Jammerläppchen …
Mein Leben mit MS:
Hallo und herzlich willkommen bei MS-Voices! Ich bin Irene, und hier dreht sich alles um das Leben mit Multipler Sklerose (MS). Als ich vor einigen Jahren die Diagnose erhielt, hat sich mein Alltag auf den Kopf gestellt – und ich war plötzlich mit unzähligen Fragen, Ängsten und Herausforderungen konfrontiert. In diesem Blog möchte ich meine persönlichen Erfahrungen mit euch teilen und Menschen eine Stimme geben, die unter MS leiden. Wie ist das wirklich, mit MS zu leben? Wie verändert es den Alltag, die Beziehungen und die Zukunftsplanung? Hier gibt es ehrliche Einblicke, praktische Tipps und die ein oder andere Anekdote aus meinem Leben – direkt aus dem Herzen einer Betroffenen.
Infektionen mit MS machen Angst
Es ist nicht zu fassen! Es ist nicht zu fassen, dass mich eine simple Erkältung, ein grippaler Infekt so dermaßen lahm legt. Im wahrsten Sinne des Wortes. Angesichts meiner Diagnose müsste ich eigentlich lachen. Aber mir ist alles andere als zu Lachen zumute. Ich fühle mich hundeelend.
Und ich möchte heute einfach mal jammern. Zumindest ein bisschen. Ein bisschen Mitleid für mich und ich will das „Dreimal Pusten – Heile, Heile Gänschen; es wird alles wieder gut“-Programm.
Ich habe heute keine Lust stark zu sein. Ich will, dass ich bepöngelt werde, mein Schatz mir extra seine geniale Hühnersuppe kocht (alles frisch natürlich – bis auf den Gockel, denn dessen Geist weilt bereits irgendwo im Nirwana). Die Nachfragen „Schatz, ist alles gut?“, „Hast du alles?“, „Kann ich dir noch was bringen?“, „Hast du Lust auf ein Eis oder soll ich dir meinen Schokopudding mit Birnenstückchen machen?“ – ja, genau das brauche ich eigentlich heute.
Aber das Leben ist nun mal kein Wunschkonzert.
Schatz hat mir heute morgen, bevor er zur Arbeit gefahren ist, eine Kanne frisch aufgebrühten Tee hingestellt, zwei Äpfel aufgeschnitten und in kleine Schnitze aufgeteilt (natürlich ordentlich abgedeckt), zwei Butterbrote mit meiner Lieblings-Marmelade geschmiert und einen Zettel dazugelegt: „Schatzemaus, ich liebe dich! Schone dich. Bis heute Abend. Kuss …“. Und wenn ich ehrlich bin, habe ich keinen Grund zu jammern. Ich habe den besten Mann der Welt an meiner Seite! Da räume ich dieser bekloppten Erkältung doch gar keine Wichtigkeit ein.
Pfff … Ein paar Tage und alles ist wieder gut.
Trotz allem macht mir diese Erkältung ein bisschen Angst. Ich habe, glaube ich zumindest, zwei Köpfe, fiese Halsschmerzen; ich bin total verrotzt, huste wie der Hund von Baskerville und wenn ich Luft hole, könnte man meinen, der Teekessel pfeift, weil das Wasser kocht. Soweit nichts anderes als eine heftige, aber gewöhnliche Erkältung.
Ich habe jetzt nur das Problem, dass Schubsymptome auftauchen.
Meine ganze rechte Körperhälfte fühlt sich an, als würde ich, von meinen Füßen bis knapp unter die Brust in einem Ameisenhaufen stehen. Diese Sensibilitätsstörung macht mich völlig närrisch, weil ich in meinen Fingerspitzen immer wieder ein regelrecht taubes Gefühl habe. Das Ganze kommt in Wellen: rauf und runter. Kurze Pause und dann von unten nach oben. Kein Zentimeter meiner rechten Körperhälfte wird ausgelassen. Die Harninkontinenz lässt sich verstärkt blicken und ich muss fast alle 30 Minuten auf die Pipi-Box. Natürlich kommt nicht viel. Immer nur ein bisschen, aber das reicht, dass es ins Höschen geht, wenn ich nicht schnell genug bin. Ich habe massive Gleichgewichtsprobleme und manchmal drehe ich regelrechte Pirouetten, wenn ich in der Wohnung laufe. Nur, dass keiner applaudiert. Mein rechter Fuß macht mir vermehrt Probleme; ich kann ihn nicht richtig heben und muss höllisch aufpassen, dass ich ihn ordentlich und bewusst auf dem Boden aufsetze, um nicht zu stürzen. Mein rechtes Augenlid zuckt manchmal bis zu 10 Minuten lang, ohne dass ich Einfluss nehmen kann. Aber ehrlich gesagt kann ich das bei keinem dieser Symptome. Ich muss es einfach passieren lassen und das ist es, was mir vor allem psychisch Probleme bereitet. Diese Hilflosigkeit.
Mit MS bekommst du einfach schnell Panik
Wäre ich nicht jetzt schon „ein Alter Hase“ in Sachen meiner Diagnose MS würde ich in Panik ausbrechen und bei meinem Neurologen auf der Matte stehen. So war ich bei meiner Hausärztin, die mir ein Antibiotikum verschrieben hat, damit sich nicht noch irgendein Bakterium in mir einnistet, was dann wirklich für eine entzündliche Reaktion im Körper sorgen und somit einen Schub auslösen könnte. Studien belegen das: Grippe, Erkältung, Blasenentzündung, ein Magen-Darm-Infekt oder andere Infektionskrankheiten können dazu führen, dass sich MS-Symptome verschlechtern. Das sind dann die sogenannten Pseudo-Schübe. Normalerweise sagt man, dass es sich um einen Schub handelt, wenn die Symptome länger als 48 Stunden anhalten. Ich denke aber, dass sich mit dem Abklingen der Erkältung alles wieder beruhigt.
Für mich heißt das, dass ich mich gerade im Herbst ziemlich zurückhalte, was Begegnungen mit anderen Menschen angeht. Nicht, weil ich menschenscheu bin. Ich versuche nur, das Risiko einer Infektion möglichst gering zu halten. Da ich allerdings auf den Bus angewiesen bin ist das natürlich ziemlicher Blödsinn. Irgendwann erwischt es mich dann doch. So wie jetzt.
Was heißt das jetzt für mich?
Schonen, mich beobachten und abwarten. Wenn die Symptome nach Abklingen der Erkältung immer noch vorhanden sind, dann ist immer noch Zeit bei meinem Neurologen vorzusprechen. Allerdings weiß ich auch, was dann folgen wird: Einweisung in die neurologische Abteilung eines Krankenhauses und Start der Kortison-Stoßtherapie: fünf Tage lang 1000 mg Kortison intravenös – mit allem Drum und Dran…
Daran will ich jetzt aber nicht denken und werde mir das Schälchen mit den liebevoll geschnittenen Apfelschnitzen holen, Tee nachgießen und es mir samt Kuscheldecke und Lesestoff auf dem Sofa halbwegs erträglich machen. In fünf Stunden komm mein Schatz nach Hause und darauf freue ich mich. Vielleicht pustet er dann ja drei mal und sagt „Heile, heile Gänschen…“; mehr brauche ich nicht.
Welche Strategie hast du, um mit Infektionen so gut wie möglich zu umgehen?
Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, diesen Beitrag zu lesen! Ich hoffe, dass meine Erfahrungen dir ein Stück Klarheit oder Ermutigung schenken konnten. Als ich die Diagnose MS bekam, fühlte ich mich oft allein und überfordert. Genau deshalb habe ich ein Buch geschrieben, das ich selbst damals so dringend gebraucht hätte. „Spring, damit du fliegen kannst.: Ein Selbsthilfe-Ratgeber für MS-Erkrankte und ihre Angehörigen.“ Es ist bei Minerva-Vision erschienen. Wenn du Interesse hast, schau es dir gerne an – vielleicht ist es genau das, was auch dir weiterhelfen kann. Oder hör dir meinen Podcast „MS-Voices“ an. Bis zum nächsten Mal!
Du hast auch MS und möchtest mit mir in meinem Podcast darüber sprechen? Dann schreib mir eine Mail an: redaktion@minerva-vision.de.