Kolumne

Wir sind Schulboxer- Pausenaufsicht

– mit Hund.

So gesehen … | Die Kolumne von Anna Maria Ram.

Ein Hund an einer Brennpunktschule mit hoher Migrationsdichte?

Aus dem Tierschutz? Das geht nicht, niemals!

Oder doch?

„Die anderen sind eh schlauer als uns!“, schimpft Paula, Neuntklässlerin, auf dem Pausenhof über die Jugendlichen der gegenüberliegenden Privatschule und nimmt mir vorsichtig die Leine unserer Schulhündin Inka, dreijähriger Bollerkopf aus dem spanischen Tierschutz, aus der Hand.

„Kann ich mit Inka kurz eine Runde drehen, zum Chillaxen?“

„Gönn dir!“, entgegne ich und scanne aus den Augenwinkeln die Talahons der siebten Klasse, die sich am Eingangstor zu schaffen machen.

„Ball kommt!“, trötet es hinter mir und eine grotesk deformierte Caprisonnenpackung segelt haarscharf an uns vorbei, was Inkas Aufmerksamkeit erregt und sie mit der juchzenden Paula im Schlepptau quer durch die Fahrradständer im Zick Zack Kurs darauf nimmt.

Szenen unseres Schulhofes am Rande eine Großstadt. Fast schon andächtig lehne ich mich im aufkommenden Stimmgewirr der multikulturellen Fluchtiraden gegen das mit Rechtschreibfehlern versehene Grafitti am Haupteingang und atme tief ein.

„Alter, was das, was sagst du über meine Mutter!“

„Isch geb dir deine Mutter!“

„Hat jemand meinen Lipgloss gesehen?“

Inka hat unterdessen die mitnichten hoch verdächtige Caprisonne gestellt und sich vorbildlich, zur feierlichen Leckerli- Übergabe bereit, daneben gesetzt. Paula grinst und versucht weiterzugehen, Inka legt ihr freundlich mahnend, frei nach dem Motto: „Dieses Geschäft ist noch nicht beendet!“, die Pfote auf den Fuß und starrt sie in Gerichtsvollzieher- Manier eindringlich an.

„Paula, es blinkt, kommt ihr bitte?“, versuche ich mich zu lösen und kassiere im Vorbeigehen noch rasch zwei gefälschte I-Phones, drei Packungen Melonenkaugummi, zwei Lipgloss und jede Menge andere Dinge, die ein Hauptschüler so zum Überleben braucht, ein. Trampelnde Füße und auslaufende Rap-Songs zischen, gepaart mit einem verstörendem Aftershave Duft und dem Geruch von Knoblauchsalami an mir vorbei, während ich versuche Paula und Inka nicht aus den Augen zu verlieren.

„Ähm, könntet ihr…darf ich!“, presse ich mich mühsam zwischen den wesentlich größeren Hauptschülern durch. 

„Oha, Frau Rambo, lasst die mal durch!“, kommt mir jemand zur Hilfe und ich stehe schließlich oben auf dem Treppenabsatz mit dem Schlüssel in der Hand, wie eine Gefängniswärterin beim Einschluss.

„Alle mal herhören!“, rufe ich aus den Untiefen meiner Lehrerbrust, „gesucht wird ein weiblicher Boxerhund, gestromt, hört auf den Namen Inka und eine blonde Schülerin mit der Leine in der Hand, hört auf den Namen Paula!“. Gemurmel auf dem Treppenabsatz, einige fangen an ihre Hausaufgaben noch schnell abzuschreiben, Keksriegel werden konspirativ hin- und hergeschoben, ein Kollege hinter mit im Gang klopft genervt gegen die von mir verschlossene Tür. „Niemand?“, mahne ich mit akrobatisch erhobenen Augenbrauen.

„Was ist eine Strom- Paula mit Boxer?“, will jemand wissen und fischt sein Handy heraus um „Schtrohm-Baula“ einzugeben, „Alter, ich hab kein Guthaben mehr, können Sie mir Hotspot geben, Frau Rambo?“. Ich hatte die Idee gehabt, dass der Schulhund Ruhe und Rücksicht stimuliert. Aktuell empfinde ich eher das Gegenteil. Und Hunger, wegen der Keksriegel und der Knoblauchsalami.

„Ey, kommt wir gehen suchen, walla, Frau Rambo, wir finden die!“, beschließen plötzlich drei weitere Schulabhänger und poltern die Eingangstreppe herunter. Der Herdentrieb kickt sofort und alle rennen hinterher, wie Zebras zum Wasserloch. Mein Herz galoppiert im Takt ihrer Schritte mit. Wo zur Hölle ist Inka? So hatte ich mir das nicht mit Hund und Schule vorgestellt. Das muss besser werden, ich muss dringend etwas tun! 

Plötzlich, nachdem sich die Meute vom Aufgang verzogen hat, werfe ich einen Seitenblick zu den Fahrradständern und sehe Paula und Inka friedlich neben der noch immer nicht frei gegebenen Caprisonne sitzen und zu uns hinauf grinsen. Also Paula. Nicht Inka. Ich grinse zurück. Auch wenn ich nass geschwitzt bin wie nach eine Wüstenmarathon. Und während ich Inka und Paula als Einzige in die Klassen lasse und sich dir restlichen Kollegen wundern, wo ihr Lerngruppen sind, ziehe ich mir noch schnell einen Kaffee und streichle Inka mit zittriger Hand über den Bollerkopf voller Flausen, immer mit dem guten Vorsatz, dass ab jetzt alles anders wird und wir das mit dem Schulhund ganz offiziell angehen werden. Hundeschule allein reicht nicht, Zulassung durch Schulleitung allein reicht nicht. Reicht alles nicht. Also: Nicht aufgeben: Ausbilden!

Und immerhin: 65 Haupt- und Realschüler unterschiedlichster Herkunft und Klasse schwärmen aus, um den Schulhund und eine Schülerin zu suchen. Ist zwar nichts womit wir in die Zeitung kommen, aber vielleicht gelingt es uns ja doch, nicht ohne Fettnäpfchen, aber mit viel Humor und Motivation!


Anna Maria Ram arbeitet als Pädagogin im hessischen Schuldienst. Dabei begleiten sie phasenweise ihre Deutschen Boxer, alle aus dem Tierschutz, in Klassen mit besonderen Ansprüchen und Lernschwierigkeiten. Anna Maria ist ebenfalls Buchautorin. Ihr Buch „Die anderen sind eh schlauer als uns!“ erscheint im Minerva Verlag. Für das Magazin „HundeWelt“ schreibt sie regelmäßig ihre eigene Kolumne. Hier auf Minerva VISION liegt ihr Schwerpunkt auf den Skurilitäten des Alltags.


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