
Du spürst dich – lange bevor du dich erinnern kannst
Was Babys über sich selbst wissen – und warum ihr Herz dabei eine wichtige Rolle spielt
Du erinnerst dich wahrscheinlich nicht an deinen ersten Herzschlag. Nicht an deine erste Atmung. Nicht an das Gefühl, als du das erste Mal Hunger hattest – oder gestillt wurdest. Aber dein Körper erinnert sich. Denn schon lange, bevor du „Ich“ sagen konntest, hast du dich gespürt.
Nicht mit Worten, sondern mit Herz, Haut und Atem. Forscher der Uni Wien zeigten, dass Babys schon mit drei Monaten ihren eigenen Herzschlag wahrnehmen. Und noch bevor sie „Mama“ sagen, entwickeln sie ein Gefühl für ihren Atemrhythmus. Das ist kein esoterischer Schnickschnack – das ist Wissenschaft. Und vielleicht der Schlüssel zu unserem Selbstgefühl.
Der erste Sinn, den du brauchst, ist dein innerer
Wir sprechen oft über die fünf Sinne – Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten. Aber es gibt noch einen, der viel früher beginnt: Den sechsten Sinn für dich selbst. Wissenschaftlich heißt das „interozeptive Wahrnehmung“ – also das Spüren deiner inneren Zustände. Dein Puls. Dein Atem. Deine Körpertemperatur. Dein Bauchgefühl. Und genau diese Signale sind die erste Sprache, die dein Gehirn lernt zu deuten.
Bevor du mit anderen kommunizieren kannst, musst du dich selbst erkennen.
„Ich bin da“ – beginnt nicht im Kopf, sondern in der Brust.
Babys können sich nicht erklären – aber sich erleben
Die Wiener Forscher ließen kleine Kinder animierte Figuren anschauen – die sich entweder im Takt des Herzschlags bewegten oder ganz bewusst versetzt. Und siehe da: Die Babys blickten länger auf die Figuren, die sich synchron zu ihrem Herzschlag oder Atemrhythmus bewegten.
Das bedeutet: Sie haben erkannt: „Das da draußen passt zu mir.“ Und das ist der erste Schritt in Richtung Ich-Bewusstsein.
Warum das so wichtig ist – für dein ganzes Leben
Das frühe Spüren des eigenen Körpers ist nicht nur eine Kindersache. Es ist die Basis für alles, was später kommt:
- Wie du mit Emotionen umgehst
- Wie gut du Stress regulierst
- Wie du soziale Bindungen erlebst
- Wie du dich in deinem Körper zu Hause fühlst
Wenn du deinen Herzschlag spürst, kannst du auf dein Inneres hören. Wenn du deinen Atem bewusst wahrnimmst, kannst du dich beruhigen.
Und wenn du deinen Körper akzeptierst, wird es auch leichter, dich selbst zu mögen.
Körperwahrnehmung schützt – auch später
Menschen mit guter Körperwahrnehmung haben mehr Resilienz. Sie können sich besser regulieren, weil sie früh merken, wann etwas aus dem Gleichgewicht gerät. Sie sind achtsamer, weniger anfällig für Angststörungen, Depressionen oder Essstörungen. Deshalb ist diese Forschung auch so relevant für die Zukunft: Sie zeigt, wie wichtig es ist, dass Kinder lernen dürfen, sich selbst zu spüren – nicht nur Rechnen, Schreiben oder Vokabeln.
Deine Rolle als Mutter, Vater, Oma, Onkel, Pädagogin?
Ganz einfach: Sei präsent.
- Halte das Kind auf dem Arm
- Atme ruhig – Babys synchronisieren sich mit dir
- Sprich mit ihm – auch wenn es noch nichts sagen kann
- Sei Resonanzkörper für das kleine Wesen, das noch keine Worte hat, aber ein ganz feines Gespür
Denn was Kinder in diesen Momenten lernen, ist kein Wissen. Es ist Sicherheit. Ein inneres „Ich bin richtig. So wie ich bin.“
Und was bedeutet das für dich heute?
Vielleicht bist du längst erwachsen. Vielleicht spürst du deinen Körper nur noch, wenn er schmerzt. Vielleicht hast du gelernt, dein Inneres zu übergehen, um zu funktionieren. Dann ist dieser Text auch eine Einladung an dich: Komm zurück. Zu dir. Du hast diesen Sinn nicht verloren. Er ist nur leise geworden. Aber dein Herz schlägt. Dein Atem fließt. Und dein Körper wartet nur darauf, dass du wieder zuhörst.
Was nehmen wir mit?
Du musst kein Baby sein, um dich wieder neu zu entdecken. Aber du kannst von Babys lernen: Wie man präsent ist. Im Moment. Im Körper. In sich.Oder wie ich’s sagen würde: Du wohnst im Körper – und dein Herzschlag ist der Schlüssel zur Tür.“.
Hier schreibt Jonas Weber vom Minerva-Vision-Team. Mit einer Mischung aus fundierter Forschung und einer Portion Humor vermittelt er komplexe Themen verständlich und unterhaltsam.Wenn er nicht gerade über die neuesten Erkenntnisse aus der Gehirnforschung schreibt, findet man ihn bei einem guten Espresso, auf der Suche nach dem perfekten Wortspiel oder beim Diskutieren über die großen Fragen des Lebens – zum Beispiel, warum man sich an peinliche Momente von vor zehn Jahren noch glasklar erinnert, aber nicht daran, wo man den Autoschlüssel hingelegt hat.