Gesundheit

Ein geheimes Training für das Babygehirn?

Stell dir vor, du könntest dein Baby bereits vor der Geburt so trainieren, dass es klüger wird. Klingt wie Science-Fiction? Von wegen!  

Kluge Menschen verändern die Welt. Stimmt. Und deshalb haben kluge Kinder größere Chancen, im Leben glücklich und erfolgreich zu werden. Spielend leicht gleiten durch die Schule, das Wissen fliegt ihnen nur so zu und musikalisch sind sie auch noch. Das Leben ist für sie eine bunte Wundertüte voller Angebote. Und Überforderung? So, wie wir Normalsterbliche sie kennen? Ein Fremdwort. 

Kein Wunder, dass wir uns über Intelligenz derart den Kopf zerbrechen. Denn sie ist unberechenbar. Warum ist Lene Klassenbeste, ihr Zwillingsbruder Timo aber musste schon in der Grundschule einmal wiederholen? Vererben tut sie sich auch nicht. Ausgesprochen kluge Eltern verzweifeln oft an der Einfalt ihres Nachwuchses. Und deshalb macht uns Intelligenz ehrfürchtig, sie gilt deshalb als Geschenk. Oder, wie meine Oma es immer sagte: „Manche haben es, andere nicht.“ Das könnte sich ändern. Was also ist es, was dem Gehirn von Babys im Mutterleib bereits einen Kick gibt? Was können wir tun, die Begabung unserer noch nicht geborenen Kinder zu optimieren?

Hormone machen klug 

Die Antwort liefert eine Hormongruppe. Und zwar Glukokortikoide. Der Körper schüttet sie dann aus, wenn unser Gehirn „Alarm“ ruft – also wenn wir im Stress sind. Die kleinen Muntermacher wirbeln in unserem Körper umher und sorgen dafür, dass unser Stoffwechsel auf Hochtouren läuft und auch das Immunsystem hellwach ist. Denn evolutionstechnisch lebt unser Gehirn noch in der Steinzeit und warnt uns gerade vor dem Säbelzahntiger, der gerade um die Ecke kommt. Deshalb schiebt es mit den Glukokorikoiden unsere Leistungsbereitschaft in schwindelnde Höhen – schließlich hängt unser Überleben davon ab, in den nächsten Minuten absolute Höchstleistung zu bringen. Eines der bekanntesten dieser Hormone ist Cortisol. Diese Hormone können von der Mutter auf den Fötus übertragen werden und haben eine bemerkenswerte Wirkung auf seine Gehirnentwicklung, sagt Anthi C. Krontira vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie.

Frühe Einflüsse auf die Gehirnentwicklung

    Hat der Fötus in der frühen Schwangerschaft eine Reihe von Glukokortikoide-Dosen, ist das wie Dünger fürs Hirn.  „Wir fanden heraus, dass Glukokortikoide, wenn sie früh in der Schwangerschaft im ersten oder frühen zweiten Trimester verabreicht werden, die Anzahl eines bestimmten Typs von Gehirnzellen erhöhen“, erklärt Anthi C. Krontira, die die Studie leitete. Der Fötus bekommt also viel mehr basale Vorläuferzellen, als er normalerweise entwickeln würde. Diese Zellen sind entscheidend für das Wachstum der Großhirnrinde, die das Zentrum unseres Denkens darstellt. 

    Gab es Versuchsbabys?

      Nein. Das wäre ja auch unmenschlich. Um diese Zusammenhänge zu verstehen, nutzten die Wissenschaftler ein Gehirnmodell im Labor. Aus menschlichen Haut- und Blutzellen züchteten sie also in der Petrischale ein Gehirn in den verschiedenen Entwicklungsstadien und testeten, was das Wachstum wann fördert und was es behindert. Der Grund, warum Glukokortikoide wirken heißt ZBTB16. Das ist ein Protein, das Nervenzellen wachsen lässt. Viel ZBTB16 führt in direktem Zusammenhang zu einem anderen Gehirn. Zu einem besseren. Menschen mit diesem Gehirn haben später bessere Schulabschlüsse, erreichen höhere Karrierestufen und sind beruflich erfolgreicher.  

      „Stresshormone könnten langfristig die kognitiven Fähigkeiten und das Bildungsniveau eines Kindes verbessern.“

      Der richtige Zeitpunkt ist entscheidend

        Nun wirkt der Gehirn-Dünger aber nicht immer. Im Grunde genommen wachen die Gehirnzellen nur zu bestimmten Zeiten wirklich gut. Und zwar früh in der Schwangerschaft. Später schadet es mehr als es nützt. Dies hängt mit der Neurogenese zusammen, dem Prozess der Bildung von Nervenzellen aus Vorläuferzellen, der in der frühen, aber nicht in der späten Schwangerschaft aktiv ist. “Wir haben festgestellt, dass Glukokortikoide in der frühen Schwangerschaft die Anzahl der Vorläuferzellen und Neuronen erhöhen, was mit vorteilhaften Auswirkungen für die Nachkommen wie zum Beispiel verbesserten kognitiven Fähigkeiten einhergeht”, erklärt Krontira. Dieselben Ergebnisse wären mit Glukokortikoiden in der Spätphase der Schwangerschaft nicht mehr möglich, da dann die Produktion von Neuronen aus Vorläuferzellen nicht mehr stattfindet. Während also früh in der Schwangerschaft verabreichte Glukokortikoide positive Auswirkungen auf die Gehirnentwicklung haben, können dieselben Hormone im dritten Trimester negative Effekte verursachen, wie den Verlust neuronaler Verbindungen und ein erhöhtes Risiko für psychiatrische Störungen. „Unsere Studie zeigt, dass dieselben Hormone, wenn sie früh in der Schwangerschaft verabreicht werden, eine gegenteilige Wirkung haben können“, betont Krontira.

        Langzeitstudien zu Klugheit

          Langzeitstudien bestätigen die positiven Auswirkungen von Glukokortikoiden auf die kognitiven Fähigkeiten der Kinder. Diese Studien verfolgen Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft Glukokortikoide erhalten haben, über Jahre hinweg. Eine bemerkenswerte Langzeitstudie wurde von Forschenden des Max-Planck-Instituts durchgeführt und in der renommierten Zeitschrift Neuron veröffentlicht. Die Studie untersuchte über mehrere Jahre hinweg die kognitiven Fähigkeiten von Kindern, deren Mütter in der frühen Schwangerschaft Glukokortikoide erhalten hatten. Die Ergebnisse zeigten, dass diese Kinder im späteren Leben ein signifikant höheres Bildungsniveau und bessere kognitive Fähigkeiten aufwiesen. (Quelle: Krontira et al., Human cortical neurogenesis is altered via glucocorticoid-mediated regulation of ZBTB16 expression, Neuron (2024))

          Fazit: Wird die Menschheit immer klüger?

            “Unsere Forschung deckt auf, wie Glukokortikoide die Entwicklung des menschlichen Kortex auf zellulärer und molekularer Ebene beeinflussen und welche Folgen das für die kognitiven Fähigkeiten und die Gehirnstruktur im späteren Leben haben kann”, fasst Institutsdirektorin Elisabeth Binder zusammen. Das Wissen um diese frühesten Entwicklungsprozesse ist bedeutsam, da es therapeutische Ansätze in einem so frühen Stadium der menschlichen Entwicklung über die Mutter ermöglichen könnte. Werden Stresshormone, richtig dosiert und zum richtigen Zeitpunkt verabreicht, könnte das Baby klüger werden. Nun, die Menschheit kann bereits auf den Mond fliegen – eine schwangere Frau ist aber immer noch ein medizinisches Mysterium. Diese Ergebnisse zeigen, wie wenig wir bisher über die Entwicklung des Menschen wissen und wie wichtig die richtige Balance und der richtige Zeitpunkt in der Schwangerschaft sind.

            Originalpublikation: Krontira et al., Human cortical neurogenesis is altered via glucocorticoid-mediated regulation of ZBTB16 expression, Neuron (2024), https://doi.org/10.1016/j.neuron.2024.02.005

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