, von wo aus Alexandre Mesot um drei Uhr morgens das Endoskop steuert. Er blickt auf einen Bildschirm mit Live-Bildern der Operation und bewegt den Joystick eines Playstation-Controllers. Mit nur 300 Millisekunden Verzögerung fährt eine vier Millimeter dünne Sonde durch den Magen eines lebenden, aber betäubten Schweins im Operationssaal in Hongkong. Mit einer Kamera untersucht Mesot die Magenwand des Tieres und entnimmt mit einem winzigen Greifarm Gewebeproben. Der Eingriff ist die weltweit erste ferngesteuerte Endoskopie. Entscheidend für diesen Durchbruch waren zwei Dinge: ein gutes Navigationssystem mit einem magnetisch steuerbaren Endoskop und eine sichere und schnelle Internetverbindung in den Operationssaal.
Sicherheit geht vor
Der ferngesteuerte Eingriff wurde von Chirurgen in Hongkong begleitet und überwacht. Sie führten das magnetische Endoskop durch den Mund in den Magen des Schweins ein, dann übernahm Alexandre Mesot in Zürich die Navigation der Sonde. Sie ist so klein, dass sie auch beim Menschen durch die Nase eingeführt werden kann und nicht wie bei der herkömmlichen Endoskopie durch den Mund. Das ist weniger belastend, da die Patienten nicht vollständig sediert werden müssen, sondern während des Eingriffs wach sind und Feedback geben können. Das magnetische Endoskop ist potenziell auch für den Einsatz bei Kindern geeignet, wo herkömmliche Sonden zu groß sind.
Minimalinvasive Krebsvorsorge und bessere Versorgung in abgelegenen Gebieten
Professor Bradley Nelson, der die Sonde entwickelt hat, denkt bereits weiter: «Im nächsten Schritt unserer Forschung wollen wir eine Teleendoskopie des menschlichen Magens durchführen. In dieser Technologie steckt viel Potenzial. Ich denke da an minimal-invasive Eingriffe im Magen-Darm-Trakt, wie zum Beispiel Krebsvorsorgeuntersuchungen». Seine Kollegin Dr. Shannon Melissa Chan sieht das Potenzial vor allem in einer besseren chirurgischen Versorgung in Gegenden, in denen es an Chirurgen mangelt. „Aus der Distanz könnten wir sogar geschulte Krankenschwestern anweisen, die Eingriffe durchzuführen.“ Das neue Verfahren bietet erfahrenen Spezialisten die Möglichkeit, von zu Hause aus weltweit zu operieren und ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur bestmöglichen medizinischen Versorgung der Menschheit.
Foto: ETH Zürich