Psychologie

Wie erziehe ich meinen Sohn in dieser Welt?

Über die Herausforderung, einen Jungen stark und weich zugleich werden zu lassen


Heulsuse, Jammerlappen, Weichei – so höhnen andere Jungs, wenn einer von ihnen weint. Und dann verändert sich was im Kind. Es wird härter. Zu sich und zu anderen. Und wenn man als Mutter nicht aufpasst, dann bleibt es so. Und dazu die Frage: mache ich das richtig? Muss ein Junge nicht stark sein, um zu bestehen? Es ist schwer, einen Sohn zu erziehen.

Nicht, weil er wilder ist. Oder lauter. Oder schwieriger. Sondern weil ich immer wieder spüre: Die Welt, in die ich ihn entlasse, will etwas anderes von ihm, als ich ihm mitgeben möchte.

Die Welt sagt: Sei stark.
Ich sage: Du darfst auch schwach sein.

Die Welt sagt: Setz dich durch.
Ich sage: Hör erstmal zu.

Die Welt sagt: Jungs sind halt so.
Ich sage: Du darfst so sein, wie du wirklich bist.

Und dazwischen: ich.
Mit meinem Wunsch, ihn zu schützen – und meinem Wissen, dass ich ihn loslassen muss.
Mit meinem Bedürfnis nach Nähe – und seiner wachsenden Selbstständigkeit.
Mit all meinen eigenen Ängsten, Hoffnungen, Erinnerungen.
Und mit der Erkenntnis:
Ich kann ihm nichts „beibringen“. Ich kann nur bei ihm bleiben. In Beziehung.


Ich weiß manchmal nicht, ob ich es richtig mache.

Manchmal wünschte ich, es gäbe einen klaren Plan. Eine Art Navi fürs Elternsein: „In 300 Metern links abbiegen. Wenn dein Sohn sich verschließt, Geduld aktivieren.“ Aber das gibt es nicht. Es gibt nur dieses tägliche Ringen um die richtige Richtung. Um eine Balance, von der ich nicht weiß, wie sie aussehen könnte. Vielleicht, weil mir dazu einfach ein Hormon fehlt? Sind Frauen die richtigen, um Jungs zu erziehen? Oder braucht man dazu einen Mann – der in unserer Familienkonstellation leider in einer neuen Beziehung mit neuem Baby lebt und wenig Interesse zeigt?


Weitere Themen:

Und trotzdem – oder gerade deshalb – lohnt es sich.

Wenn ich sehe, wie er jemanden tröstet. Wenn er mir eine Frage stellt, die tief geht. Wenn er mir sagt, dass er mich lieb hat – auf seine Art. Dann weiß ich: irgendetwas läuft richtig. Wenn du als Frau einen Sohn erzieht, dass bedeutet es, mit ihm zu wachsen. In eine neue, andere Welt. Und das ist manchmal verdammt schwer. Aber auch das Schönste, was mir je passiert ist.

Mareike Claaßen



Der Kommentar von Nina, unserem Lifestyle-Coach: Was macht dich zum Mann?

Wir leben in einer Zeit, in der immer deutlicher wird, dass Macht nicht automatisch mit Reife einhergeht.
Männer wie Weinstein, Diddy oder Börg-Høiby erinnern uns schmerzhaft daran, wie viele Jungen zu Männern geworden sind – ohne je wirklich Mensch geworden zu sein. Die Frage, die uns beschäftigt, lautet daher nicht:
Wie erziehe ich meinen Sohn richtig? Sondern:
Wie bleibe ich in Beziehung mit ihm – in einer Welt, die ihm falsche Vorbilder liefert?

Früher galt es als Tugend, wenn ein Junge hart war.
Heute wissen wir: Härte schützt nicht – sie trennt. Von sich selbst. Vom Gegenüber. Und oft von jeder echten Intimität.Ein Junge muss nicht lernen, wie man sich durchsetzt. Das wird ihm die Welt früh genug zeigen.
Was er von uns lernen sollte, ist: Wie man in Beziehung bleibt. Auch wenn es schwierig wird.

Das beginnt ganz klein: Wenn ein Kind traurig ist – halte es aus. Wenn es wütend ist – geh nicht in Gegenwehr.
Und wenn es über Grenzen geht – erinnere es an seine eigene Würde, nicht nur an die Regeln. Denn ein Kind, das in seiner Ganzheit angenommen wird, muss später niemanden klein machen, um sich groß zu fühlen.
Ein Junge, der in der Familie erlebt, dass er mit seinen Gefühlen willkommen ist, wird später auch die Gefühle anderer achten können.

Sei bei ihm

Denn Kinder lernen nicht durch Erklärungen – sie lernen durch Begegnung. Sie lernen, wie man streitet, wenn wir mit ihnen streiten. Sie lernen, wie man liebt, wenn wir sie lieben – auch wenn sie nicht funktionieren. Sie lernen, wie man Verantwortung übernimmt, wenn wir es tun – für unser Handeln, unsere Worte, unsere Fehler.

Was unsere Söhne brauchen?

Menschen mit Haltung. Menschen, die zeigen, dass Männlichkeit nicht in Lautstärke, Härte oder Dominanz liegt – sondern in der Fähigkeit, mit sich selbst in Frieden zu sein. Ich glaube, wir dürfen aufhören, unsere Kinder „zu erziehen“.
Wir dürfen anfangen, sie zu begleiten.
Ihnen die Welt zuzumuten – und gleichzeitig der sichere Ort zu sein, an den sie immer zurückkommen können.
Auch mit Tränen. Auch mit Zweifeln. Auch mit Fehlern.

Der Kommentar von Jonas, unserem Spezialisten für Neurobiologie: Einen Sohn zu erziehen ist nichts für schwache Nerven. Oder fürs Ego.

Ich gebe es zu: Ich dachte früher, Kindererziehung sei wie Kochen nach Rezept. Zutaten rein, umrühren, Geduld haben – und am Ende kommt was Anständiges raus. Ha! Schön wär’s. Einen Sohn zu erziehen ist… sagen wir mal: eher wie Origami mit nassen Händen. Du willst etwas Feines formen – aber alles flutscht dir ständig durch die Finger.
Und sobald du denkst, jetzt hab ich’s, kommt die nächste Überraschung. Oder Pubertät.

Und dann ist da diese Stimme im Kopf:
Bin ich streng genug? Bin ich zu streng? Fördere ich ihn? Überfordere ich ihn?
Man steht da mit seinen Prinzipien – und kriegt trotzdem jeden zweiten Tag einen kleinen Einblick in die eigene Hilflosigkeit.

Warum ist das so schwer?

Weil wir nicht nur einen Jungen erziehen. Sondern auch uns selbst. Unsere Erwartungen. Unsere Prägungen. Unsere alten Glaubenssätze.

Wir sagen: „Du darfst weinen, mein Schatz.“
Und merken gleichzeitig, wie schwer uns selbst das fällt.

Wir sagen: „Du bist gut, so wie du bist.“
Und schauen dabei selbst unzufrieden in den Spiegel.

Wir sagen: „Hör auf dein Gefühl.“
Und hören selbst viel zu oft auf To-do-Listen.

Und die Welt da draußen?

Die sendet andere Signale:
Sei tough. Sei cool. Stell keine Fragen. Hab alles im Griff.
Aber ehrlich – wer hat denn alles im Griff? Ich nicht. Und das sage ich als Arzt.
Sogar mein Puls tanzt manchmal Macarena, wenn mein Sohn mir nur sagt: „Du verstehst das nicht, Papa.“

Was hilft?

Humor.
Und Demut.

Die Demut zu erkennen: Ich werde Fehler machen. Aber wenn ich sie mir eingestehe – und mit meinem Sohn darüber spreche – dann lernt er etwas viel Wichtigeres als Benehmen: Er lernt Beziehung. Echtheit. Verbundenheit. Menschlichkeit. Denn ein Junge, der merkt, dass er mit allem kommen darf – auch mit Schwäche – wird später kein Mann, der andere klein macht, um sich groß zu fühlen. Und ganz ehrlich? Das ist doch das Schönste, was wir ihm mitgeben können.


Eltern sein ist wie ein Langzeitexperiment ohne Laborbedingungen.
Aber mit viel Liebe. Und gelegentlich Schokolade.

Der Kommentar von Florian, unserem Fitness-Coach: Stärke zeigt sich nicht auf dem Siegertreppchen.


Sondern in den Momenten, in denen du nicht gewinnst, aber trotzdem bei dir bleibst. Und genau das will ich meinem Sohn mitgeben.

Nicht: Sei der Beste. Sondern: Sei du selbst – auch wenn’s schwierig wird.
Nicht: Zeig keine Schwäche. Sondern: Lerne, mit deiner Stärke gut umzugehen. Denn die Welt, in die unsere Söhne heute hineinwachsen, ist unmenschlich. Und ich frage mich oft: Wie verhindere ich, dass mein Sohn so wird.

Die Antwort ist unbequem: Gar nicht.

Ich kann es nicht verhindern. Aber ich kann ihm zeigen, wie man Verantwortung übernimmt.
Auch wenn man Fehler macht. Gerade dann. Ich kann da sein, auch wenn ich selbst keine Lösung habe.

Und das ist manchmal verdammt schwer.

Weil ich auch mein eigenes Leben im Gepäck habe. Meine Kämpfe. Meine Abstürze. Und er erinnert mich an mich damals. Und wie hilflos sich mein Vater damals in manchen Situationen zurückzog. Hatte ich Probleme, ging er mit mir ein Eis essen und das war`s. Trost ja, Lösung nein. Die Wahrheit ist deshalb: ich habe für mich für manche Dinge keine Lösung im Gepäck. Aber ich möchte mehr, als nur ein Eis kaufen und die Situation einfach aussitzen. Also rede ich mit ihm. Und hole so ein Stück meiner Kindheit nach. Das macht mich zu einem besseren Menschen. Danke, Sohn!

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