Der Weihnachtsengel
Moin Miau, hier ist wieder Kater Socke.
„Das willst du doch nicht wirklich aufstellen?“ Der Mensch deutete auf eine pummelige, grellbunt bemalte Plastikfigur mit Flügeln.
„Den Engel hat uns Tante Gundula geschenkt und wie du weißt, kommt sie heute zum Weihnachtsessen.“ Oh, nein. Die blöde Gundula, die hatte mir gerade noch gefehlt und ausgerechnet zu Weihnachten! Der Mensch war der gleichen Meinung und tat das lautstark kund, wurde aber unterbrochen, weil in der Küche etwas piepte. Mit den Worten „das sind meine Vanillekipferl“ verschwand die Menschin.
Kaum war sie draußen, schnappte sich ihr Mann die Figur. „Das ist eine Beleidigung fürs Auge“, teilte er mir mit. „Schlimm genug, dass Tante Gundula uns heute Gesellschaft leistet. Diesen Engel brauchen wir nicht auch noch.“ Damit ging er aus dem Zimmer. Ich überlegte noch, ob ich ihm oder der Menschin folgen sollte, als er schon die Treppe hinuntereilte.
Damit war meine Entscheidung gefallen. Der Keller war für mich tabu und deshalb noch interessanter als die Küche.
Unten angekommen, öffnete der Mensch einen Schrank, in dem sie alles aufbewahren, was „eigentlich wegkann“.
Da lag also der Akkuschrauber, der bei der Reparatur meines Kratzbaums den Geist aufgegeben hatte. Während der Mann einen Platz für den Engel freiräumte schlüpfte ich tiefer in den Schrank. In der Ecke fand ich das Weihnachtsmannkostüm, das ich vor vielen Jahren in Fetzen gelegt hatte. Ich bettete mich probehalber auf den dazugehörigen Rauschebart und schloss kurz die Augen…
Als ich sie wieder öffnete, war es dunkel und die Schranktür zu. Ich war eingesperrt.
Das konnte doch nicht wahr sein! Und das alles wegen der blöden Gundula und ihrem hässlichen Engel!
„MIAUUUU!“, versuchte ich auf mich aufmerksam zu machen. Mehrfach! „MIAUUUU!“
Irgendwann würden sie mich doch wohl suchen, oder?
Aber wann? Und wo? Der Mensch hatte nicht mitbekommen, dass ich ihn in den Keller begleitet hatte. „MIAUUUU!“ Nichts passierte! Womöglich saßen sie oben schon beim Weihnachtsessen mit Gundula und hatten mich vergessen? Apropos Essen, Hunger hatte ich auch. Ich kratzte an der Schranktür, versuchte irgendwelche Dinge umzuwerfen, polterte gegen das Regalbrett über mir. Nichts!
So hatte ich mir Weihnachten nicht vorgestellt. Ich würde verhungern. Irgendwann, vielleicht in einem Jahr, würden sie mein Skelett finden. Ob sie sich dann noch an mich erinnern würden? Wo sie es sich nicht mal merken konnten, wann sie mich zu füttern hatten?
Entkräftet legte ich mich auf den Nikolausbart und malte mir aus, wie sie da oben jetzt die Weihnachtsgans verspeisten und sich freuten, nicht mit mir teilen zu müssen…
„Socke! Da bist du ja! Wir haben dich schon überall gesucht.“ Die Menschin sah mich, wie es schien, erfreut an. Sie griff nach dem Weihnachtsengel. „Komm schnell mit nach oben, Tante Gundula muss jeden Moment da sein.“
Dieser Artikel stammt aus Our Cats – dem etwas anderen Katzenmagazin. Mit allen Themen, die Katzenliebhaber beschäftigen – und mehr.
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