Wie finde ich Freunde?
Die Spieltheorie liefert die Antwort.
Was wir aus der Spieltheorie über menschliches Miteinander lernen können
Helfe ich meinem Nachbarn oder meiner Nachbarin? Oder ist es besser, mich um meine eigenen Angelegenheiten zu kümmern? Die Antwort auf diese Frage ist alles andere als trivial. Beide Entscheidungen haben Vor- und Nachteile, die nicht nur unsere persönliche Lebensqualität, sondern auch das Miteinander in unserer Umgebung beeinflussen können. Orientierung bietet die Spieltheorie, zeigen Jakub Svoboda und Krishnendu Chatterjee am Institute of Science and Technology Austria (ISTA).
Warum helfen wir anderen?
Warum kooperieren Menschen überhaupt und kümmern sich nicht ausschließlich um sich selbst? Diese Frage beschäftigt Wissenschaftler seit Jahrzehnten – ob in der Biologie, Soziologie oder Wirtschaft. Die zentrale Frage lautet: Wann und warum entscheiden sich Gruppen von Individuen für Zusammenarbeit, und unter welchen Bedingungen funktioniert das gut? Antworten darauf liefert die Spieltheorie. Sie zeigt zumindest, wie wir am Erfolgreichsten werden.
Das Gefangenendilemma
Die Spieltheorie wurde erstmals im Buch „The Theory of Games and Economic Behavior“ vorgestellt, das 1944 von den Mathematikern und Wirtschaftswissenschaftlern Oskar Morgenstern und John von Neumann veröffentlicht wurde. Bald darauf entwickelte sich das Gefangenendilemma zum zentralen Thema der Spieltheorie. „Es ist ein einfaches ‚Spiel‘, das die Optionen beschreibt, die wir in vielen realen Szenarien vorfinden“, so Svoboda. Das ursprüngliche mathematische Konzept sieht zwei Gefangene vor, die die Möglichkeit haben, sich gegenseitig zu verraten oder zu kooperieren. Wenn sie beide kooperieren, teilen sie sich eine beträchtliche Belohnung. Wenn einer kooperiert und der andere verrät, erhält nur der Verräter den Vorteil. Dieser wäre in diesem Fall sogar größer als der jeweilige Anteil, wenn beide kooperieren würden. Verraten sich jedoch beide Spieler gegenseitig, erhält niemand den Gewinn. Die gleiche Logik gilt nicht nur für dieses Szenario, sondern auch für das Wettrüsten zwischen Ländern, das Leben von Bakterien oder sogar für alltägliche Situationen wie die Entscheidung, wer die Spülmaschine in einer gemeinsamen Büroküche ausräumen soll. Ausgehend vom ursprünglichen mathematischen Modell scheint es so, dass Verrat für den Einzelnen am vorteilhaftesten ist. Dennoch kann man in realen Situationen immer wieder Kooperation beobachten. Wie kommt das? „Verschiedene Mechanismen können die Zusammenarbeit fördern“, erklärt Svoboda. „Einer davon ist die Reziprozität, die besagt, dass wir durch die Wiederholung bestimmter Handlungen Vertrauen aufbauen und dann kooperieren können.“ Ein Beispiel: Sie sehen, dass Ihr Kollege oder Ihre Kollegin jeden Tag die Spülmaschine einräumt. Ihre Lieblingstasse ist dadurch immer sauber und bereit für Ihren Morgenkaffee. Daraufhin beginnen Sie vielleicht, ihm oder ihr beim Ausräumen der Spülmaschine zu helfen – es kommt zu einem gegenseitigen Austausch von Handlungen. Ein weiterer entscheidender Faktor ist die Art und Weise, wie die einzelnen Personen miteinander verknüpft sind, d. h. die Struktur des jeweiligen Netzwerks. Um diese Strukturen zu testen, verwenden die Forschenden der Chatterjee Gruppe am ISTA sogenannte „räumliche Spiele“.
Kooperations-Tetris
In diesen Simulationen sind Individuen auf einem Gitter angeordnet – ähnlich wie Figuren auf einem Schachbrett. Sie interagieren mit ihren Nachbarn und entscheiden, ob sie kooperieren oder nicht. Im Verlauf des Spiels übernehmen sie erfolgreiche Strategien von anderen. Dies ist vergleichbar mit dem Tetris-Spiel auf dem Game Boy, bei dem ein einzelner Block seine Umgebung beeinflussen und die Platzierung der nachfolgenden Blöcke bestimmen kann, was letztendlich das gesamte System zusammenführt. Und welche Struktur bewirkt Kooperation besonders? Ihre überraschende Erkenntnis: Netzwerke, die abwechselnd dichte und lockere Verbindungen aufweisen, unterstützen Zusammenarbeit besonders stark.
Nähe und Distanz
Glauben wir Svoboda und Chatterjee, dann hängt die Entscheidung zur Kooperation von einer ausgewogenen Nähe und Distanz ab. Und darin liegt eine wichtige Botschaft: Nicht jedes Opfer für die Gemeinschaft ist automatisch eine gute Entscheidung. Kooperation bedeutet nicht, sich selbst aufzugeben, sondern bewusste Entscheidungen zu treffen. Wo helfe ich? Wo setze ich klare Grenzen? Die Spieltheorie zeigt, dass Systeme dann stabil sind, wenn sie einen Ausgleich zwischen individuellen Bedürfnissen und kollektiven Zielen schaffen. Anders gesagt: Nur wer selbst stark bleibt, schafft tragfähige Bindungen.
Wie ein gemeinsamer Tanz
Besonders Frauen glauben oft, dass sie die Familie zusammenhalten müssen. Auf jede Entfremdung reagieren sie mit einem Nähe-Angebot – aber das erscheint nicht effektiv. Gemeinschaft ist ein lebendiger Prozess – vergleichbar mit einem Tanz. Nähe und Distanz wechseln sich ab, und mit jedem Neufinden wächst das Vertrauen Schritt für Schritt. Also ist dies ein Plädoyer dafür, auch mal loszulassen. So kann der andere Atem schöpfen und dann kann man wieder einen Schritt aufeinander zumachen. Und manchmal braucht es tatsächlich einen Neustart, um wieder in den Takt zu finden. Kooperation ist weder selbstverständlich noch gleichmäßig – es gibt unterschiedliche Phasen. Wer das weiß, kann sie auch besser zulassen.

Foto: Jakub Svoboda. Der Doktorand ist in seinem vierten Jahr am ISTA. Er nutzt seine mathematischen Kenntnisse, um sich in die Evolutionsdynamik zu vertiefen. | Copyright: © Zuzana Drázdová |