
Geduld und ein bisschen Mehl
„Weißt du, was das Geheimnis ist?“, fragte meine Oma, während sie mit einem schweren Holzlöffel in einem emaillierten Topf rührte. Ich saß auf der Küchenzeile, die Beine baumelnd, ein bisschen Mehl im Haar und den süßen Geschmack rohen Keksteigs auf der Zunge. Ich war vielleicht sieben oder acht, aber ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen.
Omas Küche roch nach Vanille und Bohnerwachs. Auf dem Tisch lagen Plätzchenausstecher in Form von Herzen, Sternen und Tannenbäumen. An den Fenstern klebte Kondenswasser. Und an unseren Schürzen – Mehl. Viel Mehl. Unsere gemeinsame Uniform, wenn man so will. „Geduld“, sagte sie dann. Und meinte damit nicht nur den Teig, der noch ruhen sollte. Sie meinte das Leben.
Ich verstand das damals nicht. Für mich war Geduld das, was man üben musste, wenn man auf Weihnachten wartete. Oder auf die erste gebackene Ladung, die aus dem Ofen kam. Geduld bedeutete: Warten, während es herrlich duftet, aber du nichts anfassen darfst. Eine Zumutung! Heute weiß ich, was sie meinte. Es ging ihr nie um die Kekse. Es ging ums Maßhalten. Ums erst denken, dann handeln. Darum, nicht immer sofort alles zu wollen, nicht gleich auf alles zu reagieren, was einen reizt. Sondern um das ruhige, kluge Abwägen, das in der Küche beginnt und sich leise ins ganze Leben zieht.
Und sie hatte recht. Geduld macht glücklich. Das sagen jetzt sogar die Psychologen. Menschen, die nicht alles übers Knie brechen, die Dinge ruhen lassen können, sich selbst nicht ständig antreiben – sie sind zufriedener. Und, man glaubt es kaum: Sie brennen seltener aus. Weil sie wissen, dass manches einfach Zeit braucht. Ein guter Hefeteig. Ein klärendes Gespräch. Eine Entscheidung, die nicht von Angst, sondern von Reife getragen ist. Meine Oma hat das nie theoretisch erklärt. Sie hat es einfach vorgelebt. Und ich, die Ungeduldige, habe es ihr irgendwann abgeschaut. Nicht immer. Aber oft.
Wenn ich heute backe, höre ich sie manchmal noch: „Nicht so hastig. Der Teig merkt das.“ Und ich denke mir: Das Leben merkt es auch. Wenn man zu schnell ist. Zu hart. Zu ungeduldig. Dann schalte ich das Handy aus, schiebe das Blech in den Ofen – und warte. Auf das Knistern, den Duft, das leise Aufgehen. Und manchmal denke ich, dass zwischen Vanillekipferl und Zimtsternen mehr Lebensweisheit steckt, als in so manchem Ratgeberregal.
.