Psychologie

„Nur noch eine Folge … wirklich!“


Eine Studie der TH Köln zeigt, warum Serien süchtig machen – und was das über dich verrät.

Kennst du das?
Du willst um 22 Uhr ins Bett. Nur noch eine Folge.
Dann ist’s plötzlich 2:30 Uhr, du weißt nicht mehr, wo du eigentlich bist, und fragst dich:
Wie ist das schon wieder passiert?!

Herzlichen Glückwunsch – du bist nicht allein. Du bist sogar Teil eines Phänomens, das längst mehr ist als ein Zeitfresser: Bingewatching. Also Serien nicht einfach nur schauen – sondern verschlingen. Am Stück. Ohne Gnade. Und meist ohne Schlaf.


TH Köln wollte es genauer wissen

Ein Forschungsteam rund um Prof. Dr. Christian Zabel vom Schmalenbach Institut der TH Köln hat in einer umfangreichen Online-Befragung mit rund 2.000 Teilnehmenden untersucht, wer warum wie binge-watcht – und was Serien eigentlich so unwiderstehlich macht.

Und siehe da: Es liegt nicht (nur) an deiner fehlenden Selbstdisziplin.


Dunkel, düster, Drama bitte!

Die Studie zeigt: Besonders binge-tauglich sind Serien mit düsterem Tonfall, spannenden Handlungssträngen über mehrere Folgen hinweg – und so wenig Alltag wie möglich.
Je mehr Eskapismus, desto besser.
Je mehr Cliffhanger, desto kürzer die Snackpausen.

Formate wie Crime, Fantasy und Drama landen ganz vorn.
Weniger beliebt fürs Dauersehen: Familienserien, Horror, animierte Formate – und alles, was mit Sport zu tun hat. (Sorry, Darts-Fans.)


Weitere Themen:


Und was hat das mit dir zu tun?

Ganz schön viel, sagt Prof. Zabel. Denn:
Wer binge-watcht, sucht oft mehr als nur Unterhaltung.

Die Studie zeigt eine klare Verbindung zu bestimmten Persönlichkeitstypen – vor allem zu denen, die:

  • Spaß und Genuss in den Vordergrund stellen (Stichwort: Hedonismus)
  • dem Alltag entfliehen wollen (Stichwort: Eskapismus)
  • nicht unbedingt etwas über Politik oder Weltgeschehen lernen möchten (sorry, „Tagesschau24“)

Kurz gesagt: Wer am liebsten in andere Welten eintaucht, um mit der eigenen kurz Pause zu machen, ist prädestiniert für Serienexzesse.


Die wichtigste Erkenntnis?

Es liegt aber nicht nur an dir – es liegt auch an der Serie.

Die Forscher:innen haben nämlich analysiert, wie stark Serien durch ihren Aufbau selbst zum Weitergucken verführen:
Wenn ein Cliffhanger auf den nächsten folgt, wenn kein Handlungsteil abgeschlossen wird, wenn man nie weiß, ob der Hauptcharakter überlebt – dann klickt man eben nicht auf „Stopp“, sondern auf „Nächste Folge“.

Der Streamingdienst fragt sogar noch freundlich:
„Bist du noch da?“
Die bessere Frage wäre:
„Bist du noch bei dir?“


Und wie schlimm ist das jetzt?

Tja, es kommt drauf an.

Wenn du ab und zu eine Staffel durchsuchtest, aber trotzdem weißt, wie deine Zahnbürste aussieht – alles gut.
Wenn aber Schlaf, Job, Freunde oder die eigene Ernährung dauerhaft unter dem Binge-Verhalten leiden, solltest du mal innehalten.

Zabel und sein Team konnten immerhin 43 % des Bingeverhaltens statistisch erklären – ein erstaunlich hoher Wert für eine sozialwissenschaftliche Studie.
Was fehlt? Faktoren wie familiäre Situation, psychische Verfassung, tägliche Freizeit – also all das, was sich eben nicht in einer Zahl ausdrücken lässt.


Was lernen wir daraus?

  1. Bingewatching ist menschlich.
    Du bist kein Serienopfer, du bist ein Bedürfniswesen auf der Suche nach Spannung, Ablenkung oder Trost.
  2. Serien sind cleverer gebaut als du denkst.
    Sie wollen dich festhalten – mit Musik, Tempo, Storytelling. Es ist kein Wunder, dass du dranbleibst.
  3. Du darfst genießen – aber auch Grenzen setzen.
    Frag dich ruhig mal:
    „Will ich das jetzt wirklich sehen – oder will ich gerade nur was nicht fühlen?“
    Und vielleicht noch:
    „Was hätte ich in der Zeit eigentlich gebraucht?“
    (Antworten reichen von Schlaf über Nähe bis Gemüse.)

Also?

Bingewatching ist keine Schwäche, sondern ein modernes Phänomen, das viel über unsere Zeit und unsere Bedürfnisse erzählt.
Es geht um Kontrolle – und Kontrollverlust, um Genuss – und Gewohnheit, um Realität – und Flucht.

Oder wie ich’s sagen würde:

Wenn du am Ende einer Serie nicht weißt, wo du bist – vielleicht ist es Zeit, wieder bei dir selbst einzuschalten.




Hier schreibt Jonas Weber vom Minerva-Vision-Team. Mit einer Mischung aus fundierter Forschung und einer Portion Humor vermittelt er komplexe Themen verständlich und unterhaltsam.Wenn er nicht gerade über die neuesten Erkenntnisse aus der Gehirnforschung schreibt, findet man ihn bei einem guten Espresso, auf der Suche nach dem perfekten Wortspiel oder beim Diskutieren über die großen Fragen des Lebens – zum Beispiel, warum man sich an peinliche Momente von vor zehn Jahren noch glasklar erinnert, aber nicht daran, wo man den Autoschlüssel hingelegt hat.


Teilen